„Wenn der Schwimmwagen hereinfährt, könnte das mit einer Katastrophe enden. Er würde auch gefangen werden. Ach, wenn wir doch wenigstens unsere individuellen Sprechfunkgeräte bei uns hätten! Ich würde ihnen alle diesbezüglichen Versuche kategorisch verbieten! Erlauben Sie“, rief Belopolski plötzlich, „Sie haben ja ein Gerät bei sich, Wassili Wassiljewitsch!“
„Ich sagte doch schon, daß es aus irgendeinem Grund nicht funktioniert.“
„Sehr einfach“, sagte Balandin ruhig, „es funktioniert nicht, weil es nicht da ist.“
„Wieso?“ Das kleine schwarze Futteral des transportablen Funkgerätes j war tatsächlich nicht mehr vorhanden. Verwaist baumelte die abgerissene Leitung herab.
„Die verdammte ›Schildkröte‹!“ sagte Romanow. „Die war es.“ Das Futteral mußte abgerissen worden sein, als das Tier den Geologen ergriff.
„Nun ist Melnikow unsere einzige Hoffnung“, sagte Belopolski, „er muß sich darüber klarwerden, daß seine einzige Aufgabe jetzt lautet: Die Forschungsarbeiten einstellen und auf die Erde zurückkehren. Mit den Venusianern wird sich die nächste Expedition bekannt machen.“ Konstantin Jewgenjewitsch sprach in einem Ton, als beträfen ihn die Folgen dieses Planes, den er Melnikow „nahelegte“, überhaupt nicht. Kein Zweifel — Belopolski hielt sich und seine beiden Genossen für hoffnungslos verloren.
„Gibt es keine Möglichkeit, von hier zu fliehen?“ fragte Romanow. „Unsere Anzüge eignen sich ohne weiteres für eine Wanderung unter Wasser. Schlösser gibt es in diesem Gebäude wohl nicht.“
„Sinowi Serapionowitsch kann nicht laufen“, entgegnete Belopolski.
„Nehmt nur keine Rücksicht auf mich“, sagte Balandin hastig.
„Ich kann nicht laufen, aber ihr könnt es doch! Werdet nicht sentimental. Lieber soll einer sterben, als daß drei zugrunde,!
gehen.“
„Das geht auf keinen Fall. Wir brauchen bloß im Tunnel oder im See zu erscheinen, und schon sehen uns die Reptilien. Sie werden uns sofort ergreifen und vielleicht auch umbringen.
Nein! Wenn wir nicht sinnlos sterben wollen, müssen wir es ganz anders anfangen. Wir müssen beobachten, möglichst viel erkunden und alles aufschreiben. Vielleicht bietet sich doch eine Gelegenheit, eine Flaschenpost abzuschicken. Wenn klar ist, daß unsere Stunden gezählt sind, unternehmen wir einen Versuch, durch den Tunnel auszubrechen und sie aufzugeben.“
„Wenn Boris Nikolajewitsch so handelt, wie Sie es ihm gerade als besonders vernünftig geraten haben, wird keiner unsere Flaschenpost finden“, erklärte Balandin.
Belopolski sah den Professor an, und über sein strenges Gesicht huschte der Schatten eines Lächelns.
„Eben wenn er so handelt“, sagte er. „Leider werden in dieser Frage Sie und nicht ich recht haben. Ich fürchte, daß die Genossen uns suchen werden. Aber selbst wenn sie es nicht tun, bleibt uns noch die Hoffnung, daß die nächste Expedition die Flasche findet.“
„Eine schwache Hoffnung!“ sagte Romanow. „Ich würde den Versuch sofort unternehmen.“ Sie verstummten. Ein und derselbe unerfreuliche Gedanke beschäftigte die Hirne aller. Eine tragische Situation. Von ihren Genossen getrennt, waren sie als Gefangene der rätselhaften Venusianer völlig hilflos. Was hatten diese mit den Menschen im Sinn? Was wollten sie mit ihnen tun?
Belopolski sagte: „Nichts Gutes!“ Aber die Venusianer hatten den Menschen bislang kein Haar gekrümmt, und das ließ unwillkürlich immer noch hoffen. Und jeder klammerte sich aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz an diese winzige Hoffnung. So ist es nun einmal Menschenart.
Eine Stunde verging, eine zweite, eine dritte…
Belopolski erneuerte noch einmal Balandins Verband. Mit stoischer Geduld ertrug der Professor die Schmerzen.
Niemand kam.
Die drei Männer wechselten hin und wieder einige kurze Worte. Ihr Gesprächsstoff versiegte. Alles war klar und scheußlich genug.
„Wenn uns ein wilder Stamm auf der Erde gefangengenommen hätte“, sagte Balandin, „so hätte er in jedem Fall dafür gesorgt, daß wir etwas zu essen bekommen. Die Venusianer können doch nicht wissen, daß wir Verpflegung bei uns haben. Das will mir gar nicht gefallen.“ Weder Romanow noch Belopolski antworteten ihm.
Die Sorgen, die sie voreinander zu verbergen suchten, wuchsen. Die Stille ringsumher wurde unerträglich. Was sie auch erwarten mochte — sie wollten nur das eine: Die Lösung sollte so schnell wie möglich eintreten.
Abermals verging eine Stunde, noch eine…
Auf einmal zuckte Belopolski zusammen und lauschte.
„Es kommt jemand!“ sagte er. „Das ist kein Reptil, die Schritte sind anders!“ Durch die offene Wagentür hörten sie schlürfende Geräusche.
Sie drangen aus der Ecke, in der sich der Eingang befand. Kein Zweifel, es stieg jemand die Baumstammtreppe herauf. Dem schweren Gestampf der mächtigen Schildkrötenbeine glichen die Geräusche nicht. Die Stämme knarrten kaum.
Belopolski schloß die Tür. Die Wände des Geländewagens waren ihr einziger Schutz.
Stumm warteten die drei Männer.
Da traten zwei Geschöpfe ein, die derart sonderbar wirkten, daß die Sternfahrer im ersten Augenblick zu träumen glaubten.
Nein, es waren keine „Schildkröten“.
Den Kopf vorgereckt, sahen sie sich mit ihren drei schwarzen Augen, die nicht an den Seiten, sondern vorn nebeneinandersaßen, im Raum um. Von weitem wirkten die Augen wie eine schwarze Binde. Ihre rosigen Leiber waren in der rosigen Dämmerung kaum zu erkennen.
Die seltsamen Geschöpfe, die geradewegs aus einem Zaubermärchen zu kommen schienen, hüpften auf zwei Beinen und stießen sich mit dem Schwanz ab. Der eine trug eine steinerne Schale in den Händen, der andere eine Art hölzerne Schüssel.
Starr vor Staunen, folgten Belopolski, Balandin und Romanow schweigend den Bewegungen der phantastischen Gestalten.
Sie sahen, daß deren Hände in langen, biegsamen Fingern endeten und daß sich über ihren Augen Stirnen wölbten. Da wußten sie: Dies waren die wahren Herren des Planeten!
Die Venusianer traten dicht an den Geländewagen heran. Sie verspürten offenbar keine Angst, sich den Menschen zu nähern, obwohl sie nur zu zweit, die Menschen aber zu dritt waren.
Vielleicht dachten sie nicht einmal an eine mögliche Gefahr.
„Endlich!“ flüsterte der Professor.
Die beiden Venusianer zuckten merklich zusammen. Offenbar hatten sie durch die Wagenwand hindurch das Flüstern gehört.
Sie blickten sich an, als wollten sie ihre Meinung darüber austauschen. Aber ihre Lippen blieben unbeweglich.
Der Venusianer, der die Schüssel trug, stellte sein Mitbringsel auf den Boden und klopfte ans Fenster. Dann traten sie beide einen Schritt zurück, das heißt — sie sprangen zurück.
Die sechs dunklen Augen schienen jede Bewegung der Gefangenen zu verfolgen.
„Sie bitten uns auszusteigen“, sagte Balandin.
„Gut, ich werde zu ihnen gehen.“ Belopolski griff nach der Klinke. „Ich verbiete aber kategorisch, von der Waffe Gebrauch zu machen!“ Er sah Romanow an. „Was auch geschehen mag!“ Er öffnete die Tür und trat hinaus. Im selben Augenblick sprang der Venusianer mit der Schale vor. Er war nicht größer als einen Meter, und Belopolski wirkte neben ihm wie ein Riese.
Sie standen sich nah gegenüber.
Der Venusianer reichte dem Fremden die Schale. Sie war leer. Belopolski ergriff sie. Sie war sehr schwer, und er staunte, wie ein so kleines und zerbrechlich wirkendes Geschöpf sie hatte ttagen können.
Der Venusianer wartete auf etwas. Er wich nicht von der Stelle und schien den Menschen forschend anzublicken. Der zweite Venusianer rührte sich ebenfalls nicht.
Worauf — warteten sie?
Belopolski hielt die Schale in der Hand und wußte nicht, was er tun sollte. Er fühlte, daß von seinem Verhalten viel abhing, aber die Sekunden jagten einander, und ihm fiel kein rettender Gedanke ein.