Wenigstens schien es sowohl den Menschen als auch den Venusianern so.
Gewohnte Begriffe und Vorstellungen erscheinen stets einfach und allgemein bekannt. Jedes vernünftige Geschöpf nimmt gern an, daß die anderen Geschöpfe mit einer der seinen parallelen Vernunft begabt sind.
Die Menschen dachten, sie hätten die Bedeutung der steinernen Schale richtig als Friedenssymbol verstanden, mit dem in ungewöhnlicher Form freundschaftliche Gefühle ausgedrückt werden sollten. Die Antworten der Venusianer schienen das zu bestätigen. Als Bewohner der Erde setzten sie unwillkürlich voraus, die Herren des anderen Planeten seien mit irdischer Vernunft begabt und mäßen ihren Handlungen irdischen Sinn bei.
Diese irrige Auffassung wurde nicht wenig dadurch begünstigt, daß die Schale eine ihnen gut bekannte Form hatte. Ohne sich darüber klar zu sein, daß sie die Form mit dem Inhalt verwechselten, konnten sie die wahre Bedeutung des Steingefäßes nicht einmal ahnen.
Auch die Venusianer irrten sich — sie irrten sich aus dem gleichen Grund. Als Bewohner der Venus schrieben sie ihren Gästen die ihnen selber geläufigen Vorstellungen von dem fraglichen Gegenstand zu. Sie faßten deren Antworten in ihrem Sinne auf und gelangten zu dem Schluß, die Menschen hätten sie verstanden und eingewilligt, eine Bitte zu erfüllen, von der sie in Wirklichkeit jedoch nicht das geringste ahnten.
All das stellte sich jedoch erst später heraus. In diesem Augenblick waren sowohl die Gäste als auch die Gastgeber mit dem Verlauf der Unterhaltung völlig zufrieden. Beide Parteien nahmen an, sie hätten über die Steinschale gegenseitiges Einverständnis erzielt.
Die Venusianer luden die Menschen mit Gesten ein, ihnen zu folgen, und kehrten in den Saal zurück zu dem Geländewagen.
Balandin empfing sie voller Freude. Das lange Warten und die Sorge hatten ihn zermürbt. Wußte er doch nicht, wohin seine Genossen geführt worden waren und was mit ihnen geschehen sollte. Als er sie beide lebend und unversehrt erblickte, atmete er erleichtert auf.
Belopolski und Romanow stiegen schnell in den Wagen. Sie merkten, daß ihr Sauerstoff zur Neige ging. Das Atmen fiel ihnen schwer. Durch Gasmaskenfilter zwar von Kohlensäure und Formaldehyd gereinigt, eignete sich die Luft der Venus auf die Dauer doch nicht zum Atmen; sie enthielt nicht genug Sauerstoff. Fünf Venusianer umringten den Wagen. Die übrigen waren verschwunden.
„Sie haben sich sofort zurückgezogen, als Sie dort hineingegangen sind“, sagte der Professor. „Hier ist die ganze Zeit niemand gewesen.“ Binnen weniger Minuten waren die transportablen Sauerstoffbehälter frisch gefüllt Die Venusianer beobachteten alle Bewegungen der Menschen und sahen einander zwischendurch immer wieder an, als teilten sie sich ihre Eindrücke mit.
„Sprechen Sie?“ fragte Balandin.
„Nein“, antwortete Belopolski, „sie verständigen sich durch Gesten.“ Er berichtete über den Verlauf und die Resultate ihrer Unterhaltung.
„Was werden sie mit uns tun?“
„Ich sagte schon — sie werden uns zu den Bergen transportie ren. Alle unsere Bemühungen, ihnen zu erklären, daß wir nicht zum Atmen haben, blieben vergeblich. Sie verstehen uns nicht.“
„Und Sie haben sich damit abgefunden?“ Belopolski hob unschlüssig die Schultern. „Jetzt beabsichtiget! sie, zum Raumschiff zu gehen“, sagte er statt einer Antwort „um dort ihre Zeremonie mit der Schale zu wiederholen. Ich hoffe, unsere Freunde wissen, wie sie sich zu verhalten haben.“
„Vielleicht können wir ihnen einen Zettel mitgeben?“
„Das überlege ich mir auch gerade. Wir müssen es versuchen.’’ Belopolski und Romanow stiegen noch einmal aus. Sie ließen die Tür offen, um zu zeigen, daß sie den Venusianern völlig vertrauten. Konstantin Jewgenjewitsch trat zu einem von ihnen und lud ihn durch eine Handbewegung ein, mit ihm in das Zimmer mit dem Tisch zu gehen.
Der Venusianer verstand sogleich. Belopolski nahm einen Bleistift und ein Notizbuch mit.
Er trat an den Tisch und zeichnete auf ein Blatt Papier den gleichen Plan, den die Venusianer zweimal mit ihren Mitteln dargestellt hatten: den Fluß mit dem Wehr, das Raumschiff und den See. Dann schrieb er auf ein anderes Blatt ein paar Zeilen an Melnikow.
Sichtlich interessiert folgte der Venusianer seinem Tun.
nahm behutsam Notizblock und Bleistift in die Hand.
Belopolski versuchte zu erklären, daß der Zettel zum Raun schiff gebracht werden sollte. Mehrmals hintereinander zeigte auf ihn und auf die skizzierte Darstellung des Raumschiffes.
Dann legte er den Zettel in die Schale.
Der Venusianer erstarrte. Er blickte unverwandt die Schale an, und Belopolski gewann den Eindruck, seine Haltung drückte gespannte Erwartung aus.
Worauf wartete er?
So verging eine Minute.
Plötzlich stürzte der Venusianer zu der Schale, holte den Zettel heraus und warf ihn auf den Tisch. Diese Geste konnte Verachtung, Ungeduld oder einfach die Weigerung, die Bitte zu erfüllen, bedeuten. Vielleicht hatte der Mensch ihn beleidigt, dem er einen fremden Gegenstand in das heilige Gefäß legte?
Wie sollte Belopolski das erkennen, wenn sich in den Gesichtern der Venusianer keine Gefühle spiegelten? Wenn sie stets völlig unbeweglich blieben?
Aber warum hatte er den Zettel nicht sofort wieder aus der Schale entfernt? Warum hatte er gewartet?
Belopolski sah ein, daß sein Versuch mißlungen war. Die Venusianer würden keine Nachricht an die Genossen überbringen.
Plötzlich ergriff sein sonderbares Gegenüber den Zettel, wies mit der einen Hand auf die Zeichnung und dann auf die Schale.
War er vielleicht doch einverstanden?
Belopolski nickte und wiederholte aufs neue seine Erklärung.
Der Venusianer wiederholte alle seine Gesten genau. Wieder flackerte Hoffnung auf, daß die Nachricht doch noch überbracht werden würde. Er durfte sie offenbar nur nicht in die Schale legen.
Belopolski dachte, daß die vernünftigen Geschöpfe verschiedener Planeten, sowenig sie einander auch gleichen mochten, dennoch stets eine Methode finden könnten, ihre Gedanken auszutauschen.
Der Venusianer wies noch einmal auf den Zettel und auf die Darstellung des Raumschiffes auf der Zeichnung. Es leuchtete ein — er war bereit.
Aber wer würde die Nachricht überbringen? Wenn es eine ›Schildkröte‹ tat, würde sie bestimmt durch den See zum Raumschiff gehen. Wie könnte man den Brief vor der Wassereinwirkung schützen? Eine Flasche würde leicht zerspringen.
Belopolski zögerte nicht lange. Er zog seine goldene Uhr aus der Tasche. Sie war ein Geschenk seines Lehrers, eines berühmten russischen Astronomen, und Konstantin Jewgenjewitsch trug das für ihn wertvolle Stück stets bei sich. Aber es blieb keine andere Wahl, er mußte es wagen, die Uhr zu verlieren. Er faltete den Zettel zusammen und legte ihn unter den doppelten Deckel. Das Gehäuse schloß gut, und es konnte kein Wasser eindringen. Dann hielt er dem Venusianer die Uhr hin.
Aber dieser nahm sie nicht an. Er blickte die Uhr an und traute sich anscheinend nicht, sie zu berühren. Aus welchem Grund?
Belopolski fiel ein, daß die Herren der Venus ein scharfes Gehör besaßen. Ob ihn das Ticken der Uhr beunruhigte?
Höchstwahrscheinlich. Aber wie sollte Belopolski das Werkanhalten? Sogar hier in der Gefangenschaft hatte er die Uhr jeden Morgen aufgezogen.
Abermals zögerte er keinen Augenblick. Er öffnete den hinteren Deckel und drückte mit einem Finger auf die Unruhe. Das rubinene Hämmerchen brach ab, die Uhr stand.
Nun nahm der Venusianer den Gegenstand, der ihm rätselhaft war, an sich. Dabei wies er zum dritten Male auf die Darstellung des Raumschiffes.
Belopolski atmete erleichtert auf. Sein Brief würde zum Schiff gebracht werden, und die Genossen würden erfahren, wie es ihnen hier ergangen war und wo sie sich befanden. Alles übrige würde von Melnikow abhängen. Belopolski war überzeugt, daß sein Vertreter die Situation meistern würde.