Plötzlich riß die Hängematte unter Melnikows Last, und er flog zu Boden. Wtoraw erging es genauso. Beide kollerten zur Wand.
War das der Aufprall auf die Atmosphäre der Venus?
Oder…
Gleich darauf entrang sich ein tiefer Seufzer der Erleichterung Melnikows Brust. Er hatte begriffen, was geschehen war.
Sie waren dem Leben wiedergegeben.
„Gerettet, Gennadi! Das Raumschiff wendet. Die Automatik hat selbsttätig gehandelt. Hörst du, Gennadi?“ Wtorow schwieg.
Das Raumschiff bog steil zur Seite ab. Die Schwerkraft stieg auf über das Doppelte an.
Gerettet? Eine Erkenntnis dämmerte Wtorow. Das bedeutete doch…
Er sah seinen Kameraden an. Ja, so war es.
„Ich danke Ihnen, Boris Nikolajewitsch! Bis an mein Lebensende werde ich Ihre Großmut nicht vergessen. Sie wollten, daß ich nichts ahnte.“ „Nehmen wir‘s an“, erwiderte Melnikow. „Was hätte ich schon davon gehabt, wenn wir uns zu zweit gequält hätten?
Dein ruhiges Gesicht hat auch mir geholfen. Ich habe es nur meinetwegen getan.“ „Das ist nicht wahr.“ „Nehmen wir auch das an. Aber ist es nicht ganz egal? Irgendwann wirst du genauso handeln, und wir sind quitt. Mach doch die Wand wieder durchsichtig.“ Die überstandene Aufregung hinderte Wtorow, sich zu konzentrieren. Es verging eine ganze Weile, bevor es ihm gelang, die Bitte zu erfüllen.
Die Venus befand sich nach wie vor unter ihnen, aber nicht senkrecht, sondern etwas seitlich. Das Raumschiff war noch nicht ganz auf den neuen Kurs eingeschwenkt. Doch die Männer sahen, daß sie sich vom Planeten entfernten, und das war die Hauptsache.
„Wenn niemand am Pult sitzt“, sagte Melnikow, „steuert der Autopilot das Raumschiff. Da die Venus in gefährliche Nahe gerückt war, hat er selbständig abgedreht. Der Apparat ist sehr klug konstruiert.“ „Die Energievorräte an Bord scheinen hier unbegrenzt zu sein“, bemerkte Wtorow. „Ein so großes Schiff braucht für ein derartiges Manöver doch eine kolossale Energiemenge.“ „Zweifellos.“ „Was mag das für Energie sein?“ „Das werden wir schon noch rausbekommen.“ Sie schwiegen. Das Reden fiel ihnen schwer. Die lastende Schwere hatte noch nicht nachgelassen.
Zehn Minuten später aber wurde sie spürbar schwächer. Der neue Kurs war erreicht, Melnikow und Wtorow lagen nicht.
mehr auf der Wand, sondern auf dem Fußboden. Wenig später konnten sie auch wieder aufstehen.
Eine gute Stunde darauf war die Schwerkraft ganz geschwunden. Sie flogen erneut geradeaus, von der Venus fort.
„Wieder zur Sonne“, sagte Melnikow.
„Gehen wir ans Pult.“ „Es ist noch zu früh. Komm erst endgültig zu dir. Es wäre gut, wenn du dich etwas stärken könntest. Aber es ist ja nichts da.“ Er sagte das ganz mechanisch. Gleich darauf kam ihm zum Bewußtsein, daß er nach wie vor keinen Hunger verspürte. Er hatte das Gefühl, gerade erst gegessen zu haben, zwar nicht ausgiebig, aber doch genügend, um nicht von Hunger gequält zu werden.
Wie kam das? Was war die Ursache für diese merkwürdige Sinnestäuschung? Seit dem morgendlichen Frühstück an Bord der „SSSR-KS 3“ waren fast volle vierundzwanzig Stunden vergangen.
„Was meinst du, was steckt dahinter?“ fragte Melnikow.
„Es ist mir unbegreiflich, Boris Nikolajewitsch.“ „Auch die Luft hat ihre Frische und Reinheit bewahrt. Dabei befinden wir uns in einem verhältnismäßig kleinen Raum, hermetisch abgeschlossen von den Nebenräumen.“ „Also wird die Luft durch irgendwelche Apparate erneuert und gereinigt, die hier installiert sind“, sagte Wtorow. „Möglicherweise werden ihr Nährstoffe in gasförmigem Zustand beigefügt. Daran wäre nichts Ungewöhnliches. Stepan Arkadjewitsch hat einmal erklärt, unsere Ernährungsweise bei Raumflügen sei noch unvollkommen. Ein voller Magen wirke sich im Zustand der Schwerelosigkeit nachteilig aus. Wahrscheinlich haben sich die Phaetonen während ihrer Flüge anders ernährt.“ „Eine bessere Erklärung weiß ich auch nicht.“ „Eine großartige Wissenschaft! Und uns Menschen der Erde fällt sie als Erbe zu.“ „Aber erst einmal müssen wir das Raumschiff retten. Koste es, was es wolle. Das ist unsere Pflicht. Deine Pflicht“, fügte Melnikow lächelnd hinzu.
„Sie sind also endgültig der Meinung, daß nur ich …“ „Es sieht ganz so aus.“ „Ich werde tun, was in meinen Kräften steht. Bestimmt werde ich nicht mehr in Panik verfallen.“ „Von Panik konnte nicht die Rede…“ Kaum hatte er das letzte Wort ausgesprochen, als ihn ein ohrenbetäubender Knall, wie wenn ein Kanonenschuß aus nächster Nähe abgefeuert worden wäre, unterbrach. Unmittelbar vor ihnen zuckte auf der unsichtbaren Wandung eine grelle Flamme auf und erlosch wieder — und gleichsam in der Luft hängend erschien als Brandmal ein dunkler Fleck.
„Ein Meteorit!“ „Aber er hat die Wandung nicht durchschlagen!“ „Er ist aufgeprallt und explodiert. Dieses Metall ist zehnmal fester als Stahl.“ „Ist es überhaupt ein Metall?“ „Du hast recht“, erwiderte Melnikow. „Als Metall kann man es wohl kaum bezeichnen. Aber wie dann? Vielleicht als Legierung? Jedenfalls schützt uns diese Wand zuverlässig vor Meteoriten. In der Nähe der Sonne haben sie eine große Geschwindigkeit.“ „Ich habe gerade vorhin darüber nachgedacht“, sagte Wtorow, „warum die Bäume auf der Venus das Raumschiff wohl nicht am Start gehindert haben. Oder vielmehr, warum sie seinen Rumpf nicht zerquetschten. Die zusammengewachsenen Stämme von zwei, drei Meter Umfang waren doch ein mächtiges Hindernis.“ „Mich wundert etwas anderes. Die Triebwerke des Raumschiffes sind stärker als die Bäume, das ist klar. Aber warum haben wir keinen einzigen Baum mitgerissen? Das ist erstaunlich.“ „Wahrscheinlich, weil sie sehr fest im Boden verwurzelt sind.“ „Ja, und das ist sehr wichtig für unsere Kenntnis von diesen Bäumen. Die zusammengewachsenen Stämme lassen sich leichter auseinanderreißen, als daß sich ein ganzer Baum aus dem Boden ziehen läßt.“ „Ich möchte schlafen“, sagte Wtorow plötzlich.
„Sehr gut“, antwortete Melnikow. „Das ist auch das beste.“ Merkwürdig, dachte er, Gennadi hat das im selben Moment gesagt, als auch ich das Bedürfnis zu schlafen verspürte. Ob die Wissenschaft der Phaetonen auch hierbei ihre Hand im Spiel hat?
In diesem Raumschiff, erbaut von Geschöpfen mit einem Verstand, viel weiter entwickelt als der des heutigen Menschen, war alles möglich. Sie befanden sich inmitten einer künftigen Technik, inmitten einer künftigen Wissenschaft und deren künftiger Anwendungsmethoden zum Nutzen des Menschen. Dies war die Welt des Phaeton und nicht die der Erde. Aber Mutmaßungen anzustellen hatte keinen Zweck. Ihnen blieb nichts weiter übrig, als sich den Lebensgesetzen der Phaetonen zu unterwerfen.
Jetzt ist auch klar, wieso wir gleich nach der Katastrophe schlafen konnten. Unter gewöhnlichen Umständen wäre uns das kaum gelungen, sann Melnikow weiter.
Wtorow hatte indessen die Wände „verdunkelt“. Das Schlafbedürfnis war unüberwindlich geworden. Die Augen fielen ihnen von selbst zu. Kaum lagen sie in den Hängematten, schliefen sie auch schon.
Das Raumschiff der Phaetonen flog von der Venus fort auf die Sonne zu, aber seine „klugen“ Mechanismen behüteten es sorgsam vor Gefahr. Sie lenkten präziser und zuverlässiger als jeder Mensch. Die beiden Männer konnten ruhig schlafen, sie hatten nichts zu befürchten. Sobald ein Hindernis auftauchte, zum Beispiel ein großer Meteorit, wich das Raumschiff rechtzeitig aus. Es manövrierte genau, fehlerlos und behutsam, damit jene, die es beherbergte, nicht Schaden erlitten.
Ein Mensch kann müde werden, aus irgendwelchen Gründen die Klarheit des Denkens einbüßen und einen Fehler begehen.
Eine Maschine aber wird nicht müde, sie begeht keine Fehler.
Sie ist immer „aufmerksam“ und „begreift“ weit schneller als der Mensch.
Wie beim erstenmal schliefen sie volle acht Stunden und erwachten zur gleichen Zeit.
„Jetzt aber an die Arbeit“, sagte Melnikow.