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«Mann über Bord!«

Kapitel 6

Capitaine Francois Durer, der Polizeipräsident von Korsika, war schlecht gelaunt. Die Insel war überfüllt mit blöden Sommertouristen, die nicht einmal fähig waren, auf ihre Pässe, Brieftaschen oder Kinder achtzugeben. Den ganzen lieben langen Tag lang hatte es im winzigen Polizeihauptquartier am Cours Napoleon 2, abseits der Rue Sergeant Casalonga, Meldungen und Anzeigen gehagelt.

«Ein Mann hat mir die Börse aus der Hand gerissen…«

«Das Schiff ist ohne mich abgefahren, mit meiner Frau an Bord…«

«Ich habe diese Uhr hier von einem Straßenhändler erworben, und sie hat kein Uhrwerk…«

«In der Apotheke gibt es die Tabletten nicht, die mir mein Arzt verordnet hat… «

Die Probleme wollten einfach kein Ende nehmen.

Und jetzt hatte der Capitaine allem Anschein nach auch noch eine Leiche am Hals.

«Dafür hab ich jetzt keine Zeit«, bellte er.

«Aber die Leute stehen im Vorraum und warten«, erklärte sein Assistent geduldig.»Was soll ich ihnen sagen?«

Capitaine Durer konnte es kaum abwarten, zu seiner Geliebten zu kommen, und hätte seinem Assistenten am liebsten geantwortet:»Sollen sie ihre Leiche doch auf eine andere Insel verfrachten. «Aber Dienst ist Dienst, und er war nun einmal der höchste Polizeibeamte Korsikas.

Er seufzte.»Na gut, dann werde ich sie eben empfangen.«

Gleich darauf wurden Kapitän Vacarro und Dmitri Kaminski in seine Amtsstube geleitet.

«Nehmen Sie Platz. «Capitaine Durer sagte es in einem ausgesprochen unfreundlichen Ton und deutete auf die Stühle vor seinem Schreibtisch.

Die beiden Männer setzten sich.

«Schildern Sie mir bitte genau, was vorgefallen ist.«

«Genau weiß ich es nicht«, erwiderte Kapitän Vacarro.»Ich habe es nicht selber gesehen…«Er machte eine Kopfbewegung zu Dmitri Kaminski.»Er war der Augenzeuge. Vielleicht wäre es besser, wenn er über den Hergang berichten würde.«

Dmitri holte tief Luft.»Es war schrecklich. Ich arbeite… ich habe für den Mann gearbeitet.«

«Und als was, Monsieur?«

«Leibwächter, Masseur, Chauffeur. Unsere Jacht befand sich im Sturm der vergangenen Nacht auf See, und es war ein furchtbarer Sturm. Er forderte mich auf, ihn zu massieren, zur Entspannung, und danach mußte ich ihm eine Schlaftablette bringen, die ich aus dem Badezimmer holte. Als ich zurückkam, war er an Deck und lehnte an der Reling. Die Jacht wurde vom Sturm hin und her geworfen. Er hielt Papiere in der Hand, einige wurden von einem Windstoß ergriffen und ihm aus der Hand gerissen, er hat den Arm danach ausgestreckt, das Gleichgewicht verloren und fiel über die Reling ins Meer. Ich bin gerannt, um ihn zu retten, konnte aber nichts mehr machen, und so habe ich Alarm ausgelöst. Kapitän Vacarro hat sofort das Schiff gestoppt, und dank der heldenhaften Bemühungen des Kapitäns haben wir ihn gefunden und aus dem Wasser holen können. Es war jedoch zu spät. Er war schon ertrunken.«

«Das tut mir außerordentlich leid. «In Wahrheit hätte ihm überhaupt nichts auf der Welt gleichgültiger sein können.

Nun setzte Kapitän Vacarro den Bericht fort.»Daß wir die Leiche überhaupt gefunden haben, war reiner Zufall, weil sie wieder auf die Jacht zugetrieben wurde. Wir möchten Ihre Erlaubnis einholen, den Toten in seine Heimat zu überführen.«

«Da dürfte es eigentlich keine Probleme geben. «Capitaine Durer kalkulierte blitzschnelclass="underline" Ihm würde noch genügend Zeit für einen Drink mit seiner Geliebten bleiben, bevor er zu seiner Ehefrau nach Hause mußte.»Ich werde sofort den Auftrag erteilen, daß die Sterbeurkunde und das Ausfuhrvisum für die Leiche ausgefertigt werden. «Er nahm einen gelben Notizblock vom Schreibtisch.»Name des Opfers?«

«Harry Stanford.«

Für einen Augenblick erstarrte Capitaine Durer, dann hob er den Kopf.»Harry Stanford?«

«Richtig.«

«Der Harry Stanford?«

«Genau.«

Da erschien Capitaine Francois Durer die Zukunft mit einem Schlag in ungleich schönerem Licht. Die Götter hatten ihm ein Geschenk gemacht. Harry Stanford war eine internationale Berühmtheit, und die Nachricht von seinem Tod würde wie ein Lauffeuer um die ganze Welt gehen, und er, Capitaine Francois Durer, war der Mann, der alles in der Hand hatte und kontrollierte. Da sah er sich unmittelbar mit der Frage konfrontiert, wie er diese Geschichte zu optimalem persönlichen Nutzen wenden könnte. Reglos saß Durer auf seinem Stuhl, mit einem Blick, der sich im Nichts verlor, und dachte angestrengt nach.

«Wie rasch können Sie die Leiche freigeben?«wollte Kapitän Vacarro wissen.

Durer schaute auf.»Ach so, ja, eine gute Frage.«Wie lange würde es dauern, bis die ersten Pressevertreter auf Korsika einträfen? Sollte ich den Kapitän der Jacht bitten, an der Pressekonferenz teilzunehmen? Nein. Warum den Ruhm mit ihm teilen? Ich werde die Sache allein abwickeln.»Zuvor muß noch eine Reihe von Dingen geklärt werden«, bemerkte Capitaine Durer mit einem Ausdruck aufrichtigen Bedauerns.»Da gilt es zunächst, verschiedene Formalitäten zu berücksichtigen…«Er ließ ein betrübtes Seufzen vernehmen.»Das alles könnte durchaus eine Woche beanspruchen. Oder auch länger.«

Kapitän Vacarro reagierte entsetzt.»Eine Woche oder mehr? Aber Sie haben doch vorhin gesagt…«

«Wir müssen uns an die Vorschriften halten«, belehrte ihn Durer streng.»Solche Dinge brauchen nun einmal ihre Zeit, da darf man nichts überstürzen. «Er konzentrierte sich wieder auf seinen gelben Notizblock.»Wer sind die nächsten Angehörigen des Verstorbenen?«

Kapitän Vacarro wandte sich hilfesuchend an Dmitri.

«Ich glaube, in der Frage sollten Sie sich besser an Mr. Stanfords Anwälte in Boston wenden.«

«Ihre Namen?«

«Renquist, Renquist & Fitzgerald.«

Kapitel 7

Obwohl die Türaufschrift renquist, renquist & Fitzgerald lautete, so waren doch die beiden Renquists längst dahingeschieden. Simon Fitzgerald dagegen war höchst lebendig und trotz seiner sechsundsiebzig Lebensjahre der Dynamo der Kanzlei, in der unter seiner Leitung sechzig Anwälte tätig waren. Er wirkte erschreckend dürr, sein schlohweißes Haar glich einer Löwenmähne, und er hatte die aufrechte Haltung eines Berufsoffiziers, als er in seinem Büro auf und ab marschierte, doch innerlich standen die Zeichen bei ihm auf Sturm.

Er blieb vor seiner Sekretärin stehen.»Hat Mr. Stanford bei seinem Anruf keinerlei Hinweise darauf gegeben, weshalb er mich so dringend sprechen wollte?«

«Nein, Sir, er hat mich nur informiert, daß er Sie am Montag morgen um neun Uhr bei sich zu Hause erwartet und daß Sie sein Testament und einen Notar mitbringen sollten.«

«Vielen Dank. Bitten Sie Mr. Sloane zu mir herein.«

Steve Sloane gehörte zu den innovativen Nachwuchsanwälten der Kanzlei. Absolvent der Harvard Law School, Anfang Vierzig, hochgewachsen und schlank, blond, mit amüsiert blickenden Augen und einem durchdringenden, forschenden Blick, aufgeschlossen, von entgegenkommendem Wesen, das selbst eine gespannte Atmosphäre entkrampfte: Er war der Troubleshooter des Anwaltsbüros und der Kronprinz von Simon Fitzgerald. Wenn ich einen Sohn gehabt hätte, dachte Fitzgerald, so hätte ich mir gewünscht, daß er wie Steve wäre.

Der eintretende Sloane musterte ihn mit einem Ausdruck mißbilligenden Erstaunens.

«Du hier? Du solltest eigentlich in Neufundland sein, beim Lachsangeln«, sagte Steve streng.

«Etwas Unvorhergesehenes. Setz dich, Steve. Wir haben ein Problem.«

Steve seufzte.»Sonst noch Neuigkeiten?«

«Es betrifft Harry Stanford.«

Harry Stanford war ein Renommierklient der Kanzlei. Mit der Wahrnehmung der juristischen Interessen seines Konzerns hatte er eine Handvoll anderer Kanzleien betraut; seine Privatangelegenheiten ließ er jedoch von Renquist, Renquist & Fitzgerald erledigen, wo allerdings außer Simon Fitzgerald bisher niemand seine persönliche Bekanntschaft gemacht hatte. Er war eine Legende.