„Als stellvertretender Kommandant“, sagte er, „muß ich fast die ganze Zeit an Bord bleiben …“ „Ich weiß“ — Olga fiel ihm ins Wort —, „eure Expedition ist von Gefahren umlauert. Mit diesem Gedanken habe ich mich schon abgefunden und mache mir deswegen keine Sorgen mehr.“ Ihr bleiches Gesicht sprach von etwas anderem.
Peinliches Schweigen trat ein.
„Ich glaube, für heute genügt es“, meinte Orlow. „Olga Sergejewna ist sicherlich müde.“ „Nirgends hat man hier Gelegenheit, sich zu setzen!“ sagte Melnikow ärgerlich. „Auf dem Fußboden könnten wir ausruhen.
Er ist weich.“ „Wir werden lieber hinausgehen.“ Olga sah ihren Mann mit sanftem Vorwurf an. „Ihm macht es nichts aus, Tage und Nächte auf seinem Schiff zu verbringen“, setzte sie, an Orlow gewandt, hinzu.
Nachdem sie lange von einem Korridor in den anderen gegangen waren, gelangten sie endlich zu einer Ausgangsschleuse.
„Auf eurem Schiff kann man sich verlaufen wie in einer fremden Stadt“, sagte Olga, als sie wieder auf dem Boden der Startbahn stand.
Mit einem Gefühl der Erleichterung blickte sie zum blauen Himmel hinauf, der zwischen der steilen Wand des Grabens und der Bordwand des Weltraumschiffes hindurchlugte, und dachte, daß es auf der Erde immerhin besser sei als in der düsteren Unendlichkeit des Weltalls.
Wann werden diese gefahrvollen Flüge aufhören? Wann wird er für immer bei mir bleiben? sann Olga. — Ach, wenn er doch krank würde und immer auf der Erde bleiben müßte!
Aber sie kannte die eiserne Gesundheit ihres Mannes sehr gut. Ein tiefer Seufzer entrang sich ihrer Brust.
Start in die Ferne
Der 20. Juni zeigte sich als ein ausgesucht schöner Tag. Keine einzige Wolke stand am Himmel, und ein lauer Wind spielte mit den bunten Fahnen auf dem eisernen Zaun des Raketenstartplatzes. Das Flugfeld, das über Nacht von Sprengwagen gründlich besprengt worden war, erglänzte feucht in makelloser Sauberkeit. Der interplanetare Bahnhof, ebenfalls mit Fahnen geschmückt und innen und außen gründlich in Ordnung gebracht, sah festlich aus, wie es sich für den feierlichen Tag gehörte.
Schon am frühen Morgen wimmelten die Straßen von Autos.
Die meisten allerdings blieben im Weichbild der Stadt und umlagerten den Raketenstartplatz. Ein Omnibus nach dem anderen kam an, und immer mehr Moskauer strömten herbei, um den Start von „SSSR-KS 3“ mitzuerleben.
Nach Kamowsk konnte man nur mit Sonderausweisen hinein.
Den Bahnhof selbst durften noch weniger Menschen betreten.
Die meisten mußten mit einem Platz in der Umgebung der Stadt vorliebnehmen, und bereits gegen zehn Uhr sah man hier überall Menschenmengen, und die Luft hallte wider von Stimmengewirr. Noch die abgelegensten und schlechtesten Straßen standen voller Autos und Omnibusse. Die Fernverkehrsstraße blieb denen vorbehalten, die in die Stadt hineinfahren durften.
Tausende Neugierige, die die Kosmonauten sehen wollten, säumten sie und drängten fast bis zur Mitte der Fahrbahn vor, so daß die Autos kaum weiter konnten. Sie mußten abbremsen und wanden sich buchstäblich zwischen den lebenden Mauern hindurch.
Wenn ein Expeditionsteilnehmer vorüberfuhr, wurde er stürmisch begrüßt. Die meisten Menschen erkannten die Sternfahrer wieder, weil sie deren Bilder in den Zeitungen gesehen hatten.
Einige erkannten sie auch an der braunen Lederkombination.
Gegen elf Uhr lichtete sich der Strom der Kraftfahrzeuge, aber niemand wich von der Chaussee. Alle warteten auf Kamow.
Bis auf ihn waren alle Besatzungsmitglieder von „SSSR-KS 3“ vorübergefahren. Jetzt wollten die Menschen den berühmten Konstrukteur und ersten Sternfahrer der Welt sehen, der schon zu Lebzeiten ein legendärer Held geworden war.
In der Bahnhofshalle hatten sich alle versammelt, die zum Start eingeladen worden waren. Regierungsmitglieder, Mitarbeiter des Kosmischen Instituts, Wissenschaftler, Verwandte und Freunde umringten die kühnen Männer, die an diesem Tage die Erde verlassen und mutig eine lange Fahrt, die voll unbekannter Gefahren war, antreten wollten.
Belopolski und Melnikow standen an der Glastür, die auf das Flugfeld hinausführte. Neben ihnen standen Olga, Serafima Petrowna Kamowa und Belopolskis Schwester, eine grauhaarige alte Frau, seine einzige Verwandte. In ihrer Nähe saß Paitschadse mit Frau und Tochter auf einer Polsterbank.
Melnikow und Olga waren äußerlich ruhig. Nur die Blässe ihrer Gesichter und die Schatten unter ihren Augen verrieten, daß sie die Nacht nicht geschlafen hatten und ihnen die Trennung schwerfiel — sie hatten schon zu Hause voneinander Abschied genommen, weil sie vor anderen nicht gern ihre Gefühle zeigten.
Belopolski und Paitschadse waren wie immer. Nina Artschillowna lachte sogar. Es war für sie nichts Neues mehr, daß sie ihren Mann zu einer Fahrt in den Kosmos verabschiedete. Sie begleitete Arsen Georgijewitsch das fünfte Mal zum Start. Marinas hübsches kleines Gesicht war verzerrt, und Tränen hatten ihre Augen gerötet. Doch vor den anderen weinte sie nicht. Sie hielt die Hand ihres Vaters in der ihren und sah ihn unverwandt an.
Dem Beispiel ihrer Vorgesetzten nacheifernd, gaben sich alle Expeditionsmitglieder Mühe, ruhig zu wirken, aber manch einem gelang es nicht recht.
Ein untersetzter Mann mit rosigem Gesicht und langem grauem Haar schritt hastig und nervös von einer Gruppe in der Halle zur anderen. Trat er an jemand heran, warf er ein paar nichtssagende Worte hin und ging, ohne auf Antwort zu warten, zum nächsten weiter. In seinen jähen Bewegungen und dem erstarrten Lächeln auf seinem Gesicht spürte man mühsam unterdrückte Erregung. Er war der Leiter des wissenschaftlichen Teils der Expedition, Akademiemitglied Balandin, und obwohl er zum zweiten Male an einer Weltraumfahrt teilnahm, konnte und konnte er seiner Nerven nicht Herr werden.
Paitschadse gegenüber, zwischen seiner Frau und seinem Sohn, saß gelassen Konstantin Wassiljewitsch Saizew, der Chefingenieur des Raumschiffs. Er wirkte völlig ruhig.
In den äußersten Winkel zurückgezogen, stand Gennadi Andrejewitsch Wtorow an der Wand. Eine hübsche Blondine klammerte sich bald lachend, bald weinend mit beiden Händen an seinen linken Arm. Wtorows energisches Gesicht war zu einem gequälten Ausdruck erstarrt.
Dicht beieinander standen die unverheirateten Kosmonauten Orlow, Romanow und Knjasew, von ihren Verwandten umgeben. Um gelassen zu wirken, lachten sie oft, aber ihr Lachen klang unecht.
Ganz natürlich lächelnd schlenderte dagegen, seine Frau am Arm, der erfahrene Kosmonaut Funkingenieur Toporkow durch die Halle. Sein Gesicht, das mit den großen dunklen Augen ein wenig zigeunerisch wirkte, zeigte einen so unerschütterlichen Ausdruck, als beabsichtige er, nur für kurze Zeit in eine nahegelegene Stadt zu reisen.
Friedlich plauderten der Schiffsarzt Stepan Arkadjewitsch Andrejew und der polnische Biologe Korzewski, der erst drei Tage zuvor mit dem Flugzeug nach Moskau gekommen war, über belanglose Dinge. Den beiden gab niemand das Geleit.
Nicht nur diejenigen, die binnen kurzem die Erde verlassen wollten, sondern auch ihre Angehörigen warteten voller Spannung auf den Start. Viele der Zurückbleibenden konnten ihre Gemütsverfassung nicht verhehlen. Das Stimmengewirr schwoll bald an, bald brach es jäh ab, und in der Bahnhofshalle trat dann gespanntes Schweigen ein.
„Es wird Zeit“, sagte Melnikow leise, zu Belopolski gewandt.
„Vielen wird das Warten zur Qual.“ Die Zeiger der Wanduhr in der Halle zeigten auf viertel zwölf.
„Wann kommt er denn endlich?“ fragte Konstantin Jewgenjewitsch.