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«Wie bitte!?«

Roxanne erklärte es ihr.

Am gleichen Nachmittag kaufte Kendall ein schmales, zwei Meter langes Holzbrett, das sie zuerst mit Sandpapier glättete und dann auf den Fußboden legte. Die ersten Gehversuche auf dem Brett mißlangen; sie fiel herunter. Es wird zwar nicht leicht sein, sagte sich Kendall, aber ich krieg das schon hin.

Sie stand Morgen für Morgen noch früher auf, um sich im Laufen — auf den Fußballen — auf dem schmalen Balken zu üben. Führe mit dem Becken. Spüre es mit den Zehen. Senke die Fersen. Und dank eines systematischen Trainings konnte sie ihr Gleichgewicht von Tag zu Tag besser halten.

Vor einem hohen Spiegel lief sie zu Musik auf dem Balken hin und her. Sie lernte, mit einem Buch auf dem Kopf zu gehen, steigerte ihre Sicherheit, indem sie beim Üben immer wieder Sportschuhe und Shorts gegen hochhackige Schuhe und Abendkleid tauschte.

Als Kendall es endlich geschafft zu haben glaubte, sprach sie erneut bei Roxanne vor.»Ich riskiere meinen Hals«, sagte Roxanne.»Aber Ungaro sucht ein neues Laufstegmodel, und ich habe Sie empfohlen. Er wird Ihnen eine Chance geben.«

Kendall war völlig aus dem Häuschen. Ungaro! Einer der berühmtesten Modedesigner der Welt!

Kendall traf eine Woche später in Ungaros Atelier ein und gab sich Mühe, einen möglichst lockeren Eindruck zu machen.

Ungaro reichte ihr das erste Teil, das sie auf dem Laufsteg vorführen sollte.»Viel Glück.«

«Danke.«

Als sie dann den Laufsteg betrat, war es ganz so, als ob sie nie etwas anderes gemacht hätte, und selbst die Kolleginnen waren beeindruckt. Die Modenschau wurde für Kendall ein Bombenerfolg, jetzt zählte sie zur Elite, und nach und nach arbeitete sie für viele Berühmtheiten der Branche — für Yves Saint Laurent, Halston, Christian Dior, Donna Karan, Calvin Klein, Ralph Lauren und St. John. Kendall war sehr gefragt und ständig unterwegs. Die Modenschauen der Pariser Haute Couture fanden in den Monaten Januar und Juli statt, in Mailand fiel die Hochsaison in die Monate März, April, Mai und Juni, in Tokio lagen die Höhepunkte im April und Oktober. Für die vielbeschäftigte Kendall wurde das Leben hektisch, doch sie genoß es jede Minute.

Kendall war fleißig, und sie lernte unentwegt dazu. Da sie als Model die Entwürfe großer Modedesigner trug, nutzte sie die Gelegenheit, über Verbesserungen nachzudenken, die sie — wenn sie mal Designerin wäre — durchführen könnte. Sie bekam ein Auge dafür, wie die Kleidung dem Körper angepaßt werden mußte, wie die Stoffe sich bewegten und im Körperrhythmus mitschwangen. Sie vervollständigte ihre Kenntnisse über Schnitte, Stoffe und beim Schneidern; sie entwickelte ein Gespür dafür, welche Körperteile Frauen verbergen, welche sie hervorheben wollten. Sie fertigte in ihrer Wohnung eigene Entwürfe an; und ihr fielen unentwegt neue Ideen ein. Bis sie eines schönen Tages eine Mustermappe mit eigenen Entwürfen zusammenstellte, unter den Arm klemmte und damit zum Chefeinkäufer bei I. Magnin's ging, der sich stark beeindruckt zeigte und sich erkundigte:»Von wem stammen diese Entwürfe?«

«Von mir.«

«Die sind gut. Sogar sehr gut.«

Es dauerte keine zwei Wochen, und Kendall erhielt eine Anstellung als Assistentin bei Donna Karan; und so lernte sie die geschäftlichen Aspekte der Bekleidungsindustrie kennen. An den Abenden und Wochenenden aber entwarf sie weiterhin Modelle, und ein Jahr später hatte sie die erste eigene Modenschau — eine Katastrophe.

Die Entwürfe waren zu gewöhnlich, und niemand zeigte Interesse. Als Kendall eine zweite Modenschau veranstaltete, kam niemand mehr.

Ich bin in der falschen Branche, dachte Kendall.

«Du wirst einmal eine berühmte Modedesignerin.«

Was mache ich falsch? grübelte Kendall.

Und irgendwann, es war mitten in der Nacht, und sie wälzte sich schlaflos im Bett, kam ihr dann die rettende Idee: Ich denke bei meinen Entwürfen immer an die Models, die die Sachen vorführen. Da liegt der Fehler. Ich muß an echte Frauen denken, an Frauen, die in einem gewöhnlichen Beruf tätig sind und neben ihrem Beruf ein normales Familienleben führen. Schön, aber bequem müssen die Kleider sein. Schick, aber praktisch.

Nach einem weiteren Jahr des Lernens und harten Arbeitens präsentierte Kendall ihre dritte Modenschau, die auf Anhieb

Nach Rose Hill fuhr Kendall nur selten zu Besuch. Es war jedesmal ein schreckliches Erlebnis, denn ihr Vater hatte sich nicht verändert, er war eher noch unerträglicher geworden.

«Hast dir wohl noch immer keinen Mann angeln können, wie? Wirst du wahrscheinlich sowieso nie schaffen.«

Auf einem Wohltätigkeitsball lernte sie Marc Renaud kennen, der in der internationalen Abteilung eines New Yorker Börsenmaklers Devisengeschäfte tätigte. Er war fünf Jahre jünger als Kendall, ein hochgewachsener, schlanker Franzose, höflich und liebenswürdig — und Kendall war sofort von ihm angetan. Er lud sie für den nächsten Abend zum Dinner ein, und Kendall ging noch in der gleichen Nacht mit ihm ins Bett. Danach waren sie jeden Abend zusammen.

«Kendall«, sagte Marc eines Abends,»weißt du eigentlich, daß ich mich heillos in dich verliebt habe?«

«Ich habe mein ganzes Leben lang nach dir Ausschau gehalten, Marc«, erwiderte sie leise.

«Es gibt da nur ein Problem: Du bist sehr erfolgreich, und ich verdiene längst nicht soviel wie du. Vielleicht in der Zukunft…«

Kendall legte ihm einen Finger auf die Lippen.»Still. Du hast mir mehr gegeben, als ich mir je erhofft habe.«

An Weihnachten reiste Kendall in Begleitung von Marc nach Rose Hill, um ihn dem Vater vorzustellen.

«Den willst du heiraten?«tobte Harry Stanford.»Er ist ein Niemand und heiratet dich nur wegen des Geldes, das du seiner Meinung nach einmal erben wirst.«

Falls Kendall wirklich noch einen Grund für eine Ehe mit Marc benötigt hätte — jetzt hatte sie ihn. Die beiden heirateten prompt am folgenden Tag in Connecticut, und die Ehe mit

Marc schenkte Kendall ein Gefühl persönlichen Glücks, wie sie es vorher noch nie gekannt hatte.

«Du mußt dich nicht von deinem Vater einschüchtern lassen«, hatte Marc ihr klargemacht.»Er hat seinen Reichtum immer als Waffe gegen dich und deine Geschwister gebraucht. Wir beide sind aber nicht auf sein Geld angewiesen. «Dies war eine Aussage, derentwegen Kendall Marc nur noch inniger liebte.

Marc war ein zauberhafter Ehemann — freundlich, rücksichtsvoll, fürsorglich. Ich hab alles, was ich mir nur wünschen kann, dachte Kendall. Leid und Kummer der Vergangenheit sind vorbei. Sie war — trotz ihres Vaters — erfolgreich geworden, und in ein paar Stunden würde sie im Zentrum der Aufmerksamkeit der Modewelt stehen.

Es hatte aufgehört zu regnen. Kendall empfand es als gutes Omen.

Die Modenschau wurde ein überwältigender Erfolg, und als Kendall zum Schluß im Blitzlichtgewitter auf den Laufsteg kam und sich vor ihren Gästen verneigte, wurde sie mit stehenden Ovationen gefeiert. Kendall hätte sich nur gewünscht, daß Marc bei ihr in Paris gewesen wäre, um ihren Triumph mitzuerleben; aber seine Firma hatte ihm nicht einen freien Tag geben wollen.

Als das Publikum gegangen war, ging Kendall in einem Zustand der Euphorie in ihr Büro.»Hier, ein Brief für Sie. Er wurde durch Boten zugestellt.«

Beim Anblick des braunen Kuverts lief es Kendall plötzlich kalt über den Rücken, und sie hätte ihn nicht öffnen müssen, um seinen Inhalt zu erfahren. Sie las:

Sehr geehrte Mrs. Renaud,

ich bedaure, Ihnen mitteilen zu müssen, daß der Verband

zum Schutz der Tiere in freier Wildbahn erneut auf Unterstützung angewiesen ist. Zur Deckung unserer laufenden Unkosten benötigen wir unverzüglich $ 100.000. Diese Summe sollte per telegrafischer Überweisung eingehen auf das Konto Nummer 804072 — A beim Schweizer Kreditverein in Zürich.