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Beide waren im Vollbesitz ihrer Kräfte. Ihre Körper schienen von unerschöpflicher Energie überzuquellen. Noch nie hatten sie sich so frisch gefühlt. Nach wie vor verspürten sie auch kein Zeichen von Hunger. Ja selbst Durst quälte sie nicht, obgleich sie doch schon lange nichts mehr getrunken hatten.

Womit mochten die Phaetonen ihre unfreiwilligen Gäste speisen und tränken?

„An die Arbeit!“ sagte auch Wtorow.

Die Stunden reihten sich aneinander und wurden unmerklich zu Tagen. Zwei Menschen, zwei ganz gewöhnliche Vertreter des Menschengeschlechts, lebten ein phantastisches Leben in einem phantastischen Raumschiff. Sie schliefen zu bestimmten Zeiten, unabhängig von ihrem Wunsch und Willen. Sie aßen und tranken nichts und verspürten doch weder Hunger noch Durst. Statt zu schwinden, nahmen ihre Kräfte beständig zu.

Das Raumschiff jagte zwischen Venus und Sonne hin und her.

Allmählich lernte Wtorow, es immer sicherer zu steuern, zwang er es, Geschwindigkeit und Richtung nach Wunsch zu ändern.

Immer seltener weigerte sich die Automatik, seinen gedanklichen Befehlen zu gehorchen. Der Mensch der Erde begann die phaetonische Technik zu meistern.

Die beiden Freunde trennten sich niemals; entweder hielten sie sich am Steuerpult oder im Raum daneben auf. In andere Abteilungen zu gehen und den restlichen Teil des Schiris zu untersuchen, konnte sich Melnikow nicht entschließen. Er wollte nichts riskieren. In der Nähe des Pultes waren sie sozusagen schon heimisch geworden. Wer wußte, was sie in den anderen Räumen erwartete. Der „Phaetone“ konnte dort mit allerhand unangenehmen Überraschungen aufwarten.

„Es wird Zeit, einen Entschluß zu fassen“, sagte Melnikow, nachdem mehrere Tage mit pausenlosen „Übungsmanövern“ vergangen waren. „Welche Richtung schlagen wir ein?“ „Sie wollten doch zur Venus zurückkehren?“ „Gewiß, aber jetzt halte ich das für unklug. Seinerzeit nahm ich noch an, uns drohe der Hunger. Zur Erde zu fliegen erschien unmöglich. Jetzt wissen wir, daß wir Hunger nicht zu befürchten brauchen. Ist es da nicht besser, die Erde anzusteuern?“ Bei diesen Worten überlegte Melnikow mit einer gewissen Sorge, wie sie den Flugweg berechnen sollten, da sie doch weder Rechenmaschinen noch sonstige Geräte zur Verfugung hatten.

Auch ein Teleskop für visuelle Beobachtungen besaßen sie nicht.

Optische Geräte oder etwas Ähnliches waren zwar bestimmt an Bord, doch wie sollten sie sie finden?

„Aber unsere Kameraden auf der Venus…“, begann Wtorow zögernd.

„Die haben uns längst abgeschrieben“, unterbrach ihn Melnikow. „Wir dürfen jetzt nur auf die Sicherheit des Raumschiffs bedacht sein. Das Schiff wiegt schwerer als Gefühle. Im leeren Weltraum Manöver auszuführen ist eines, aber etwas ganz anderes ist es, auf einem Planeten zu landen. Uns steht ein äußerst kompliziertes und gefährliches Manöver bevor. Wenn jedoch das Raumschiff bei der Landung auf der Erde beschädigt wird oder gar zerschellt, ist das nicht so tragisch, als wenn es auf der Venus zerschellt.“ „Wenn das so ist, fliegen wir zur Erde.“ „Du stellst dir das recht einfach vor! Aber wie finden wir die Erde? Wie halten wir den richtigen Kurs ein? Ohne Geräte und ohne Beobachtungsmöglichkeiten? Ich schwanke noch, weil ich mir nicht sicher bin. Wäre Konstantin Jewgenjewitsch an meiner Stelle…“ „Was tun wir also?“ „Wir fliegen unbedingt zur Erde“, sagte Melnikow völlig inkonsequent, aber ganz im Einklang mit dem Denkprozeß, der in seinem Innern vor sich gegangen war. Es wird schwer werden, dachte er, sehr schwer. Aber es ist notwendig. Wir müssen schier Unmögliches vollbringen, doch das Raumschiff der Phaetonen muß für die Wissenschaft gerettet werden. Koste es, was es wolle.

„Zur Erde fliegen“, wiederholte er. „Nur zur Erde.“ „Die sehen wir aber doch“, sagte Wtorow, „da können wir das Raumschiff doch auf den richtigen Kurs bringen.“ „Nur auf dem Meer ist es ganz einfach, mit einem Schiff die Küste anzusteuern, Gennadi. Die Küste läuft dir nicht davon, aber die Erde tut es, und zwar sehr schnell. Zwischen ihr und uns liegen fast fünfzig Millionen Kilometer. Mit neunzigprozentiger Sicherheit müssen wir gewärtigen, irgendwo in weitem Abstand an ihr vorbeizusausen.“ „Natürlich können wir“, fuhr er fort, als wolle er sich selbst von etwas überzeugen, „die Flugrichtung dann ändern und wieder vorbeisausen. Das läßt sich endlos wiederholen. Doch wer gibt uns die Gewähr, daß auch die Triebwerke endlos lange arbeiten? Und wer garantiert uns, daß wir unbegrenzte Zeit von der Luft satt werden? Indes, wir haben keine andere Wahl.

Also fliegen wir zur Erde!“ In diesem Augenblick dachte Melnikow nicht an ihr persönliches Schicksal. Eine intakte Landung des schweren Raumschiffs auf der Erde hielt er für unmöglich. Natürlich würde das Schiff zerschellen. Aber während seine Bruchstücke auf der Venus völlig nutzlos waren, konnte man sie auf der Erde auswerten.

Es ist unsere Pflicht, dachte er. Entweder wir erreichen wie durch ein Wunder die Heimat, oder wir verschwinden für immer im All. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.

„Zur Erde!“ „Also fliegen wir zur Erde“, stimmte Wtorow zu. Er wurde nicht von Zweifeln geplagt. Sein Glaube an Melnikow war unerschütterlich: Boris Nikolajewitsch konnte alles. „Wenn wir uns der Erde nähern, wird man uns schon bemerken.“ Was hatte Wtorow da eben gesagt? Melnikow durchzuckte es wie ein elektrischer Schlag. „Sie werden uns bemerken.“ Natürlich werden sie uns bemerken! Sie haben es sicher schon längst getan. Mit Hilfe der mächtigen Teleskope in den Observatorien mußten die Astronomen den unbekannten Himmelskörper in der Nähe der Venus entdeckt haben. Und wenn Belopolski mit der „SSSR-KS 3“ aufgestiegen war und der Erde das Vorgefallene mitgeteilt hatte, wußte man dort auch bereits, was für ein Körper das war. Daß ich nicht von selbst darauf gekommen bin.

Das ändert die Situation von Grund auf.

„Es heißt nicht umsonst, vier Augen sehen mehr als zwei“, sagte Melnikow. „Ich habe mich geirrt, als ich unsere Aussichten gering nannte. Nein, sie sind gut, Gennadi! Du hast meine letzten Bedenken zerstreut. Auf zur Erde! Unseren Freunden entgegen! Ich bin ein Esel und nichts weiter.“ „Das müssen Sie mir erklären!“ sagte Wtorow verständnislos.

„Die Sache ist ganz einfach. Wir sind im All nicht verlassen.

Hunderte von Augen verfolgen uns. Sergej Alexandrowitsch Kamow ist über alles unterrichtet. Die Rettung des Raumschiffes Legt in seiner Hand. Du sagtest, man werde uns bemerken.

Nein, Gennadi, man hat uns schon bemerkt. Und ich zweifle nicht, daß auch die notwendigen Maßnahmen eingeleitet sind.

Fliegen wir zur Erde. Man wird uns Hilfe entgegenschicken.“ Wtorow begriff.

„Aber warum hat uns dann die,KS 3‘ bis jetzt nicht eingeholt?“ „Weil die Genossen zwar gleich nach uns aufstiegen, dann aber unseren Untergang meldeten und auf die Venus zurückgekehrt sind. Die Verbindung mit der Heimat ist wieder unterbrochen. Doch die Observatorien auf der Erde haben die Suche aufgenommen und uns entdeckt. Aus den Manövern, die du ausführtest, müssen sie geschlossen haben, daß wir beide noch am Leben sind. Das übrige kann man sich an fünf Fingern abzählen. Sie schicken von der Erde ein Raumschiff, wenn sie es nicht schon getan haben. Fliegen wir ihm also entgegen.“ Der „Phaetone“ nahm Kurs auf die Erde.

Sie ahnten nicht, in welche Verzweiflung ihre Freunde an Bord der „SSSR-KS 3“ durch diese neue Kursänderung gestürzt wurden und wie nahe ihnen die Hilfe bereits gewesen war. Hätten sie ihre bisherige Flugrichtung noch einige Stunden beibehalten, wären sich beide Raumschiffe begegnet, und die Odyssee hätte ein Ende gefunden. So aber änderten sie leichten Herzens den Kurs und entfernten sich wieder von jenen, die sie herbeigesehnt hatten.

Zu diesem Zeitpunkt empfing Belopolski im Kommandoraum der „SSSR-KS 3“ einen Befehl Kamows: Die Erde hielt eine weitere Verfolgung für zwecklos. Sieben gefährliche Kurvenmanöver hatten der Besatzung übel mitgespielt. Kamow forderte sofortige Rückkehr „nach Hause“.