Arya
«Hoch«, rief Syrio Forel und schlug nach ihrem Kopf. Die Stockschwerter knallten aneinander, als Arya parierte.
«Links«, rief er, und seine Klinge pfiff heran. Ihre schoß hervor, um ihm zu begegnen. Das Krachen ließ ihn die Zähne aufeinander schlagen.
«Rechts«, sagte er und» tief «und» links «und wieder» links«, schneller und schneller, drängte vorwärts. Arya wich vor ihm zurück, antwortete jedem Hieb.
«Ausfall«, warnte er und schlug zu. Sie trat zur Seite, wischte seine Klinge weg und wollte seine Schulter treffen. Beinah berührte sie ihn, beinah, so nah, daß sie darüber grinsen mußte. Eine Haarsträhne baumelte vor ihren Augen, weich vom Schweiß. Mit dem Handrücken schob sie diese beiseite.
«Links«, rief Syrio.»Tief. «Sein Schwert ging schneller, als man sehen konnte, und die Kleine Halle war erfüllt vom Echo des klack, klack, klack.»Links. Links. Hoch. Rechts, links. Tief. Links!«
Die Holzklinge traf sie oben an der Brust, ein plötzlicher, stechender Hieb, der um so mehr schmerzte, da er von der falschen Seite kam.»Au«, heulte sie auf. Dort würde sie eine frische Prellung haben, wenn sie schlafen ging, irgendwo draußen auf See. Eine Prellung ist eine Lektion, ermahnte sie sich selbst und jede Lektion macht uns nur besser.
Syrio trat zurück.»Du bist tot.«
Arya verzog das Gesicht.»Du hast geschummelt«, sagte sie erhitzt.»Du hast links gesagt und rechts zugeschlagen.«
«Genau so. Und jetzt bist du ein totes Mädchen.«
«Aber du hast gelogen!«
«Meine Worte haben gelogen. Meine Augen und meine
Arme haben die Wahrheit herausgeschrien, nur hast du nicht hingesehen.«
«Hab ich doch«, sagte Arya.»Jede Sekunde hab ich dich beobachtet!«
«Beobachten ist nicht gleich sehen, totes Mädchen. Der Wassertänzer sieht. Komm, leg dein Schwert beiseite, und hör mir zu.«
Sie folgte ihm zur Wand hinüber, wo er sich auf einer Bank niederließ.»Syrio Forel war Erster Recke des Sealords of Braavos, und weißt du, wie das zustande kam?«
«Du warst der beste Schwertkämpfer in der Stadt.«
«Das schon, aber warum? Andere Männer waren stärker, schneller, jünger: Wieso war Syrio Forel der beste? Ich will es dir sagen. «Ganz leicht berührte er mit der Spitze seines kleinen Fingers sein Augenlid.»Das Sehen, das wahre Sehen, das ist der Kern.
Hör mich an! Die Schiffe von Braavos segeln so weit, wie der Wind weht, zu Ländern, die fremd und wundersam sind, und wenn sie heimkehren, bringen ihre Kapitäne sonderbare Tiere mit für die Menagerie des Sealords. Tiere, wie du sie noch nie gesehen hast, gestreifte Pferde, große, gepunktete Viecher mit Hälsen lang wie Stelzen, haarige Mausschweine, groß wie Kühe, Sphinxe, Tiger, die ihre Jungen im Beutel tragen, schreckliche, laufende Echsen mit Klauen wie Sicheln. Syrio Forel hat diese Tiere gesehen.
An jenem Tag, von dem ich spreche, war der Erste Recke eben tot, und der Sealord ließ mich rufen. Viele Haudegen hatten ihn aufgesucht und ebenso viele hatte man fortgeschickt, doch konnte keiner sagen, wieso. Als ich zu ihm kam, saß er, und auf seinem Schoß lag eine dicke, gelbe Katze. Er erklärte mir, einer seiner Kapitäne habe ihm das Tier gebracht, von einer Insel jenseits des Sonnenaufgangs. >Habt Ihr so eine schon gesehen?< fragte er mich.
Und ich antwortete ihm: Jeden Abend sehe ich Tausende wie sie in den Gassen von Braavos<, und der Sealord lachte, und an jenem Tag machte man mich zum Ersten Recken.«
Arya verzog das Gesicht.»Ich verstehe nicht. «Syrio klackte mit den Zähnen.»Die Katze war eine gewöhnliche Katze, nicht mehr. Die anderen erwarteten ein Fabeltier, und ein solches sahen sie dann auch. Wie groß sie sei, sagten sie. Sie war nicht größer als andere Katzen, nur fett von Trägheit, denn der Sealord fütterte sie an seinem eigenen Tisch. Wie seltsam kleine Ohren, sagten sie. Ihre Ohren waren von den Kämpfen als kleines Kätzchen ausgefranst. Und es war ganz deutlich ein Kater, dennoch sprach der Sealord von >ihr<, und so sahen ihn auch die anderen. Verstehst du mich?«
Arya dachte darüber nach.»Du hast gesehen, was da war.«»Genau so. Mach die Augen auf, mehr ist nicht nötig. Das Herz lügt, und der Kopf spielt uns Tricks vor, die Augen aber sehen die Wahrheit. Sieh mit deinen Augen. Höre mit deinen Ohren. Schmecke mit deinem Mund. Rieche mit deiner Nase. Fühle mit deiner Haut. Dann erst kommt das Denken, danach, und auf diese Weise das Wissen um die Wahrheit.«
«Genau so«, sagte Arya grinsend. Syrio Forel gestattete sich ein Lächeln.
«Ich denke gerade, wenn wir dieses Winterfell erreichen, wird es Zeit, dir diese Nadel in die Hand zu geben.«
«Ja!«sagte Arya eifrig.»Warte, bis ich Jon zeige…«Hinter ihr flogen die großen Holztüren der Kleinen Halle krachend auf. Arya fuhr herum.
Ein Ritter der Königsgarde stand im Türbogen, fünf Gardisten der Lannisters hinter ihm aufgereiht. Der Ritter war in voller Rüstung, doch sein Visier war hochgeklappt. Arya erkannte seine matten Augen und den rostroten Backenbart wieder, da er mit dem König auf Winterfell gewesen war: Ser Meryn Tränt. Die Rotröcke trugen Kettenhemden über hartem
Leder und Stahlhelme mit Löwenschmuck.»Arya Stark«, sagte der Ritter,»komm mit uns, Kind.«
Arya kaute unsicher auf ihrer Unterlippe.»Was wollt Ihr?«
«Dein Vater will dich sehen.«
Arya trat einen Schritt vor, aber Syrio Forel hielt sie am Arm zurück.»Und warum schickt Lord Eddard in seinem eigenen Haus Männer der Lannisters? Das wundert mich.«
«Kümmert Euch um Eure Angelegenheiten, Tanzlehrer«, sagte Ser Meryn.»Das geht Euch nichts an.«
«Euch würde mein Vater nicht schicken«, sagte Arya. Sie sammelte ihr Stockschwert auf. Die Lannisters lachten.
«Leg den Stock weg, Mädchen«, erklärte Ser Meryn.»Ich bin Waffenbruder der Königsgarde, der Weißen Schwerter.«
«Das war der Königsmörder auch, als er den alten König erschlug«, sagte Arya.»Ich muß nicht mit Euch gehen, wenn ich nicht will.«
Ser Meryn Tränt verlor die Geduld.»Ergreift sie«, rief er seinen Männern zu. Er ließ das Visier an seinem Helm herab.
Drei von ihnen traten vor, und ihre Ketten klirrten leise bei jedem Schritt. Plötzlich fürchtete sich Arya. Angst schneidet tiefer als ein Schwert, sagte sie sich, damit ihr Herz nicht mehr so raste.
Syrio Forel trat dazwischen, tippte sein Holzschwert leicht an seinen Stiefel.»Bis hierhin und nicht weiter. Seid Ihr Männer oder Hunde, daß Ihr ein Kind bedroht?«
«Aus dem Weg, alter Mann«, grunzte einer der Rotröcke.
Syrios Stock kam pfeifend hoch und schlug ihm an den Helm.»Ich bin Syrio Forel, und du wirst mit mehr Respekt zu mir sprechen.«
«Kahler Wicht. «Der Mann riß sein Langschwert hervor. Wieder zuckte der Stock, blendend schnell. Arya hörte ein lautes Krachen, als das Schwert klappernd auf den
Steinfußboden fiel.»Meine Hand«, jammerte der Gardist und hielt seine gebrochenen Finger.
«Ihr seid schnell für einen Tanzlehrer«, sagte Ser Meryn.
«Ihr seid langsam für einen Ritter«, erwiderte Syrio.
«Tötet den Braavosi und bringt mir das Mädchen«, befahl der Ritter in der weißen Rüstung.
Vier Gardisten der Lannisters zogen ihre Schwerter. Der fünfte, mit gebrochenen Fingern, spuckte aus und zückte mit der Linken einen Dolch.
Syrio Forel klackte mit den Zähnen, nahm seine Wassertänzer-Stellung ein, hielt dem Feind nur seine Seite hin.»Arya, Kind«, rief er, ohne hinzusehen, ohne seinen Blick von den Lannisters zu nehmen,»für heute haben wir genug getanzt. Du solltest besser gehen. Lauf zu deinem Vater.«
Arya wollte ihn nicht allein lassen, doch hatte er sie gelehrt, zu tun, was er sagte.»Leichtfüßig wie ein Reh«, flüsterte sie.
«Genau so«, sagte Syrio Forel, während die Lannisters näher kamen.
Arya zog sich zurück, ihr eigenes Schwert fest in der Hand. Während sie ihn nun beobachtete, wurde ihr klar, daß er bislang nur mit ihr gespielt hatte. Die Rotröcke kamen von drei Seiten mit Stahl in Händen auf ihn zu. Sie trugen Kettenharnische über Brust und Armen und hatten stählerne Hosenbeutel in ihre Hosen genäht, doch nur Leder an den Beinen. Ihre Hände waren nackt, und die Hauben, die sie trugen, hatten zwar Nasenschützer, aber kein Visier über den Augen.