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Mitleid und Barmherzigkeit sind nicht angeborene Eigenschaften aller vernunftbegabten Geschöpfe. Sie setzten sich erst mit der Zivilisation durch. Aber auf welcher Stufe der Zivilisation standen die Venusianer? Das war völlig ungewiß.

Wofür hielten die Venusianer die Menschen? Für vernünftige Wesen oder für unbekannte Tiere? Sagte ihnen ihr Äußeres und das ihres Fahrzeugs etwas? Legten sie sich Rechenschaft über das Ungewöhnliche ab, das ihnen vor Augen stand?

Weil sie die Sonne nicht sehen, können sie nicht wissen, daß es sie gibt. Weil sie die Sterne nicht sehen, wissen sie nichts vom Weltall, dachte Belopolski. Der Gedanke, daß wir Bewohner einer anderen Welt sind, wird ihnen gar nicht kommen. Was müssen sie also von unserem Besuch denken?

Zwanzig Minuten vergingen.

Der dritte Venusianer kehrte zurück. Jedenfalls glaubten die Menschen, er sei derselbe; ihrem Empfinden nach sahen die Venusianer einer wie der andere aus.

Er hoppelte auf seine beiden Artgenossen zu und schien ihnen etwas mitzuteilen. Daraufhin wandten sich alle drei an die „Schildkröten“.

Auch diesmal war kein Laut zu hören. Die Reptile jedoch erhoben sich wie auf Kommando auf die Hinterbeine, stellten sich rings um das Fahrzeug und hoben es mit ihren riesigen Pranken hoch. Scheinbar ohne sich anzustrengen, trugen sie es zum Ausgang. Die Venusianer folgten ihnen.

„Kein Zweifel“, sagte Balandin, „sie haben eine Sprache und können auch Weisungen erteilen, die von den Reptilen verstanden werden. Bloß wie machen sie das?“ Auch diesmal bekam er keine Antwort von seinen Gefährten.

Sie hörten gar nicht zu.

Man trug sie durch den unterirdischen Ausgang zurück auf die „Straße“.

Die „Schildkröten“ menge, die dem Fahrzeug Stunden zuvor das Geleit gegeben hatte, war nicht mehr da. Die „Stadt“ schien verödet. Kein einziger Einwohner ließ sich blicken.

Die „Schildkröten“ gingen schnell. Nach zwei, drei Minuten stapften sie durch einen unterirdischen Gang wieder in ein Haus hinein, und die Menschen gelangten auf diese Weise in ein „Zimmer“, das zehnmal so groß wie das erste war. Es besaß ebenfalls keine Fenster. Fußboden und Wände strahlten auch hier rosiges Licht aus.

An der Wand, die dem Eingang gegenüberlag, standen etwa zwanzig Venusianer.

Die Reptile trugen den Geländewagen in die Mitte des Raumes und stellten ihn auf den Boden. Dann entfernten sie sich. Die drei Venusianer, die den Menschen das Geleit gegeben hatten, kamen ebenfalls ins Haus. Der eine von ihnen klopfte an das Wagenfenster.

Belopolski und Romanow stiegen sofort aus. Balandin blieb.

Die Venusianer protestierten nicht dagegen. Verstanden sie etwa, daß dieser Mensch bei bestem Willen nicht aussteigen konnte? Was bisher geschehen war, sprach für eine solche Vermutung.

Die Venusianer sprangen ein Stück voraus, blieben dann stehen und wandten sich zu den Menschen um. Der Sinn dieser Bewegung war klar — sie wollten sich davon überzeugen, daß die Fremden ihnen folgten.

Die Kosmonauten unterdrückten mit Macht ihre Unentschlossenheit. Es blieb ihnen ohnehin nichts anderes übrig, als das auszuführen, was die Herren des Planeten verlangten.

Die Venusianer begaben sich zu der an der Wand stehenden Gruppe. Etwa drei Meter vor ihr blieben sie abermals stehen und drehten sich um. Der eine machte eine abwehrende Handbewegung, die nur heißen konnte: „Stehenbleiben!“ Als er sah, daß die Menschen ihn verstanden und nicht weitergingen, traten die drei zu den anderen. Jetzt hätte man beim besten Willen nicht mehr sagen können, welcher von diesen Venusianern die Kosmonauten soeben aufgesucht und begleitet hatte.

Genau gegenüber von Belopolski und Romanow standen etwas abseits von den übrigen zwei Venusianer. Sie sahen aus wie alle.

Der eine drehte sich nach hinten um. Im selben Augenblick wurde ihm eine steinerne Schale gereicht.

Wieder erschien also das geheimnisvolle Symbol, aber die Menschen wußten nun schon, was sie zu tun hatten.

Es wiederholte sich alles wie beim ersten Male. Der Venusianer sprang vor und reichte Romanow, der ihm zufällig gegenüberstand, die Schale. Der junge Gelehrte nahm die Gabe entgegen und reichte sie zurück. Dabei verbeugte er sich. Der Venusianer ergriff die Schale wieder und übergab sie dem, der sie ihm zuerst gegeben hatte. Die Zeremonie schien so verlaufen zu sein, wie es der Sitte entsprach.

Mit einer Handbewegung wie ein Mensch forderte der Venusianer die beiden Astronauten auf, ihm zu folgen.

Die an der Wand Stehenden traten auseinander, und die Männer erblickten einen Eingang. Eine quadratische Öffnung, vor der nicht einmal ein Vorhang hing. Dahinter war ein zweites Zimmer zu sehen.

Die beiden Venusianer gingen in dieses Zimmer hinein. Die Menschen mußten sich bücken, weil die Tür nur knapp einen Meter hoch war. Die übrigen Venusianer blieben in dem ersten Kaum.

Die Wände des zweiten Zimmers, das klein und ebenfalls deckenlos war, hingen voller langer orangefarbener, gelber und roter Zweige, zwischen denen rosiges Licht schimmerte. Es sah schön aus.

In der Mitte befand sich eine höchstens sechzig Zentimeter hohe Erhebung, die aus Balken gefertigt war. Ihre sorgfältig Gearbeitete Oberfläche war glatt und eben. Die Erhebung sah ms wie ein Tisch ohne Beine. Darauf stand die steinerne Schale, die die Menschen bereits kannten.

Neben dem Tisch standen drei Venusianer. Der eine lud die Kosmonauten mit einer Handbewegung ein, an den Tisch herin zutreten.

Belopolski und Romanow folgten dem Wunsch der Gastgeber und setzten sich neben dem Tisch auf den Fußboden. Sie begriffen, daß ihnen ein langes Gespräch bevorstand, konnten sich aber nicht vorstellen, wie es vonstatten gehen sollte. Eine gemeinsame Sprache zwischen ihnen gab es doch offenbar nicht.

Die Venusianer machten es sich stehend bequem. Der Schwanz ersetzte ihnen den Stuhl.

Unterhaltung ohne Worte

Minutenlang betrachtete jeder sein Gegenüber. Die Bewohner der beiden Schwesterplaneten studierten einander aufmerksam.

Die Sternfahrer schwiegen. Zitternde Erregung, wie sie ihnen sonst ganz fremd war, hatte sie befallen, und das Herz schlug ihnen bis zum Halse.

Ringsum erhoben sich die Balkenwände, geschmückt mit den sonderbaren Gewächsen. Das von ihnen ausgehende Licht machte sie durchsichtig, glasartig zerbrechlich und beinahe unwirklich. Hoch zu Häupten wölbte sich die Decke der Höhle.

An ihren hervorstehenden Unebenheiten fingen sich Strahlen weißen Lichts, das einer unauffindbaren Quelle entsprang. Die sichtige Dämmerung des Zimmers verwischte die Umrisse der Gegenstände. Matt glänzte die glatte Tischplatte, und die Steinschale, die darauf stand, schien mit der Luft zu verfließen.

Gegenüber, ganz nah vor sich, sahen die Astronauten die phantastischen Schädel mit den drei schwarzen Augen und den schmalen, flachlippigen Mündern. Keine Nasen, Ohren oder Haare. Die Leiber waren unbekleidet. Die nackte rötliche Haut an Armen und Schultern verbreitete bei jeder Bewegung metallischen Glanz.

Menschenähnliche Geschöpfe! Bewohner einer fremden Welt!

Venusianer!

Der eine Venusianer bückte sich und holte hinter dem Tisch einige Bündelchen dünnen Fadens sowie Holzklötzchen verschiedener Größe hervor. Er legte alles auf den Tisch. Seine Bewegungen waren weich und elastisch. Die Arme dieser Geschöpfe besaßen offenbar kein Ellenbogengelenk.

Der Venusianer machte sich ans Werk. Auf dem Tisch erschien aus Schnur eine gewundene Linie. Parallel zu ihr legte der Venusianer eine zweite. Zwischen ihnen stellte er in Schachbrettordnung die kleinen Holzwürfel in drei Reihen auf, daneben legte er einen länglichen Stein. Der Venusianer zeigte mit der Hand auf den Stein und mit der anderen auf die Menschen.