Es wurde still im Wald.»Als Jungen seid Ihr auf die Knie gefallen«, erklärte Bowen Marsh feierlich.»Erhebt Euch nun als Männer der Nachtwache.«'
Jon streckte eine Hand aus, um Sam auf die Beine zu helfen. Die Grenzer sammelten sich um sie, entboten ihr Lächern und Glückwünsche, alle bis auf den mürrischen, alten Waldmann Dywen.»Wir sollten uns lieber auf den Rückweg machen, M'Lord«, sagte er zu Bowen Marsh.»Es wird dunkel, und die
Nacht riecht nach etwas, das mir nicht gefällt.«
Und plötzlich war Ghost wieder da, pirschte sich auf weichen Pfoten zwischen zwei Wehrholzbäumen hervor. Weißes Fell und rote Augen, merkte Jon beunruhigt. Wie die Bäume.
Der Wolf hielt etwas zwischen seinen Zähnen. Etwas Schwarzes.»Was hat er da?«fragte Bowen Marsh stirnrunzelnd.
«Zu mir, Ghost. «Jon kniete nieder.»Bring es her.«
Der Schattenwolf trottete zu ihm. Jon hörte, wie Samwell Tarly scharf einatmete.
«Bei allen Göttern«, murmelte Dywen.»Das ist eine Hand.«
Eddard
Das graue Licht der Morgendämmerung drang durch sein Fenster, als der Donner von Hufen Eddard Stark aus seinem kurzen, erschöpften Schlaf holte. Er hob den Kopf vom Tisch, um in den Hof hinabzublicken. Unten ließen Männer in Ketten und Leder und roten Umhängen am frühen Morgen schon die Schwerter klirren und ritten feindliche Strohpuppen nieder. Ned sah, wie Sandor Clegane über den festen Boden galoppierte, um eine eisenbesetzte Lanze durch einen Puppenkopf zu bohren. Leinwand riß, und Stroh barst, während Gardisten der Lannisters scherzten und fluchten.
Gilt dieses tapfere Theater mir? fragte er sich. Falls ja, war Cersei eine noch größere Närrin, als er vermutet hatte. Verdammt soll sie sein, dachte er, warum ist die Frau nicht geflohen? Ich habe ihr eine Chance nach der anderen gegeben.
Der Morgen war bedeckt und düster. Ned nahm das Morgenmahl mit seinen Töchtern und Septa Mordane ein. Sansa, noch immer tief traurig, starrte trübe auf ihr Essen und weigerte sich, etwas davon zu sich zu nehmen, Arya hingegen schlang alles herunter, was vor ihr stand.»Syrio sagt, wir haben noch Zeit für eine letzte Stunde, bevor wir heute abend an Bord gehen«, sagte sie.»Darf ich, Vater? Meine Sachen sind alle gepackt.«
«Eine kurze Stunde, und achte darauf, daß du dir Zeit zum Baden und Umziehen läßt. Ich möchte, daß du am Mittag reisefertig bist, hast du mich verstanden?«
«Am Mittag«, sagte Arya.
Sansa sah von ihrem Essen auf.»Wenn sie eine Tanzstunde bekommen kann, wieso willst du dann nicht, daß ich Prinz Joffrey Lebewohl sage?«
«Ich würde auch mit ihr gehen, Lord Eddard«, bot sich Septa
Mordane an.»Das Schiff würden wir ganz sicher nicht versäumen.«
«Es wäre nicht klug, jetzt zu Joffrey zu gehen, Sansa. Tut mir leid.«
Tränen stiegen in Sansas Augen.»Aber wieso?«
«Sansa, dein Hoher Vater weiß es am besten«, sagte Septa Mordane.»Dir steht es nicht zu, seine Entscheidungen anzuzweifeln.«
«Das ist ungerecht!«Sansa stieß sich vom Tisch ab, warf ihren Stuhl um und lief weinend aus dem Solar.
Septa Mordane erhob sich, doch Ned winkte sie auf ihren Platz zurück.»Laßt sie gehen, Septa. Ich will versuchen, es ihr zu erklären, wenn wir alle auf Winterfell in Sicherheit sind. «Die Septa neigte den Kopf und setzte sich, um ihr Morgenmahl zu beenden.
Etwa eine Stunde später kam Grand Maester Pycelle zu Eddard Stark in sein Solar. Mit hängenden Schultern, als wäre ihm die Last der großen Ordenskette um seinen Hals zu schwer geworden, sagte er:»Mylord, König Robert ist von uns gegangen. Mögen ihn die Götter ruhen lassen.«
«Nein«, antwortete Ned.»Er hat die Ruhe gehaßt. Mögen ihm die Götter Liebe und Gelächter schenken und die Freude einer aufrechten Schlacht. «Es war seltsam, wie leer er sich fühlte. Er hatte den Besuch erwartet, dennoch war bei diesen Worten etwas in ihm gestorben. Alle seine Titel hätte er dafür gegeben, weinen zu können… aber er war Roberts Rechte Hand, und die Stunde, die er so gefürchtet hatte, war gekommen.»Seid so gut, die Ratsmitglieder hier in mein Solar zu rufen«, erklärte er Pycelle. Der Turm der Hand war so sicher, wie er und Tomard ihn machen konnten. Selbiges konnte er von den Ratskammern nicht behaupten.
«Mylord?«Pycelle blinzelte.»Sicher könnten die Geschäfte des Königreiches bis morgen warten, wenn unsere Trauer nicht
mehr so frisch ist.«
Still, doch fest entschlossen antwortete Ned:»Ich fürchte, wir müssen uns sofort beraten.«
Pycelle verneigte sich.»Wie die Rechte Hand befiehlt. «Er rief seine Diener und sandte sie aus, dann nahm er dankend den Stuhl und den Becher süßen Bieres an, den Ned ihm anbot.
Ser Barristan Selmy folgte seinem Ruf als erster, makellos in weißem Umhang und emaillierten Schuppen.»Mylords«, sagte er,»mein Platz ist jetzt neben dem jungen König. Ich bitte um Erlaubnis, ihm beizustehen.«
«Euer Platz ist hier, Ser Barristan«, erklärte ihm Ned.
Littlefinger kam als nächster, noch im blauen Samt und dem Umhang mit den silbernen Nachtigallen gekleidet, die er am Abend zuvor getragen hatte, seine Stiefel staubig vom Reiten.»Mylords«, sagte er und lächelte, bis er sich Ned zuwandte.»Die kleine Pflicht, die ihr mir aufgetragen habt, ist erledigt, Lord Eddard.«
Varys fegte auf einer Veilchenwolke herein, rosa vom Bad, sein plumpes Gesicht geschrubbt und frisch gepudert, die weichen Pantoffeln geräuschlos.»Heute singen die kleinen Vögel ein trauriges Lied«, sagte er, indem er sich setzte.»Das Reich weint. Sollen wir beginnen?«
«Sobald Lord Renly eintrifft«, sagte Ned.
Varys warf ihm einen bedauernden Blick zu.»Ich fürchte, Lord Renly hat die Stadt verlassen.«
«Er hat die Stadt verlassen?«Ned hatte auf Renlys Unterstützung gebaut.
«Er ist durchs Seitentor hinaus, eine Stunde vor dem Morgengrauen, begleitet von Ser Loras Tyrell und etwa fünfzig Gefolgsleuten«, erklärte ihnen Varys.»Zuletzt wurden sie gesehen, als sie in Eile gen Süden galoppierten, zweifelsohne auf dem Weg nach Storm's End oder Highgarden.«
Soviel zu Renly und seinen hundert Streitern. Ned gefiel nicht, was er dahinter witterte, nur ließ sich daran wenig ändern. Er nahm Roberts letzten Brief hervor.»Der König hat mich gestern abend zu sich gerufen und mir aufgetragen, seine letzten Worte niederzuschreiben. Lord Renly und Grand Maester Pycelle haben bezeugt, daß Robert den Brief versiegelt hat, damit er nach seinem Tod vom Rat geöffnet wird. Ser Barristan, wäret Ihr so freundlich?«
Der Lord Commander der Königsgarde begutachtete das Papier.»König Roberts Siegel, ungebrochen. «Er öffnete den Brief und las.»Lord Eddard Stark wird darin zum Protektor des Reiches ernannt, um als Regent zu herrschen, bis der Erbe mündig wird.«
Und wie es der Zufall so will, ist er volljährig, dachte Ned, doch gab er seinem Gedanken keine Stimme. Er traute weder Pycelle noch Varys, und Ser Barristan war mit seiner Ehre gebunden, den Jungen zu schützen und zu verteidigen, den er für den neuen König hielt. Der alte Ritter würde Joffrey nicht so leicht im Stich lassen. Der notwendige Verrat ließ einen bitteren Geschmack in seinem Mund zurück, und Ned wußte, hier mußte er mit Umsicht vorgehen, seine Absichten für sich behalten und das Spiel mitspielen, bis er als Regent sicher im Sattel saß. Es wäre noch Zeit genug, die Thronfolge zu überdenken, wenn sich Arya und Sansa auf Winterfell in Sicherheit befanden und Lord Stannis mit seiner Streitmacht in King's Landing eintraf.