Wenn sie aber nicht die Menschen meinten, dann … Ja, natürlich, nur so konnte es gemeint sein!
Wissenschaftler kennen solche Augenblicke. Der ForscherGedanke quält sich in einem verschlungenen Labyrinth und sucht nach einer Lösung. Und plötzlich flammt grell im Hirn die richtige Lösung auf, und alles, was finster und rätselhaft schien, wird klar.
Belopolski hatte verstanden.
Die Steinschalen sind nicht von den Venusianern hergestellt worden. Andere haben sie vor langer Zeit auf die Venus gebracht. Wer? Die gleichen Geschöpfe, von denen die Granitfiguren auf der Arsena stammen. Von Generation zu Generation vererbt sich auf der Venus immer noch die Erinnerung an diese unbekannten Besucher. Und die Venusianer glauben nun, Erdenmenschen hätten ihnen die Schalen hinterlassen, Menschen, die jetzt zum zweiten Male ihren Planeten besuchen. Natürlich wissen sie nichts von der Existenz der Erde, wissen sie nicht, woher und wozu damals und auch jetzt jene Geschöpfe, die ihnen gar nicht ähneln und eine ihnen unbekannte Technik besitzen, zu ihnen gekommen sind. Aber sie wollen, daß sie ihnen wiedergeben, was diese Schalen in ferner Vergangenheit darstellten und was sie anscheinend vergessen oder — was wahrscheinlicher ist — verloren haben.
Wozu dienten die Schalen? Das war die Frage.
Belopolski ergriff eine Scherbe.
Die Außenseite war zweifellos aus Stein, aber auf der Innenseite erblickte er eine eigenartige Schicht. Sie war hart, aber nicht aus Stein. Er untersuchte auch die unbeschädigte Schale und überzeugte sich, daß die ganze innere Höhlung mit der gleichen Schicht bedeckt war.
Hier und nur hier lag die Lösung verborgen!
Belopolski gab durch ein Zeichen zu verstehen, daß er zum Wagen zurückgehen wolle. Die Venusianer verstanden und begleiteten ihn. Der eine nahm die Schale mit.
Im Saal wimmelte es von Venusianern. Es waren mindestens zweihundert.
Sie machten dem Menschen bereitwillig Platz, als er auf sein Gefährt zuging. Hastig berichtete Belopolski den Kameraden, was er von alledem hielt, und zeigte ihnen die Scherbe, die er mitgenommen hatte.
„Helft mir, das Rätsel ganz zu lösen!“ bat er.
Romanow ergriff die Scherbe. Er war als Geologe zwar noch jung, aber erfahren und vielseitig. Er erkannte sofort, daß die Schicht nicht natürlichen, sondern künstlichen Ursprungs war.
Sie sah dunkelgrau aus.
„Sie erinnert mich an Thermit“, sagte er.
„Thermit!“ Belopolski fiel es plötzlich wie Schuppen von den Augen.
In der Schale hatte also Feuer gebrannt. Die Venusbewohner hatten das Feuer von unbekannten Sternfahrern erhalten und wieder verloren. Selbst entzünden konnten sie es nicht, aber die Erinnerung daran hatten sie bewahrt und baten nun die Fremden, ihre Schale mit der köstlichen Gabe zu füllen.
So wird es sein, so und nicht anders! Die Lösung war gefunden.
„Womit können wir sie entzünden?“ fragte Belopolski und wies auf die Scherbe.
„Wenn es eine Thermitschicht ist“, sagte Romanow, „dann muß sie längst ausgebrannt sein. Thermit brennt schnell.“
„Dieses Material stammt nicht von der Erde. Vielleicht ist es gar kein Thermit. Aber es muß brennen.“
„Thermit wird mit Magnesium entzündet“, sagte Romanow.
„Wir haben keins. Aber Wtorow natürlich.“
„Es ist kein Thermit“, sagte Belopolski noch einmal. „Haben Sie Streichhölzer bei sich?“
„Natürlich nicht. Aber wir können die Akkumulatoren dazu benutzen.“
„Beeilen Sie sich!“ sagte Belopolski ungeduldig.
Akkumulatoren liefern gleichbleibend starken Strom. Wenn die Spannung hoch genug ist, gibt es nichts Leichteres, als mit ihrer Hilfe Feuer zu entzünden. Dazu braucht man nur zwei Drähte, die mit den beiden Polen des Akkumulators verbunden sind, einander zu nähern. Dann entsteht zwischen beiden ein Voltascher Bogen, an dem man leicht einen Holzspan oder ein Stuck Papier entzünden kann.
„Seien Sie vorsichtig!“ sagte Romanow, als in Belopolskis Hand ein Notizblatt aufflammte. „Wenn es Thermit ist, entsteht eine sehr hohe Temperatur.“ Sobald das Papier brannte, traten die Venusianer hastig vom Wagen zurück. Sie erschraken sichtlich. Der die Schüssel gehalten hatte, stellte sie schleunigst auf den Boden und sprang zur Wand.
„Sie wissen, was vor sich geht“, sagte Romanow. „Seien Sie bloß vorsichtig, rate ich Ihnen!“
„Wir haben keine andere Wahl!“ Belopolski ging mit dem brennenden Papier zu der Schale, er traute sich nicht, es hineinzuwerfen. Es konnte erlöschen — und wer weiß, was bei einem derartigen Mißerfolg geschehen würde.
Das Feuer leckte am inneren Rand der Schale. Eine kurze Stichflamme, eine Rauchwolke stieg auf, verflog, und aus der steinernen Schale züngelte eine blaßblaue Flamme wie von einer dünnen Spiritusschicht empor.
Es war ein kaltes Feuer. Belopolski, der daneben stand, verspürte keine Wärme.
„Es ist kein Thermit“, sagte Romanow.
Unverwandt blickten die Venusianer die Schale an. Die Flamme blendete sie nicht, sie war ganz schwach. Dann kamen sie langsam näher.
Belopolski stieg in den Wagen.
Die Menschen wurden Zeugen einer heidnischen Feueranbetung. Jeder Venusianer berührte die Schale mit dem Kopf und den Händen und ging dann wieder zur Wand zurück. Da mindestens zweihundert Venusianer anwesend waren, dauerte diese Zeremonie sehr lange.
Endlich verneigte sich der letzte vor der Schale. Fünf blieben neben ihr stehen. Einer erhob die Schale und trug sie hinaus.
Die anderen folgten ihm.
Das seltsame Zimmer verödete, und die Menschen blieben allein. Sie schienen vergessen zu sein.
„Dafür haben wir uns solche Mühe gegeben!“ sagte Belopolski achselzuckend.
Aber keine zwei Minuten waren vergangen, als zwei Venusianer, von zehn Reptilen begleitet, zurückkehrten.
„Das ist das Ende!“ sagte Romanow. „Sie brauchen uns nicht mehr, und nun erledigen sie uns.“
„Das glaube ich nicht“, sagte Belopolski, während er ausstieg.
Die Venusianer kamen ihm entgegen und warfen sich vor ihm auf den Boden. Konstantin Jewgenjewitsch wunderte sich nicht darüber, er hatte es erwartet. Wenn sich die Herren dieses Planeten vor dem Feuer, das ihnen rätselhaft war, verneigten, mußten sie sich auch vor denen verneigen, die es entzündet hatten.
Warum aber hatten sie es nicht schon vorher getan, wenn sie doch wußten, daß die Menschen ihnen Feuer schenken könnten?
Das entsprach ganz und gar nicht den menschlichen Gepflogenheiten.
Es ist keine Verehrung, sondern Ausdruck ihrer Dankbarkeit, dachte Belopolski.
Die Venusianer standen auf. Durch Gesten baten sie den Menschen, mit ihnen in das Tischzimmer zu gehen.
Was wollten sie noch?
Belopolski folgte ihnen.
Auf dem Tisch lag immer noch die Landkartenskizze, die er vor kurzem gezeichnet hatte. Der eine Venusianer legte neben die Darstellung des Raumschiffes acht Würfel. Sie stellten die acht Mann dar, die an Bord geblieben waren. Auf den See legte er fünf andere Würfel.
Warum fünf? Sie waren doch nur drei Gefangene?
Aber sogleich klärte sich alles auf. Der Venusianer wies auf die Würfel und auf Belopolski, dann zeigte er auf sich und den anderen Venusianer.
Vorläufig war alles ziemlich klar. Die fünf Würfel stellten drei Menschen und zwei Venusianer dar.
„Und was weiter?“ Es geschah, was Belopolski nie und nimmer erwartet hätte.
Der Venusianer ergriff die fünf Würfel und legte sie zu dem skizzierten Raumschiff.
Kein Zweifel — sie wollten das Schiff besuchen!
Belopolski war verdattert. Wie sich herausstellte, hatten die Venusbewohner nicht die geringste Angst vor dem Raumschiff.
Sie wollten es sogar besichtigen.
Aber nicht nur Verwunderung empfand der Expeditionsleiter.
Er wußte nun ganz und gar nicht mehr, was er von den Geschöpfen halten sollte, die ihm gegenübersaßen. Wie sah es in ihnen aus, was ging in ihnen vor? Waren sie hochentwickelte Geschöpfe oder Wilde, die eine Steinschale und das darin brennende Feuer anbeteten? Die Vorstellung, daß sie geistig hochentwickelt wären, entsprach nicht dem Bild, daß sich den Mensehen soeben an der Schale geboten hatte. Dagegen entsprach der Wunsch, das Schiff zu besichtigen, nicht der Vorstellung von Wilden, die solch rätselhaftes, riesiges Ding wie ein Raumschiff lurchten mußten.