«So schlimm wird es auch nicht, Sansa«, meinte Arya.»Wir fahren mit einer Galeere. Die Reise wird ein Abenteuer, und dann sind wir wieder bei Bran und Robb und bei Old Nan und Hodor und den anderen. «Sie berührte ihren Arm.
«Hodor!«schrie Sansa.»Du solltest Hodor heiraten, du bist genau wie er, dumm und haarig und häßlich!«Sie riß sich von der Hand ihrer Schwester los, stürmte in ihre Schlafkammer und verriegelte die Tür hinter sich.
Eddard
«Schmerz ist ein Geschenk der Götter, Lord Eddard«, erklärte Grand Maester Pycelle.»Er bedeutet, daß die Knochen zusammenwachsen, das Fleisch heilt. Seid dankbar.«
«Ich werde dankbar sein, wenn mein Bein nicht mehr so sehr weh tut.«
Pycelle stellte einen Flakon mit Korken auf den Tisch neben dem Bett.»Mohnblumensaft, falls der Schmerz zu stark wird.«
«Ich schlafe schon jetzt zuviel.«
«Schlaf ist der beste Heiler.«
«Ich hatte gehofft, Ihr wäret es.«
Pycelle lächelte matt.»Es tut gut, Euch mit düsterem Humor zu sehen, Mylord. «Er beugte sich vor und sprach mit leiser Stimme weiter.»Heute morgen kam ein Rabe, ein Brief für die Königin von ihrem Hohen Vater. Ich dachte, es wäre besser, wenn Ihr davon wüßtet.«
«Dunkle Schwingen, dunkle Worte«, sagte Ned grimmig.»Was war damit?«
«Lord Tywin ist höchst verärgert wegen der Männer, die Ihr Ser Gregor Clegane nachgesandt habt«, vertraute ihm der Maester an.»Das hatte ich bereits befürchtet. Wie Ihr Euch erinnern werdet, waren das meine Worte im Rat.«
«Laßt ihn verärgert sein«, sagte Ned. Jedesmal, wenn es in seinem Bein pulsierte, fiel ihm Jaime Lannisters Lächeln wieder ein, und Jory tot in seinen Armen.»Laßt ihn so viele Briefe an die Königin schreiben, wie er will. Lord Beric reitet unter dem Banner des Königs. Falls Lord Tywin versuchen sollte, sich dem Recht des Königs zu widersetzen, wird er Robert Rede und Antwort stehen müssen. Das einzige, was Seiner Majestät mehr Vergnügen als die Jagd bereitet, ist der
Krieg gegen Lords, die sich ihm widersetzen.«
Pycelle richtete sich auf, und seine Ordenskette klingelte.»Wie Ihr meint. Ich werde Euch am Morgen wieder besuchen. «Eilig sammelte der alte Mann seinen Kram ein und machte sich von dannen. Ned zweifelte kaum daran, daß er auf direktem Weg zu den königlichen Gemächern eilen würde, um der Königin zuzuflüstern: Ich dachte, es wäre besser, wenn Ihr es wüßtet, wahrlich… als hätte Cersei ihn nicht angewiesen, die Drohungen ihres Vaters weiterzugeben. Hoffentlich würde seine Antwort ihre perfekten Zähne zum Klappern bringen. Ned setzte keineswegs so großes Vertrauen in Robert, wie er vorgab, doch sah er keinen Grund, wieso er das Cersei wissen lassen sollte.
Als Pycelle fort war, bat Ned um einen Becher Honigwein. Der umnebelte den Geist nicht minder, jedoch nicht so stark. Er mußte nachdenken. Tausendmal fragte er sich, was Jon Arryn getan haben mochte, hätte er nur lange genug gelebt, um nach dem zu handeln, was er erfahren hatte. Oder vielleicht hatte er dementsprechend gehandelt und war dafür gestorben.
Seltsam, wie manchmal die unschuldigen Augen eines Kindes Dinge sahen, für die erwachsene Männer blind waren. Eines Tages, wenn Sansa erwachsen wäre, würde er ihr sagen müssen, daß ihm durch sie alles klargeworden war. Er ist kein bißchen wie der alte Säuferkönig, hatte sie erklärt, wütend und ahnungslos, und die schlichte Wahrheit ihrer Worte hatte in ihm gearbeitet, kalt wie der Tod. Dieses war das Schwert, das Jon Arryn getötet hat, dachte Ned, und es wird auch Robert töten, mit langsamerem Tod, doch ebenso gewiß. Zertrümmerte Beine mögen beizeiten heilen, aber manch Verrat nagt an der Seele und vergiftet sie.
Littlefinger stattete ihm eine Stunde, nachdem der Grand Maester gegangen war, einen Besuch ab, in ein pflaumenfarbenes Wams gekleidet, auf dessen Brust mit schwarzem Faden eine Nachtigall gestickt war.»Ich kann nicht lange bleiben, Mylord«, verkündete er.»Lady Tanda erwartet mich zum Abendessen. Zweifelsohne wird sie mir ein fettes Kalb rösten. Wenn es auch nur halb so fett wie ihre Tochter ist, werde ich ganz sicher tot umfallen. Und was macht Euer Bein?«
«Es brennt und schmerzt und juckt, daß ich noch irre werde.«
Littlefinger zog eine Augenbraue hoch.»In Zukunft versucht, keine Pferde darauf fallen zu lassen. Ich würde Euch raten, bald gesund zu werden. Im Reich macht sich Unruhe breit. Varys hat unheilschwangere Gerüchte aus dem Westen gehört. Freie Reiter und Söldner sammeln sich in Casterly Rock, und nicht zur kargen Freude einer Plauderei mit Lord Tywin.«
«Gibt es Nachricht vom König?«wollte Ned wissen.»Wie lange will Robert noch jagen?«
«Wenn es nach ihm ginge, glaube ich, würde er im Wald bleiben, bis Ihr und die Königin eines natürlichen Todes sterben«, erwiderte Lord Petyr mit leisem Lächeln.»Wenn nicht, denke ich, müßte er heimkehren, sobald er etwas erlegt hat. Sie haben den weißen Hirschen gefunden, wie es scheint… oder besser: was davon übrig ist. Ein paar Wölfe hatten ihn vor ihnen entdeckt und Seiner Majestät kaum mehr als Huf und Horn gelassen. Robert war fuchsteufelswild, bis er von einem ungeheuren Keiler irgendwo tief im Wald erfuhr. Dann wollte er nichts anderes mehr als dieses Tier. Prinz Joffrey ist heute morgen heimgekehrt, mit den Royces, Ser Balon Swann und etwa zwanzig anderen der Jagdgesellschaft. Der Rest blieb beim König.«
«Der Bluthund?«fragte Ned stirnrunzelnd. Von allen aus dem Umfeld der Lannisters war Sandor Clegane derjenige, der ihn am meisten interessierte, nachdem Ser Jaime aus der Stadt zu seinem Vater geflohen war.
«Oh, er ist mit Joffrey gekommen und geradewegs zur Königin gegangen. «Littlefinger lächelte.»Hundert Silberhirsche hätte ich dafür gegeben, eine Schabe im Stroh zu sein, während sie ihm berichtete, daß Lord Belric unterwegs war, seinen Bruder zu enthaupten.«
«Selbst ein Blinder könnte sehen, daß der Bluthund seinen Bruder haßt.«
«Ah, aber er wollte Gregor hassen, nicht Ihr solltet ihn töten. Sobald Dondarrion unserem Berg den Gipfel kappt, fallen Cleganes Ländereien und Einkünfte an Sandor, nur würde ich deshalb für ihn nicht die Hand ins Feuer legen. Und nun müßt Ihr mir verzeihen. Lady Tanda erwartet mich mit ihren fetten Kälbern. «Auf dem Weg zur Tür entdeckte Lord Petyr Grand Maester Malleons dicken Wälzer auf dem Tisch und blieb stehen, um den Buchdeckel aufzuklappen.»Stammbaum und Historie der Großen Geschlechter aus den Sieben Königslanden. Mit Beschreibungen zahlreicher Hoher Lords und Edler Ladys samt deren Kindern«, las er.»Das ist sicher die langweiligste Lektüre, die ich mir vorstellen kann. Ein Schlafmittel, Mylord?«
Einen kurzen Moment lang dachte Ned daran, ihm alles zu erzählen, doch schwang in Littlefingers Scherz etwas mit, das ihn ärgerte. Dieser Mann war zu verschlagen, ein höhnisches Grinsen nie weit von seinen Lippen.»Jon Arryn hat in diesem Band gelesen, als er krank wurde«, sagte Ned mit vorsichtigem Unterton, um zu sehen, wie er reagierte.
Und er reagierte, wie er es stets tat: mit einem Scherz.»In dem Fall«, sagte er,»muß ihm der Tod als segensreiche Erleichterung gekommen sein. «Lord Petyr Baelish verneigte sich und ging.
Eddard Stark gestattete sich einen Fluch. Sah man von seinen alten Dienern ab, gab es kaum einen Mann in dieser Stadt, dem er vertraute. Littlefinger hatte Catelyn versteckt und
Ned bei seinen Nachforschungen unterstützt, doch seine Neigung, die eigene Haut zu retten, als Jaime und seine Männer aus dem Regen traten, ärgerte ihn noch heute. Varys war schlimmer. Bei allen Beteuerungen seiner Loyalität wußte der Eunuch zuviel und tat zu wenig. Grand Maester Pycelle schien mit jedem Tag mehr Cerseis Kreatur zu werden, und Ser Barristan war ein alter Mann und starr. Er würde Ned sagen, er solle seine Pflicht tun.
Die Zeit wurde gefährlich knapp. Bald würde der König von der Jagd heimkehren, und die Ehre wurde gebieten, daß Ned mit allem, was er wußte, zu ihm ginge. Vayon Poole hatte arrangiert, daß Sansa und Arya mit der Wind Witch von Braavos aus in drei Tagen auslaufen sollten. Sie würden noch vor der Ernte auf Winterfell sein. Ned konnte seine Sorge um ihre Sicherheit nicht mehr als Ausrede für seine Verspätung benutzen.