„Haben Sie sich weh getan?“ fragte Wtorow.
„Ja, sehr“, antwortete Melnikow. „Mir brummt sogar der Schädel. Ich bin zu kräftig abgesprungen. Springt ganz behutsam. Als wolltet ihr auf der Erde nur einen Schritt tun.“ „Vorsichtiger sein!“ In den Helmen erklang Belopolskis Stimme. „Boris Nikolajewitsch, Sie werden wohl am besten an Bord zurückkehren, wie?“ „Nein“, antwortete Melnikow. „Ich bin nicht verletzt. Beim nächsten Mal werde ich mich mehr vorsehen. Na, worauf wartet ihr noch?“ fragte er seine Begleiter, als er sah, daß sie sich nicht vom Fleck rührten.
„Mir ist nicht ganz geheuer zumute!“ sagte Korzewski.
Sich zu einem solchen Sprung zu entschließen war keine Kleinigkeit. Die gigantische Schlucht war so tief, daß keiner bis auf den Grund sehen konnte. Es schien unvorstellbar, daß ein Mensch ohne Anstrengung hundert Meter weit springen könnte.
Der an irdische Maßstäbe gewöhnte Verstand sträubte sich, das soeben Gesehene zu glauben.
„Nur Mut!“ hörte Korzewski Paitschadse ermunternd sagen.
Der Biologe schämte sich. Die Kameraden an Bord würden sagen, daß er Angst habe. Er trat einen Schritt zurück und sprang mit aller Kraft.
„Was tun Sie?“ rief Wtorow.
Aber es war schon zu spät. Wie ein Stein, der von einer Schleuder emporgeschnellt wird, flog Korzewski aufwärts über den Abgrund.
Zu langen Überlegungen blieb keine Zeit. Melnikow tat das erste beste, was ihm einfiel — er sprang empor und fing den Genossen im Fluge ab.
Die beiden prallten heftig aneinander, fielen zu Boden und rollten noch ein Stück weiter.
„Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollten sich nur abfedern, als wollten Sie einen einzigen Schritt tun“, rief Melnikow aufstehend, „und Sie…“ Er besann sich auf seinen eigenen Sprung und schloß in verändertem Ton: „Man muß doch beherzigen, was einem gesagt wird.“ „Entschuldigen Sie“, sagte Korzewski betreten. „Ich werde mir Mühe geben, daß so was nicht noch einmal passiert. Sind Sie meinetwegen arg gestürzt?“ „Springen Sie, Wtorow!“ raunzte Melnikow.
In der Aufregung über das soeben Überstandene war ihm entfallen, daß das Schreien nichts nützte. Die Sprechanlage in ihren Helmen arbeitete auch so gut genug.
Dem Ingenieur gelang der Sprung bedeutend besser als seinen Genossen. Weich federnd landete er neben Melnikow.
„Ein Prachtkerl!“ hörten sie Paitschadse sagen.
„Mir ist fast das Herz stehengeblieben, als Sie sprangen“, sagte Wtorow zu Korzewski. „Gut, das Boris Nikolajewitsch Sie rechtzeitig abgefangen hat. Sie hätten sich das Schauglas an Ihrem Helm zerschlagen können.“ „Diese Gefahr bestand auch bei mir“, sagte Melnikow friedfertig. „Gehen wir weiter!“ Doch eigentlich konnten sie nirgendwohin gehen. Ringsum erhoben sich steile Felsen. Melnikow schätzte sie ab.
„Sechzig Meter“, sagte er. „Auf dem Mond hatte ich es schnell heraus, wieviel Kraft man für eine bestimmte Entfernung jeweils brauchte. Hier müssen wir noch unsere Phantasie spielen lassen.
Jeder sollte sich vor Augen halten, daß eine Höhe um soviel geringer einzuschätzen ist, wie die Schwerkraft hinter der irdischen zurückbleibt. Sechzig Meter auf der Arsena entsprechen einem Viertelmeter auf der Erde. Für alle Fälle werden wir ein bißchen mehr veranschlagen.“ Er duckte sich und sprang empor.
Die Wirkung war verblüffend. Melnikow flog doppelt so hoch, wie es nötig gewesen wäre. Einen Augenblick hing er in hundert Meter Höhe, dann sank er langsam auf den Gipfel zu.
Unter sich erblickte er das breite Panorama der Felsen, das von einem befremdlich nahen Horizont begrenzt wurde, und die winzigen Gestalten seiner Genossen. Dicht neben ihnen erglänzte im Schein der Sonne das Dach des Raumschiffes.
Die Fallgeschwindigkeit nahm allmählich zu. Melnikow überlegte fieberhaft, ob er wohl auf dem Gipfel landen würde.
Auf der Erde wäre er längst zu Boden gestürzt und zerschellt.
Hier aber fiel er schon zehn Sekunden lang und befand sich immer noch in großer Höhe. Im Helmlautsprecher hörte er die Kameraden sich aufgeregt unterhalten.
„Meiner Meinung nach wird er ganz oben auf dem Gipfel landen“, hörte Melnikow Professor Balandin sagen.
„Ich denke auch“, antwortete Belopolski. „Dem Bildschirm nach zu urteilen, wird Boris Nikolajewitsch fünfzig, sechzig Meter fallen. Das dauert etwa eine Minute.“ „Und er wird nicht zerschmettert werden?“ fragte Wtorow.
„Nein. Die Fallgeschwindigkeit beträgt am Ende des Falls nicht mehr als zwei Meter in der Sekunde.“ „Aber wenn er nun nicht auf den Gipfel trifft, wenn er vorbeifällt?“ „Das wäre auch nicht schlimm“, antwortete Melnikow selber.
„Aber — ich bin schon gelandet.“ Tatsächlich war er gerade in diesem Augenblick auf dem obersten Gipfel angelangt und schaltete sogleich die Sohlenmagneten ein, um Halt zu finden.
Oben befand sich eine verhältnismäßig ebene Fläche, an die sich ein sanft abfallender Hang anschloß. Ein Stück weiter tat sich wieder ein breiter Abgrund auf.
„Die Arsena eignet sich wenig zum Spazierengehen“, sagte Melnikow, nachdem er den Gefährten seine Beobachtungen mitgeteilt hatte.
Korzewski und Wtorow gesellten sich zu ihm. Sie nutzten Melnikows Erfahrungen und berechneten für ihren Sprung nur einige Meter.
„Einfach phantastisch!“ stellte Korzewski fest.
Die zweite Schlucht überwanden sie leicht und sicher. Ihre Muskeln paßten sich den ungewöhnlichen Bedingungen an.
Eine sensationelle Entdeckung
Die Landschaft zeigte überall einen gleichförmig ungebärdigen Charakter. Es gab nur Felsen, Schluchten und Spalten. Gehen konnten die Männer in den seltensten Fällen. Meist mußten sie springen. Vorwärts, nach oben oder nach unten. Nach einer Stunde hatten sie sich bereits so daran gewöhnt, daß sie ohne jede Vorbereitung alle drei zugleich über die Hindernisse sprangen.
Wenn sie mal ein verhältnismäßig ebenes Gelände durch- 65 querten, sprang einer von ihnen mit aller Kraft empor und schilderte seinen Kameraden aus luftiger Höhe, von der aus sich ein weiter Rundblick bot, was er sah. Dann fiel er so langsam wieder herunter, daß er obendrein noch eine Geländeskizze anfertigen konnte. Das half ihnen beim Vorwärtskommen.
Selbstverständlich fotografierten sie bei solchen Sprüngen die Arsena aus der Vogelperspektive: Wtorow — mit der Kamera, seine Genossen — mit Fotoapparaten.
„SSSR-KS 3“ war längst den Blicken der Sternfahrer entschwunden. Sie zogen allein durch das chaotische Felsengewirr.
Wie nicht anders zu erwarten, fanden sie nirgends eine Spur von Vegetation. Überall nur nackter Fels vorwiegend grauer Farbe.
Manchmal gingen sie unter überhängenden Felsen hindurch, und es bot sich ein interessantes Bild. Kaum hatte der Schatten einen Menschen umfangen, war dieser sogleich den Blicken entschwunden, als hätte er sich im Dunkel aufgelöst. Die Ursache für diese Erscheinung war das Fehlen einer Atmosphäre, die auf der Erde die Strahlen der Sonne zerstreut und sogar im dichtesten Schatten völlige Finsternis verhindert. Der Helmscheinwerfer flammte dann auf, und durch die finstere Leere geisterte eine geheimnisvolle weiße Scheibe.
An freien Stellen war es beinahe heiß, aber wenn sie in den Schatten kamen, umfing den Körper sogleich bittere Kälte; sie mußten schleunigst die elektrische Heizung einschalten.
Oft stießen sie auf tiefe Felsspalten. Eine von ihnen zog sich so weit ins Innere eines Berges, daß die Kundschafter kehrtmachten, ehe sie ans Ende gelangt waren.
Sie gingen an keiner Felsspalte vorüber, ohne sie gründlich zu untersuchen. Die Spalten erreichten selten zwei Meter Breite, sie waren schmal und sehr tief. Ein Sternfahrer sicherte sich mit einer Schnur, die so dünn war, daß sie auf der Erde nicht einmal einen Säugling gehalten hätte, und die Kameraden ließen ihn hinunter. Bei einem solchen Abstieg entdeckte Wtorow rötliches Gestein. Er schlug ein ordentliches Stück ab und stieg wieder hinauf.