Gleich nach Belopolskis Beisetzung nahm Melnikow einen sechswöchigen Urlaub und verreiste mit seiner Frau.
In einem stillen Städtchen in der Ukraine ließ er sich nieder, um ein Buch über den Flug der „SSSR-KS 3“ zu schreiben.
Niemand hatte ihm auch nur ein einziges vorwurfsvolles Wort gesagt, dennoch war er überzeugt, daß man ihm nie wieder ein Raumschiff anvertrauen würde. War es nicht seine Schuld, daß der „Phaetone“ jetzt auf der Ceres lag und für die Wissenschaft verloren war? Wennschon nicht für immer, so doch für lange Zeit. Und Belopolskis Tod? War nicht der nämliche verhängnisvolle Entschluß die mittelbare Ursache auch dafür gewesen?
Melnikow bereute tief, daß er sich nicht pflichtgemäß mit Kamow beraten hatte. Und weshalb nicht? Nur weil Belopolski gesagt hatte: „Entscheide selbst!“ Die Entscheidung, den „Phaetonen“ zur Ceres zu schicken, erschien ihm hier, auf der Erde, als der Gipfel der Dummheit.
Was war er schon für ein „Sternenkapitän“, wenn er es fertigbrachte, so falsche Entschlüsse zu fassen!
Die Weiten des Alls lockten ihn nach wie vor. Er wußte, daß ihm keine Tätigkeit auf der Erde den Kosmos mit seinen Geheimnissen ersetzen konnte, daß für ihn nichts dem fesselnden Kampf mit der Natur auf dem für den Menschen schwierigsten Gebiet gleichkam.
Und allmählich reifte in ihm ein Entschluß.
Er schrieb Kamow einen Brief. Darin bat er, man möge ihm als höchste Gunst erlauben, an der nächsten Expedition als einfaches Mitglied teilzunehmen. „Ich habe meinen früheren Beruf nicht verlernt“, schrieb er, „ich bitte, mir die Filmaufnahmen zu übertragen. Ich weiß, daß ich der Bezeichnung Kosmonaut nicht mehr würdig bin, aber ich verspreche, alles daranzusetzen, wieder einer zu werden.“ Er erhielt keine Antwort darauf.
„Wenn wir wieder in Moskau sind“, sagte er zu seiner Frau, „reiche ich meine Kündigung ein und gehe für immer vom Kosmischen Institut fort. Ich kehre zur Journalistik zurück.“ Olga sagte kein Wort und lächelte nur. Melnikow meinte, auch sie habe den Glauben an ihn verloren.
Die Lust, weiter an seinem Buch zu schreiben, war ihm vergangen, immer mehr verfiel er in Trübsinn. In den Zeitungen las er von den Vorbereitungen zu einer großen Expedition zweier Raumschiffe zur Venus und beneidete seine ehemaligen Kameraden glühend.
Seine ehemaligen! Er war überzeugt, daß sie auch von ihm als von einem „Ehemaligen“ sprachen.
Olga beobachtete ihren Mann aufmerksam. Auf Anweisung ihres Vaters tröstete sie ihn nicht und machte ihm auch keine Hoffnungen. Kamow hatte eine „moralische Quarantäne“ verordnet. Sie schrieb dem Vater regelmäßig und hielt ihn über alles, was Melnikow sagte und tat, auf dem laufenden.
Der Urlaub neigte sich seinem Ende zu.
Eines Tages traf ein Brief vom Kosmischen Institut ein.
„Wahrscheinlich kommen sie meiner Absicht zuvor“, sagte Melnikow, während er den Umschlag in den Händen hin und her drehte. „Das ist bestimmt meine Entlassung.“ „Wozu herumraten?“ meinte Olga. „Lies doch lieber.“ Bereits nach den ersten Zeilen sprang Melnikow vom Stuhl auf. „Das ist doch nicht möglich!“ „… sagte ein Mann, als er im Zoo eine Giraffe sah.“ Olga schmunzelte.
Melnikow blickte sie erstaunt an.
„Weißt du denn, was drinsteht?“ fragte er.
„Gewiß“, antwortete Olga, immer noch schmunzelnd. „So lies doch!“ „Das ist häßlich von dir. Warum hast du mir nichts davon gesagt?“ „Dein Lehrer, das ist mein Vater, er hat es so angeordnet.
Frag ihn selbst. Ich weiß nicht, was er damit bezweckte.“ Zum erstenmal in diesen sechs Wochen lächelte Melnikow.
„Sergej Alexandrowitsch hat wie immer recht. Seine Medizin hat angeschlagen.“ Dann las er laut vor: „In der Anlage übersenden wir Ihnen eine Kopie des Schreibens, mit dem das Kosmische Institut der Akademie der Wissenschaften der UdSSR Sie zum Leiter einer englisch-russischen Expedition zum Planeten Venus ernennt, und bringen hiermit unsere Freude und Genugtuung über diese dem allgemeinen Wunsch entsprechende Ernennung zum Ausdruck.
Wir sind stolz darauf, daß Sie, der erprobte Kapitän und erfahrenste Kosmonaut, bei dieser schwierigen, verantwortungsvollen Arbeit an unserer Spitze stehen werden. Wir erwarten Sie!
Im Namen der Besatzung des Raumschiffs,SSSR-KS 4‘ — Paitschadse.
Im Namen der Besatzung des Raumschiffs,Prince of Wales‘ — Jenkins.“ Darunter war mit der Hand geschrieben: „Gratuliere! Freue mich und bin stolz auf Dich. Sergej Kamow.“ Und wieder glänzten in den Weiten des Alls, silbernen Punkten gleich, die metallenen Körper von Raumschiffen in den Strahlen der Sonne. Wieder traten Verstand und Wille des Menschen zum Kampf mit dem Kosmos an, wenn auch vorerst noch in den Grenzen unseres Sonnensystems!
Aber die Zeit war nicht mehr fern, da selbst die Sonne für die Besatzungen der Raumschiffe zu einem kleinen Stern werden würde, da sich dem Menschen die Weiten des großen Universums öffneten.
Unsere Erde ist klein. Nur wenig erblickt man durch den dichten Vorhang ihrer Atmosphäre, und dem Menschen wurde es zu eng auf ihr.
Schwach sind die Körperkräfte des Menschen. Aber seinem mächtigen Verstand ist alles erreichbar.
Wissenschaft und Technik ersetzen, was die Natur versagt hat.
Das Unmögliche wird selbstverständlich. Die Natur gibt eine Position nach der anderen auf.
Der Vormarsch des Geistes dauert an. Er wird weiter andauern, solange der Geist existiert. Und der ist ewig!
Epilog
Das Wort „Epilog“ bedeutet „Schlußwort“. Seinem Sinn nach hat es kurz zu sein.
Der Verfasser bittet den Leser daher um Entschuldigung, daß er von dieser Regel abweicht. Sein Epilog ist lang. Genaugenommen ist er fast ein Buch für sich. Aber die innere Logik des Stoffes hat den Autor bewogen, so regelwidrig zu verfahren.
Diejenigen Leser, die sich für die Geheimnisse des Phaeton nicht interessieren, brauchen den Epilog nicht zu lesen.
Melnikows Geschichte aber ist zu Ende. Der Verfasser hat erzählt, wie sein Held zur Raumfahrt kam und wohin ihn dieser Weg geführt hat.
Er wollte damit sagen: „Widmet euch mit ganzem Herzen eurer Aufgabe! Und ihr werdet Erfolg haben!“ Einen Menschen wie Melnikow gibt es noch nicht auf der Erde. Aber es wird ihn geben! Denn alles, wovon in diesem Buch die Rede war, steht schon nahe bevor.
Natürlich wird alles ganz anders sein. Andere Bilder werden sich dem Auge der Kosmonauten auf dem Mars, der Venus sowie den anderen Planeten und Asteroiden darbieten. Aber das Wesentliche, die Eroberung des kosmischen Raumes, wird Wirklichkeit werden!
Ohne Teilnahme von Menschen aber ist diese künftige Wirklichkeit nicht möglich. Also wird es Kamows, Belopolskis und Melnikows geben. Natürlich werden sie andere Namen tragen.
Sie werden sich anders verhalten. Ihr Schicksal wird anders sein.
Aber das edle Streben, dem Menschen der Erde die Weiten des Weltalls zu erobern, wird ihnen ebenso eigen sein wie den Helden dieses Buches. Denn ohne leidenschaftliches Wollen, selbstlose Hingabe und Mut kann man nicht zum Kampf gegen den Kosmos antreten!
Im Eis der Antarktis
Vier völlig gleiche Behälter!
Sie enthielten, wenn man dem Film der Phaetonen glauben durfte, den Melnikow und Wtorow zweimal gesehen hatten, etwas außerordentlich Wichtiges. Wichtig für wen? Für die Menschen oder für die Phaetonen selbst? Es war anzunehmen, für die Menschen. Davon zeugte die sorgfältige Vorbereitung.
Alles war getan worden, um den Menschen zu berichten, wieso das Raumschiff auf die Venus gekommen war, und zum Schluß war genau die Stelle bezeichnet worden, an der die Behälter versteckt lagen.
Mehr noch. Die Phaetonen hatten viele Jahre auf der Venus gelebt. Neben dem Raumschiff aber hatte man nichts Ähnliches gefunden, wie es von ihnen auf der Arsena zurückgelassen worden war. Dabei schien es doch natürlicher und logischer, sie hätten die Granitfiguren auf der Venus errichtet und ihren „Schatz“ dort vergraben. Oder auf der Erde.