«Aber ich«, sagte Lord Commander Mormont.»Kalter Wind kommt auf, Snow. Jenseits der Mauer werden die Schatten lang. Cotter Pyke berichtet von großen Elchherden, die südlich und östlich zum Meer ziehen, ebenso die Mammuts. Er sagt, einer seiner Männer habe keine drei Wegstunden von Eastwatch riesenhafte, mißgestaltete Fußabdrücke gefunden.
Grenzer vom Shadow Tower haben ganze Dörfer gefunden, die verlassen waren, und Ser Denys sagt, bei Nacht sehen sie Feuer in den Bergen, mächtige Flammen, die von abends bis morgens auflodern. Quorin Halfhand hat in den Tiefen des Gorge einen Gefangenen gemacht, und der Mann schwört, daß Mance Rayder seine Leute in einer geheimen Festung sammelt, die er gefunden hat, zu welchem Zweck, wissen nur die Götter. Glaubst du, dein Onkel Benjen war der einzige Grenzer, den wir im letzten Jahr verloren haben?«
«Ben Jen«, krächzte der Rabe, nickte mit dem Kopf, und Stückchen vom Ei fielen aus seinem Schnabel.»Ben Jen. Ben Jen.«
«Nein«, sagte Jon. Sie hatten auch andere verloren. Zu viele.»Glaubst du, der Krieg deines Bruders sei wichtiger als unserer?«bellte der alte Mann.
Jon kaute an seiner Lippe. Der Rabe flatterte ihn mit seinen Flügeln an.»Krieg, Krieg, Krieg, Krieg«, krähte er.
«Ist er nicht«, erklärte ihm Mormont.»Mögen uns die Götter retten, Junge, du bist nicht blind, und du bist nicht dumm. Wenn tote Menschen einen bei Nacht verfolgen, glaubst du, es sei wichtig, wer auf dem Eisernen Thron sitzt?«
«Nein. «Aus diesem Blickwinkel hatte Jon die Sache noch nicht betrachtet.
«Dein Hoher Vater hat dich zu uns geschickt, Jon. Wer kann schon sagen, warum?«
«Warum, warum, warum?«schrie der Rabe.»Ich weiß nur, daß das Blut der Ersten Menschen in den Adern der Starks fließt. Die Ersten Menschen haben die Mauer errichtet, und es heißt, sie erinnerten sich an Dinge, die ansonsten vergessen wären. Und dieses Vieh, das du da hast… es hat uns zu diesen Kreaturen geführt, hat dich vor dem toten Mann auf der Treppe gewarnt. Ser Jaremy würde es ganz sicher Zufall nennen, aber Ser Jaremy ist tot, und ich hingegen nicht. «Lord Mormont spießte mit der Spitze seines Dolches ein Stück Schinken auf.»Ich glaube, daß du dafür geboren wurdest, hier zu sein, und ich möchte, daß du mit deinem Wolf dabei bist, wenn wir vor die Mauer gehen.«
Seine Worte schickten Jon einen Schauer der Aufregung über den Rücken.»Vor die Mauer?«
«Du hast mich gehört. Ich habe die Absicht, Benjen Stark zu suchen, tot oder lebendig. «Er kaute und schluckte.»Ich werde nicht feige hier herumsitzen und auf Schnee und Eiswind warten. Wir müssen herausfinden, was vor sich geht. Diesmal wird die Nachtwache als Streitmacht ausreifen, gegen den König-jenseits-der-Mauer, die anderen und alles, was sonst noch dort draußen sein mag. Ich habe die Absicht, das Kommando selbst zu übernehmen. «Er deutete mit dem Dolch auf Jons Brust.»Üblicherweise ist der Kämmerer des Lord Commanders gleichzeitig sein Knappe… nur möchte ich nicht jeden Morgen aufwachen und mich fragen, ob du wieder weggelaufen bist. Also will ich von dir eine Antwort, Lord Snow, und ich will sie jetzt. Bist du ein Bruder der Nachtwache… oder nur ein Bastardbengel, der Krieg spielen will?«
Jon richtete sich auf und holte lang und tief Luft. Vergib mir, Vater. Robb, Arya, Bran… vergebt mir, ich kann Euch nicht helfen. Er spricht die Wahrheit. Ich gehöre hierher.»Ich gehöre… Euch, Mylord. Ich bin Euer Mann. Ich schwöre es. Ich laufe nie wieder fort.«
Der Alte Bär schnaubte.»Gut. Dann geh und leg dein Schwert an.«
Catelyn
Tausend Jahre schien es Catelyn Stark her zu sein, daß sie ihren kleinen Sohn aus Riverrun mitgenommen und den Tumblestone in einem kleinen Boot überquert hatte, um die Reise gen Norden nach Winterfell anzutreten. Und auch jetzt war es der Tumblestone, über den sie heimkehrte, wobei der Junge Rüstung und Kettenhemd trug und keine Windeln mehr.
Robb saß im Bug mit Grey Wind, seine Hände ruhten auf dem Kopf des Schattenwolfes, während die Ruderer an ihren Riemen rissen. Theon Greyjoy war bei ihm. Ihr Onkel Brynden wollte im zweiten Boot nachkommen, mit dem Greatjon und Lord Karstark. Catelyn suchte sich einen Platz am Heck. Sie schossen den Tumblestone hinab, ließen sich von der starken Strömung am hoch aufragenden Wheel Tower vorübertreiben. Das Platschen und Rumpeln des großen Wasserrades, das sich darin drehte, war ein Geräusch aus ihrer Kindheit, was ein trauriges Lächeln auf Catelyns Miene brachte. Von den Sandsteinmauern der Burg aus riefen Soldaten und Diener ihren Namen herab, und auch Robbs und» Winterfell!«. Von jeder Brustwehr wehte das Banner des Hauses Tully: eine springende Forelle, silber, vor einem gewellten, blauroten Grund. Es war ein bewegender Anblick, doch wollte ihr das Herz nicht leichter werden. Sie fragte sich, ob ihr das Herz eigentlich jemals wieder leichter werden würde. Oh, Ned…
Unter dem Wheel Tower beschrieben sie eine weite Wende und stießen durch das schäumende Wasser. Die Männer legten sich ins Zeug. Der weite Bogen des Wassertores war zu sehen, und sie hörte das Knarren schwerer Ketten, als das große, eiserne Falltor hochgezogen wurde. Langsam hob es sich, indem sie näher kamen, und Catelyn sah, daß die untere Hälfte rot vom Rost war. Brauner Schlamm tropfte auf sie herab, während sie darunter hindurchfuhren, die stachelbesetzten
Spieße nur eine Handbreit über ihnen. Catelyn sah zu den Gitterstäben auf und fragte sich, wie tief der Rost ging und wie gut das Falltor einer Ramme würde standhalten können und ob es erneuert werden sollte. Derartige Gedanken gingen ihr in letzter Zeit nur selten durch den Kopf.
Sie kamen unter dem Bogen und unter den Mauern durch, fuhren vom Sonnenlicht in Schatten und wieder ins Sonnenlicht. Überall um sie herum lagen große und kleine Boote vertäut, an Eisenringen im Stein gesichert. Die Garde ihres Vaters wartete mit ihrem Bruder an der Wassertreppe. Ser Edmure Tully war ein stämmiger, junger Mann mit einem zottigen Schöpf von kastanienbraunem Haar und einem feuerroten Bart. Sein Brustpanzer war zerkratzt und von der Schlacht zerbeult, sein blauroter Um-ang von Blut und Rauch befleckt. Neben ihm stand Lord Tytos Blackwood, ein harter Hecht von einem Mann, mit kurzgeschorenem, meliertem Backenbart und einer Hakennase. Seine hellgelbe Rüstung war mit Gagat in feinen Mustern von Reben und Blättern verziert, und ein Umhang aus Rabenfedern lag um seine schmalen Schultern. Lord Tytos hatte den Ausfall geführt, mit dem ihr Bruder aus der Zange der Lannisters befreit worden war.»Holt sie herein«, befahl Ser Edmure. Drei Männer stiegen die Treppe hinab, knietief ins Wasser, und zogen das Boot mit langen Haken heran. Als Grey Wind heraussprang, ließ einer von ihnen seine Stange fallen und wich zurück, stolperte und setzte sich abrupt in den Fluß. Die anderen lachten, und der Mann machte ein dummes Gesicht. Theon Greyjoy sprang über den Rand des Bootes, hob Catelyn an der Hüfte heraus und stellte sie auf eine trockene Stufe über sich, während das Wasser um seine Stiefel schwappte.
Edmure kam die Treppe herab, um sie zu umarmen.»Süße Schwester«, murmelte er heiser. Er hatte dunkelblaue Augen und einen Mund, der zum Lächeln wie geschaffen war, doch lächelte er nicht. Er wirkte hager und müde, von der Schlacht gebeutelt, von Sorge ausgezehrt. Sein Hals war bandagiert, wo er verwundet worden war. Catelyn umarmte ihn innig.
«Deine Trauer ist die meine, Cat«, sagte er, als sie sich voneinander lösten.»Als wir von Eddard gehört haben… die Lannisters werden dafür bezahlen, ich schwöre es, du wirst deine Rache bekommen.«
«Wird es mir Ned wiederbringen?«fragte sie scharf. Die Wunde war noch zu frisch für mildere Worte. Sie konnte jetzt nicht an Ned denken. Sie wollte nicht. Es durfte nicht sein. Sie mußte stark bleiben.»All das kann warten. Ich muß mit Vater sprechen.«
«Er erwartet dich in seinem Solar«, sagte Edmure.