Er blieb neben der größten der drei Feuerstellen stehen, sah in die Gesichter der umstehenden Dothraki. Fünftausend Mann hatten sich in der Halle versammelt, davon war nur eine Handvoll der Gemeinen Zunge mächtig. Aber selbst wenn seine Worte unverständlich sein mochten, mußte man ihn nur ansehen, um zu wissen, daß er betrunken war.
Eilig ging Ser Jorah zu ihm, flüsterte ihm etwas ins Ohr und nahm ihn beim Arm, doch Viserys riß sich los.»Nehmt Eure Hände weg! Niemand rührt den Drachen ohne Erlaubnis an.«
Ängstlich sah Dany zur Hohen Bank auf. Khal Drogo sagte etwas zu den anderen khals an seiner Seite. Khal Jommo
grinste, und Khal Ogo brach in schallendes Gelächter aus.
Das Lachen ließ Viserys aufmerken.»Khal Drogo«, sagte er mit belegter Stimme, fast höflich.»Ich bin gekommen, um zu feiern. «Er taumelte von Ser Jorah fort und wollte sich zu den drei khals auf der Hohen Bank gesellen.
Khal Drogo erhob sich, spie ein Dutzend Worte auf dothrakisch aus, zu schnell, als daß Dany sie verstehen konnte, und zeigte mit dem Finger zur anderen Seite des Raums.»Khal Drogo sagt, Euer Platz wäre nicht auf der Hohen Bank«, übersetzte Ser Jorah für ihren Bruder.»Khal Drogo sagt, Euer Platz ist hier.«
Viserys sah, wohin der Khal deutete. Zum anderen Ende der langen Halle, in eine Ecke an der Wand, weit im Schatten, damit die besseren Männer ihren Anblick nicht ertragen mußten, saßen die Geringsten der Geringen: grobe, gemischtrassige Jungen, alte Männer mit umnebelten Augen und steifen Gelenken, die Geistesschwachen und Verkrüppelten. Weit vom Fleisch und weiter noch von der Ehre.»Das ist kein Platz für einen König«, erklärte Danys Bruder.
«Ist Platz«, antwortete Khal Drogo in der Gemeinen Zunge, die Dany ihn gelehrt hatte,»für König Wundfuß. «Er klatschte in die Hände.»Eine Karre! Bringt Karre für Khal Rhaggat!«
Fünftausend Dothraki fingen an zu grölen. Ser Jorah stand neben Viserys, schrie ihm ins Ohr, durch das donnernde Gebrüll in der Halle konnte Dany jedoch nicht verstehen, was er sagte. Ihr Bruder schrie zurück, und die beiden Männer wurden handgreiflich, bis Mormont Viserys zu Boden schlug.
Der Drache zog sein Schwert.
Gefährlich rot leuchtete der nackte Stahl im Licht der Feuerstellen.»Haltet Euch fern von mir!«zischte Viserys. Ser Jorah trat einen Schritt zurück, und ihr Bruder kam wankend auf die Beine. Er schwenkte das Schwert über seinem Kopf, die geliehene Klinge, die Magister Illyrio ihm überlassen hatte, damit er königlicher wirkte. Von allen Seiten schrien ihn Dothraki an, stießen böse Flüche aus.
Dany gab einen wortlosen Entsetzensschrei von sich. Sie wußte, was ein gezücktes Schwert an diesem Ort bedeutete, auch wenn ihr Bruder sich dessen nicht im klaren war.
Beim Klang ihrer Stimme drehte sich Viserys um und sah sie zum ersten Mal.»Da ist sie«, sagte er lächelnd. Er stakste ihr entgegen, hieb durch die Luft, als kämpfte er sich durch eine Mauer aus Feinden, obwohl niemand versuchte, ihm den Weg zu verstellen.
«Die Klinge… das darfst du nicht«, flehte sie ihn an.»Bitte, Viserys. Es ist verboten. Steck das Schwert weg und setz dich mit auf meine Kissen. Hier gibt es zu trinken, zu essen… willst du die Dracheneier? Du kannst sie haben, nur wirf das Schwert weg.«
«Tut, was sie sagt, Dummkopf«, rief Ser Jorah,»bevor es uns alle das Leben kostet,«
Viserys lachte.»Sie können uns nicht töten. Sie dürfen in der heiligen Stadt kein Blut vergießen… aber ich darf es. «Er setzte die Spitze seines Schwertes zwischen Daenerys Brüste und ließ sie herabgleiten, über die Rundung ihres Bauches.»Ich will haben, wozu ich hergekommen bin«, erklärte er ihr.»Ich will die Krone, die er mir versprochen hat. Er hat dich gekauft, aber er hat nie für dich bezahlt. Sag ihm, ich will, was wir vereinbart haben, sonst nehme ich dich wieder mit. Dich und die Eier. Seinen verdammten Balg kann er gern behalten. Ich schneid den Bengel raus und laß ihn da. «Das Schwert drang durch die Seide und stach in ihren Nabel. Viserys weinte, das sah sie, weinte und lachte gleichzeitig, dieser Mann, der einst ihr Bruder gewesen war.
Wie aus weiter Ferne hörte Dany, daß ihre Magd Jhiqui vor Angst schluchzte, flehte, daß sie nicht wagte, zu übersetzen, daß der khal sie fesseln und mit seinem Pferd den ganzen Weg zur Mutter aller Berge schleifen würde. Sie legte ihren Arm um das Mädchen und tröstete es:»Hab keine Angst! Ich werde es ihm sagen.«
Sie wußte nicht, ob sie genügend Worte kannte, doch als sie fertig war, erwiderte Khal Drogo ein paar barsche Sätze auf dothrakisch, und sie wußte, daß er verstanden hatte. Die Sonne ihres Lebens trat von der Hohen Bank herab.»Was hat er gesagt?«fragte der Mann, der ihr Bruder gewesen war, und zuckte dabei.
In der Halle war es so still geworden, daß sie die Glöckchen in Khal Drogos Haar hören konnte, die bei jedem Schritt leise klingelten. Seine Blutreiter folgten ihm wie drei kupferne Schatten. Daenerys war kalt geworden.»Er sagt, du sollst eine prächtige, goldene Krone bekommen, damit die Menschen erzittern, wenn sie dich sehen.«
Viserys lächelte und ließ das Schwert sinken. Das war das Traurigste, das später noch lange an ihr nagen sollte… wie er lächelte.»Mehr wollte ich nicht«, sagte er.»Nur was vereinbart war.«
Als die Sonne ihres Lebens zu ihr kam, schlang Dany einen Arm um seine Hüfte. Der khal sagte ein Wort, und seine Blutreiter sprangen vor. Qotho packte den Mann, der ihr Bruder gewesen war, beim Arm. Haggo zertrümmerte sein Handgelenk mit einer einzigen, scharfen Drehung seiner mächtigen Hände. Cohollo zog das Schwert aus seinen kraftlosen Fingern. Noch immer verstand Viserys nicht.»Nein«, rief er,»ihr dürft mir nichts tun, ich bin der Drache, der Drache, und man wird mich krönen!«
Khal Drogo löste seinen Gürtel. Die Medaillons waren aus gediegenem Gold, massiv und verziert, jedes davon groß wie eine Menschenhand. Er rief einen Befehl. Kochsklaven zogen einen schweren, eisernen Topf vom Feuer, kippten dessen
Inhalt auf den Boden und stellten den Topf aufs Feuer zurück. Drogo warf den Gurt hinein und sah mit ausdrucksloser Miene zu, wie die Medaillons rot wurden und ihre Form verloren. Sie sah, wie Feuer im Onyx seiner Augen tanzte. Ein Sklave reichte ihm ein Paar dicke Handschuhe aus Pferdehaar, und er zog sie an, würdigte den Mann dabei keines Blickes.
Viserys fing an, wortlos, schrill zu schreien wie der Feigling, der dem Tod ins Auge blickt. Er zappelte und trat um sich, wimmerte wie ein Hund und weinte wie ein Kind, aber die Dothraki hielten ihn zwischen sich. Ser Jorah hatte sich einen Weg an Danys Seite gebahnt. Er legte ihr die Hand auf die Schulter.»Wendet Euch ab, Prinzessin, ich bitte Euch.«
«Nein. «Sie verschränkte die Arme schützend auf ihrem runden Bauch.
Schließlich starrte Viserys sie an.»Schwester, bitte… Dany, sag ihnen… befehle ihnen… süßes Schwesterchen…«
Als das Gold halbwegs geschmolzen war und zu fließen begann, griff Drogo in die Flammen, nahm den Topf hervor.»Krone!«brüllte er.»Hier. Eine Krone für den Karrenkönig!«Und kippte den Topf über dem Kopf des Mannes aus, der einst Danys Bruder gewesen war.
Das Geräusch, das Viserys Targaryen von sich gab, als dieser gräßliche, eiserne Helm sein Gesicht verhüllte, hatte nichts Menschliches an sich. Seine Füße trampelten in Panik auf dem erdigen Boden umher, dann langsamer, dann kamen sie zur Ruhe. Dicke Rinnsale von geschmolzenem Gold liefen auf seine Brust, setzten die rote Seide in Brand.. dennoch wurde kein Tropfen Blut vergossen.
Er war kein Drache, dachte Dany eigentümlich gelassen. Feuer kann einen Drachen nicht töten.
Eddard
Er wanderte durch die Grüften unter Winterfell, wie er es tausendmal zuvor getan hatte. Die Könige des Winters hatten mit eisigen Augen gesehen, wie er vorüberging, und die Schattenwölfe zu ihren Füßen wandten die großen Steinköpfe und knurrten. Schließlich kam er zu dem Sarg, in dem sein Vater ruhte, Brandon und Lyanna an seiner Seite.»Versprich es mir, Ned«, flüsterte Lyannas Statue. Sie trug einen Blumenkranz aus hellblauen Rosen, und aus ihren Augen rannen Tränen aus Blut.