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Im Zentrum des Sturms befand sich die Chefin persönlich, Kendall Stanford Renaud, und gab sich redlich Mühe, Ordnung in das Chaos zu bringen. Die Modenschau sollte in vier Stunden beginnen, und es hatte ganz den Anschein, als ob an diesem Tag gar nichts klappen wollte.

Eine Katastrophe: John Fairfield aus W kam völlig unerwartet nach Paris, und es gab für ihn keinen Sitzplatz.

Eine Tragödie: Die Lautsprecheranlage funktionierte nicht.

Ein Desaster: Ein Topmodel war erkrankt.

Ein Hilferuf: Hinter den Kulissen lagen zwei Maskenbildner im Streit und waren mit ihrer Arbeit im Verzug.

Eine Kalamität: An den engen, langen Röcken rissen die Nähte. Bei allen!

Mit anderen Worten, dachte Kendall sarkastisch, es ist alles ganz normal, wie immer.

Man hätte Kendall Stanford Renaud selbst für ein Model halten können; und sie hatte ja auch als Model angefangen. Vom goldblonden Haarknoten bis zu den Chanel-Pumps strahlte sie sorgsam arrangierte Eleganz aus. Alles an ihr unterstrich einen gepflegten Chic — der Winkel der Arme, die Farbschattierung des Nagellacks, das Timbre ihres Lachens. Ohne sorgfältiges Make-up hatte sie ein Alltagsgesicht; Kendall gab sich jedoch alle Mühe, daß sie niemand ungeschminkt sah. Sie war überall gleichzeitig.

«Wer hat den Laufsteg beleuchtet, Ray Charles?«

«Ich hätte gern einen blauen Hintergrund…«

«Man kann das Futter des Kleides sehen. Festnähen!«

«Ich mag es nicht, daß Models sich im Gang das Haar und Make-up zurechtmachen. Lulu soll ihr einen Ankleideraum suchen.«

Der Manager kam herbeigerannt:»Kendall! Dreißig Minuten — das ist zu lang! Viel zu lang! Die Schau darf höchstens fünfundzwanzig Minuten dauern…«

Sie unterbrach ihre Tätigkeit.»Was schlagen Sie zur Lösung des Problems vor, Scott?«

«Wir könnten einige Kleider herausnehmen und…«

«Nein. Ich werde veranlassen, daß die Models sich rascher bewegen.«

Sie hörte, aus anderer Richtung, schon wieder ihren Namen und drehte sich um.

«Kendall — Pia ist nirgends zu finden. Soll Tami die holzkohlengraue Jacke zu den Hosen übernehmen?«

«Nein, geben Sie sie Dana. Tami soll den Katzenanzug mit der Tunika präsentieren.«

«Und wer führt das dunkelgraue Jerseykleid vor?«

«Monique. Und sorgen Sie dafür, daß Monique dunkelgraue Strümpfe trägt.«

Kendall schaute zu einer Tafel mit Polaroidfotos von Models in den verschiedenen Entwürfen, die die genaue Reihenfolge der Präsentation vorgab. Sie betrachtete die Reihenfolge mit einem kritischen Blick.»Das müssen wir noch ändern. Die beigefarbene Strickjacke zeigen wir zu Beginn. Danach die Separates, gefolgt von dem trägerlosen Seidenpullover, anschließend das Abendkleid aus Taft, dann die Straßenkleider mit den Mänteln…«

In dem Moment stürzten zwei Assistentinnen auf sie zu.

«Kendall, wir streiten uns wegen der Sitzordnung. Was wünschen Sie — sollen die Einzelhändler zusammensitzen oder unter die Berühmtheiten verteilt werden?«

Da meldete sich die zweite Assistentin zu Wort.»Aber wir könnten unsere berühmten Gäste auch mit den Leuten von der Presse zusammensetzen.«

Kendall hörte kaum mehr zu. Sie war ziemlich erschöpft, weil sie die letzten zwei Nächte durchgearbeitet hatte, um ein letztes Mal alle Details zu überprüfen.»Macht das unter euch aus«, sagte sie.

Ihr Blick wanderte durch den Saal, beobachtete das geschäftige Treiben, und sie dachte an die Modenschau, die gleich beginnen sollte, und an die Berühmtheiten aus aller Welt, die sich einfinden würden, um ihren Kreationen zu applaudieren. Eigentlich bin ich meinem Vater Dank schuldig, überlegte sie. Wenn er mich nicht mit seiner Bemerkung provoziert hätte, daß ich nie und nimmer Erfolg haben würde

Sie hatte schon immer Modedesignerin werden wollen, und bereits als kleines Mädchen hatte sie ein sicheres Gespür für Stil und Geschmack gehabt und ihre Puppen stets nach der neuesten Mode gekleidet; und als sie der Mutter ihre Kreationen vorführte, hatte die Mutter erklärt:»Du bist wirklich sehr begabt, mein Liebling. Du wirst einmal eine große Modeschöpferin.«

Davon war Kendall felsenfest überzeugt gewesen.

In der Schule besuchte Kendall Kurse, um zu lernen, wie man skizziert, Muster entwirft, perspektivisch zeichnet und Farbtöne aufeinander abstimmt.

«Du fängst am besten damit an«, empfahlen ihr die Lehrer,»daß du als Model arbeitest. Auf die Weise lernst du nämlich alle wichtigen Modedesigner kennen, und wenn du die Augen offenhältst, kannst du von ihnen eine Menge lernen.«

Als Kendall dem Vater von ihren Berufswünschen und — träumen erzählte, musterte er sie verächtlich von oben bis unten und kommentierte:»Du ein Model? Das soll wohl ein Witz sein!«

Nach Abschluß der Internatsschule kehrte Kendall nach Rose Hill zurück. Vater braucht mich, dachte sie, ich muß ihm den Haushalt führen. Es gab zwar ein Dutzend Bedienstete, doch war eigentlich niemand für alles zuständig; und da Harry Stanford viel reiste, war das Personal sich selbst überlassen geblieben. Kendall wollte ein bißchen Ordnung in den Haushalt bringen, koordinierte die Aufgaben und Pflichten, und bei gesellschaftlichen Anlässen übernahm sie die Rolle der Gastgeberin. Sie tat alles, um ihrem Vater das Leben so angenehm wie möglich zu machen. Sie sehnte sich nach seiner Anerkennung, und er überhäufte sie mit Kritik.

«Wer hat diesen inkompetenten Koch angestellt? Setz ihn sofort vor die Tür…«

«Das neue Geschirr, das du gekauft hast, gefällt mir nicht. Wo bleibt dein guter Geschmack…?«

«Wer hat dir erlaubt, mein Schlafzimmer neu streichen zu lassen? In meinem Schlafzimmer hast du nichts zu suchen…«

Was immer Kendall auch tat — es war nie gut genug.

Die erdrückende, herrschsüchtige Grausamkeit des Vaters trieb sie schließlich aus dem Haus. Lieblos war es dort ja von jeher zugegangen, denn für seine Kinder hatte der Vater noch nie Zeit und Aufmerksamkeit gehabt, sofern es nicht gerade darum ging, sie zu strafen und zu disziplinieren. Eines Tages hörte Kendall zufällig, wie ihr Vater einem Gast gegenüber bemerkte:»Meine Tochter hat ein richtiges Pferdegesicht. Bei der Visage wird sie einen Haufen Geld brauchen, um sich irgendeinen widerwärtigen Schnorrer anzulachen.«

Das hatte das Faß zum Überlaufen gebracht. Am darauffolgenden Tag war Kendall nach New York abgereist.

In ihrem Hotelzimmer hatte Kendall sich Gedanken gemacht. Also gut, ich bin jetzt in New York. Und was ist der nächste Schritt auf meinem Weg, um Designerin zu werden? Wie kriege ich einen Fuß in die Modebranche? Wie kann ich es dazu bringen, daß überhaupt jemand von mir Notiz nimmt? Und da war ihr wieder der Rat ihrer Lehrerin eingefallen. Du fängst am besten damit an, daß du als Model arbeitest.

Am nächsten Morgen studierte Kendall das Branchenverzeichnis, schrieb sich einige Model agenturen und ihre Adressen auf und machte sich auf den Weg. Ich muß offen und ehrlich sein, sagte sich Kendall. Ich werde ihnen sofort gestehen, daß ich nur vorübergehend bei ihnen arbeiten kann, bis ich als Designerin anfangen werde.

Sie betrat das Büro der Agentur, die auf ihrer Liste an erster Stelle stand. Dort saß eine Frau mittleren Alters am Empfang.»Kann ich Ihnen helfen?«fragte sie.

«Ja. Ich möchte Model werden.«

«Ich auch, Schätzchen. Schlagen Sie sich's aus dem Kopf.«

«Wie bitte?«