Durch die Außenwand sahen sie die drei Kameraden, die ihnen zu Hilfe kamen, ganz nahe vor sich. Knjasew legte gerade die Hände auf die Quadrate. Das Fünfeck in der Mitte war anscheinend schon in die richtige Stellung gebracht worden.
„Sie werden die Tür nicht aufkriegen“, sagte Wtorow.
„Warum nicht?“ Melnikow verstand ihn nicht sofort.
„Weil sich die Quadrate nur sehr schwer reindrücken lassen.“ „Stimmt, Gennadi! Das haben sie nicht vorausgesehen.“ Auch die drei Kosmonauten draußen hatten offenbar gemerkt, daß sie die Quadrate auf diese Weise nicht hineindrücken konnten. Man sah sie lebhaft miteinander, vielleicht auch mit der „SSSR-KS 3“ beratschlagen. Die Aufgabe schien tatsächlich unlösbar zu sein.
Im Weltraum ist der Mensch bei gleichmäßiger und geradliniger Vorwärtsbewegung gewichtlos. Die Muskelkraft seiner Arme ist zwar geblieben, aber wie kann er sie anwenden, wenn nichts da ist, um sich dagegenzustemmen, wenn er keinen festen Stützpunkt hat? Die glatten Wände der zentralen Kugel wiesen außer den Quadraten keinen einzigen Vorsprung auf. Dabei mußten gerade die Quadrate kräftig hineingedrückt werden.
„Vielleicht läßt sich die Außentür auch durch gedanklichen Befehl von innen öffnen?“ meinte Wtorow.
„Kaum! Aber probier‘s!“ Wie zu erwarten, mißlang der Versuch. So diszipliniert auch das Denken der Phaetonen gewesen sein mochte, sie hatten es unmöglich darauf ankommen lassen können, daß der unwillkürliche Gedanke eines einzelnen das Leben der ganzen Mannschaft in Gefahr brachte. Die Außentür ließ sich nur mechanisch öffnen. Sollte das von innen erfolgen, mußte man sich in die Kugel selbst begeben; das aber konnten Melnikow und Wtorow nicht, da sie keine Raumanzüge trugen.
„Eine dumme Geschichte!“ sagte Melnikow.
Wtorow klopfte an die Wandung, aber die drei Kameradan draußen bemerkten es nicht, da keiner von ihnen die Hand direkt am Raumschiff hatte.
„Was werden sie machen?“ „Ich weiß es nicht. Aber irgend etwas wird ihnen bestimmt einfallen. Sie gehören nicht zu denen, die vor Schwierigkeiten kapitulieren.“ Die drei Kosmonauten schienen sich noch immer zu beraten.
Paitschadse sagte offenbar gerade etwas zu Belopolski, denn er hatte den Kopf der „SSSR-KS 3“ zugewandt. Er vernahm die Antwort und nickte.
„Gut!“ Melnikow und Wtorow errieten das Wort aus seiner Mundbewegung.
Eine Pause trat ein. Die drei draußen und die beiden drinnen schwiegen.
So vergingen etwa zwanzig Minuten.
Dann flog, eine grüne Spur hinter sich lassend, eine vierte Gestalt zum Zentrum. Melnikow und Wtorow erkannten Romanow. Er hatte eine Rolle dünner Stahltrosse in der Hand.
„Na klar!“ sagte Melnikow. „Das Einfachste und Selbstverständlichste!“ Wie sich hinterher herausstellte, waren alle Kosmonauten soqleich auf diesen Ausweg verfallen, mit Ausnahme von Melnikow und Wtorow.
Die Trosse wurde um die radiale Röhre geworfen, besser gesagt, das eine Ende wurde um die Röhre herumgelegt. Das deiche geschah mit dem anderen Ende jenseits der zentralen Kugel. Die Karabinerhaken schnappten ein, und fertig war die Doppelschlaufe — ein ausgezeichneter Stützpunkt.
Knjasew stemmte sich mit den Füßen gegen die Wandung und mit dem Rücken gegen die Trosse. So konnte er mit aller Kraft auf die Quadrate drücken.
Menschlicher Geist hatte über ein Gesetz des leeren Raumes gesiegt.
Die fünfeckige Tür wurde trübe, „schmolz“ und verschwand.
Ihr hartes Metall wandelte sich zu Leere. Leere aber mußte unvermeidlich auch im Innern der facettierten Kugel, dem Raumschiffzentrum, entstehen.
Mußte — doch war das wirklich der Fall?
Was nach dem Öffnen der Tür geschah, ließ die Kosmonauten cti dieser scheinbar unanfechtbaren Wahrheit zweifeln.
Melnikow und Wtorow sahen, wie Paitschadse sich von der Trosse abstieß und, in der offenkundigen Absicht, hineinzugelangen, auf die Öffnung zuflog. Gleich darauf aber schnellte er, als ob er auf ein unsichtbares elastisches Hindernis getroffen sei, heftig zurück.
Knjasew erging es nicht anders.
Der Eingang zum „Phaetonen“ schien offen. Das Licht der Scheinwerfer an den Helmen drang ungehindert durch die Öffnung. Man sah die steinerne Schale und die spitzwinkligen Facetten an den Wänden. Aber etwas Unbegreifliches, Unsichtbares hinderte die Männer, ins Innere zu gelangen.
Was war das? Auf der Venus hatte es doch kein Hindernis gegeben.
Die Antwort drängte sich von selbst auf. Diesmal waren, wie sich dann herausstellte, alle gleichzeitig darauf gekommen.
„Liebe, kluge Phaetonen“, hatte Wtorow einmal gesagt. Wirklich, sie waren sehr klug gewesen. Die Wissenschaft der untergegangenen Welt hatte auf einem unvergleichlich hohen Niveau gestanden und ihre Technik die schwierigsten Aufgaben mit Leichtigkeit gelöst.
So verhielt es sich auch mit dem Schutz des Raumschiffs vor der Luftleere. Weder Ausgangsschleusen mit doppelten Türen noch Filterkammern hatten die Phaetonen benötigt. Selbst bei geöffneter Tür konnte man sich ohne Raumanzug in der zentralen Kugel aufhalten. Die Luft des Raumschiffs entwich nicht.
Auch nicht im luftleeren All.
Paitschadse und Knjasew versuchten es erneut; Knjasew stemmte sich mit den Füßen gegen die Trosse, mit den Händen hielt er sich an der Türschwelle fest. Über diese lebende Brücke näherte sich Paitschadse der fünfeckigen Öffnung. Mit sichtlicher Anstrengung überwand er die „Leere“ und befand sich nun im Innern. Ihm folgte auf die gleiche Weise Andrejew.
Romanow und Knjasew blieben draußen. Offenbar auf Befehl Belopolskis, der nicht allzuviel Männer gleichzeitig in Gefahr bringen wollte.
Die fünfeckige Öffnung überzog sich wieder mit Metall und verschwand.
Es gab keinen Zweifeclass="underline" An Stelle der Tür hatte sich ein dichter Vorhang aus einer Substanz gebildet, die unsichtbar war wie die Luft, gleichzeitig aber auch undurchdringbar für die Luft. Durch diesen Vorhang schützten die Phaetonen ihr Raumschiff vor dem Vakuum. Ein Mensch konnte, wenn auch mit Mühe, durch den Vorhang dringen, die Luft konnte es nicht.
Das war einfach und bequem.
Was füllte die scheinbare Leere der Öffnung? Wie alle Rätsel der Phaetonen würde auch diese Frage sich erst auf der Erde beantworten lassen, und auch dann noch nicht mit Sicherheit.
Der Unterschied zwischen der Wissenschaft der Erde und der des Phaeton war zu groß. Der Rückstand zur viel älteren Welt der Phaetonen ließ sich nicht mit einem Male aufholen.
Wtorow öffnete die Tür von der radialen Röhre zum Zentrum.
Er und Melnikow erstickten fast in den buchstäblich eisernen Umarmungen der Genossen.
Ohne ein Wort zu sagen, nahmen die „Hausherren“ ihren Gästen die durchsichtigen Helme ab.
„Keine Angst!“ beruhigte sie Melnikow. „Wir Menschen können die Luft hier unbedenklich atmen.“ „Das sehe ich selbst“, entgegnete Andrejew, die „Phaetonen“ erstaunt betrachtend. „Ich sehe es — und begreife nichts. Wir erwarteten, euch hier halb verhungert vorzufinden. Aber wenn man euch so sieht, kann man das nicht gerade behaupten.“ „Aber wir sind halb verdurstet. Gib uns Wasser.“ „Bitte sehr!“ Andrejew öffnete einen Metallbehälter, den er über der Schulter hängen hatte und der alles enthielt, was für die Erste Hilfe benötigt wurde. Eine große Flasche kam zum Vorschein.
„Trinkt, soviel ihr mögt. Aber ich muß sagen, man sieht euch zehn Tage Durst nicht an.“ „Das ist auch nicht gut möglich.“ Wahrend Wtorow seinen Durst stillte, berichtete Melnikow kurz, wovon sie sich während der ganzen Zeit „ernährt“ hatten.
„Erklären kann ich dieses,Wunder‘ nicht“, schloß er.
„Ja, das ist wirklich toll.“ Paitschadse lächelte.
„Verdammt“, sagte Wtorow, „ich habe gar nicht gemerkt, wie ich das ganze Wasser ausgetrunken habe.“ Er machte ein todunglückliches Gesicht.