Syrio wartete nicht, bis sie bei ihm waren, sondern wirbelte nach links. Nie zuvor hatte sie gesehen, wie ein Mensch sich derart schnell bewegte. Er parierte einen Schwerthieb mit dem Stock und wich einem zweiten aus. Aus dem Gleichgewicht gebracht, stieß der zweite Mann mit dem ersten zusammen.
Syrio setzte ihm einen Stiefel an den Hintern, und die beiden Rotröcke gingen gemeinsam zu Boden. Der dritte Gardist sprang über die beiden hinweg, hieb nach des Wassertänzers Kopf. Syrio duckte sich unter der Klinge hindurch und schlug nach oben. Schreiend fiel der Gardist, während Blut aus dem feuchten, roten Loch quoll wo sein linkes Auge gewesen war.
Die gestürzten Männer standen auf. Syrio trat einem ins Gesicht und riß dem anderen die stählerne Haube vom Kopf. Der Mann mit dem Dolch stach nach ihm. Syrio fing den Hieb mit dem Helm auf und zertrümmerte dem Mann die Kniescheibe mit seinem Stock. Der letzte Rotrock stieß einen Fluch aus und hackte mit beiden Händen am Schwert auf ihn ein. Syrio rollte nach rechts, und der Schlachterhieb traf den helmlosen Mann zwischen Hals und Schulter, als dieser eben auf die Knie kam. Das Langschwert durchschlug Ketten und Leder und Fleisch. Der Mann auf Knien brüllte. Bevor sein Mörder die Klinge freibekommen konnte, stach Syrio ihm in den Adamsapfel. Der Gardist stieß ein ersticktes Heulen aus und taumelte rückwärts, hielt sich den Hals, und sein Gesicht wurde schwarz.
Fünf Männer lagen tot am Boden oder noch im Sterben, als Arya die Hintertür erreichte, die zur Küche führte. Sie hörte Ser Meryn Tränt fluchen.»Verdammte Esel«, fluchte er, indem er sein Langschwert aus der Scheide zog.
Syrio Forel nahm wieder seine Haltung ein und klickte mit den Zähnen.»Arya, Kind«, rief er, ohne sie anzusehen,»fort mit dir.«
Sieh mit deinen Augen, hatte er gesagt. Sie sah den Ritter in seiner hellen Rüstung, von Kopf bis Fuß, Beine, Hals und Hände von Metall geschützt, die Augen hinter seinem hohen, weißen Helm verborgen und in seinen Händen grausiger Stahl. Dagegen Syrio in einer Lederweste, mit dem Holzschwert in der Hand.»Syrio, lauf«, schrie sie.
«Der Erste Recke von Braavos läuft nicht davon«, rief er, als Ser Meryn auf ihn einschlug. Syrio tänzelte vor dessen Hieb davon, sein Stock kaum zu erkennen. In einem Herzschlag hatte er den Ritter an Schläfe, Ellbogen und Kehle getroffen, das Holz klirrte am Metall von Helm, Handschuh und Halsberge. Arya stand stocksteif da. Ser Meryn griff an, Syrio wich zurück. Er parierte den nächsten Hieb, wich dem nächsten aus, ließ den dritten abprallen.
Der vierte hieb seinen Stock entzwei, splitterte das Holz und durchschlug den Lederkern.
Schluchzend fuhr Arya herum und lief los.
Sie stürzte durch die Küchen und Speisekammer, blind vor Entsetzen, schlängelte sich zwischen Köchen und Kellnern hindurch. Eine Bäckergehilfin trat ihr in den Weg, hielt ein hölzernes Tablett. Arya rannte sie um, daß duftende Laiber von frischgebackenem Brot zu Boden fielen. Sie hörte, wie jemand hinter ihr etwas rief, und drehte sich um, sah, daß ein stämmiger Schlachter mit einem Hackbeil in der Hand in ihre Richtung gaffte. Seine Arme waren bis zum Ellenbogen rot.
Alles, was Syrio Forel sie gelehrt hatte, raste ihr im Kopf herum. Leichtfüßig wie ein Reh. Leise wie ein Schatten. Angst schneidet tiefer als ein Schwert. Schnell wie eine Schlange. Ruhig wie stilles Wasser. Angst schneidet tiefer als ein Schwert. Stark wie ein Bär. Wild wie eine Wölfin. Angst schneidet tiefer als ein Schwert. Der Mann, der fürchtet zu verlieren, hat bereits verloren. Angst schneidet tiefer als ein Schwert. Angst schneidet tiefer als ein Schwert. Angst schneidet tiefer als ein Schwert. Der Griff ihres hölzernen Schwertes war glatt vom Schweiß, und keuchend erreichte Arya die Turmtreppe. Für einen Augenblick erstarrte sie. Rauf oder runter? Der Weg nach oben würde sie zur überdachten Brücke führen, die den kleinen Burghof zum Turm der Hand überspannte, doch würde man von ihr erwarten, daß sie ebendiesen Weg nahm, dessen war sie sicher. Tu nie, was sie von dir erwarten, hatte Syrio einmal gesagt. Arya lief nach unten, immer im Kreis, nahm immer zwei bis drei der schmalen Steinstufen gleichzeitig. Sie kam in einem grottenartigen Keller heraus, umgeben von Bierfässern, zwanzig Fuß hoch gestapelt. Das einzige Licht fiel durch schmale, schräge Fenster hoch oben in der Wand.
Der Keller war eine Sackgasse. Es führte nur der Weg heraus, auf dem sie hereingekommen war. Sie wagte nicht, über diese Treppe zurückzugehen, nur konnte sie hier auch nicht bleiben. Sie mußte ihren Vater finden und ihm erzählen, was geschehen war. Ihr Vater würde sie beschützen.
Arya schob ihr Holzschwert durch den Gürtel und fing an zu klettern, sprang von Faß zu Faß, bis sie an das Fenster kam. Mit beiden Händen packte sie den Stein und zog sich hinauf. Die Mauer war einen Meter dick, das Fenster ein Tunnel, der schräg nach oben und nach draußen führte. Als sie mit dem Kopf auf Bodenhöhe war, spähte sie über den Hof zum Turm der Hand.
Die dicke Holztür hing zersplittert und gebrochen in den Angeln wie mit Äxten bearbeitet. Ein toter Mann lag bäuchlings, alle viere von sich gestreckt, auf den Stufen, sein Umhang unter sich begraben, der Rücken seines Kettenhemdes rot durchweicht. Der Umhang des Toten war aus grauer Wolle mit weißem Satin, wie sie erschrocken merkte. Sie konnte nicht erkennen, wer es war.
«Nein«, flüsterte sie. Was ging hier vor sich? Wo war Vater? Warum hatten die Rotröcke ihn holen wollen? Sie erinnerte sich an die Worte des Mannes mit dem gelben Bart an jenem Tag, als sie die Ungeheuer gefunden hatte. Wenn eine Hand sterben kann, wieso nicht auch die andere?
Arya spürte Tränen in ihren Augen. Sie hielt den Atem an, um Luft zu holen. Sie hörte Kampflärm, Rufen, Schreie, das Klirren von Stahl auf Stahl, das durch die Fenster des Turmes
der Hand drang.
Sie konnte nicht zurück. Ihr Vater…
Arya schloß die Augen. Einen Moment war ihre Angst zu groß und lahmte sie in jeder Bewegung. Sie hatten Jory und Wyl und Heward getötet, und diesen Gardisten auf der Treppe, wer auch immer er gewesen war. Vielleicht töteten sie auch ihren Vater und sie, falls man sie fing.»Angst schneidet tiefer als ein Schwert«, sagte sie laut, doch nützte es ihr nichts zu tun, als sei sie eine Wassertänzerin. Syrio war ein Wassertänzer gewesen, und wahrscheinlich hatte der weiße Ritter ihn erschlagen, und außerdem war sie nur ein kleines Mädchen mit einem Holzstock, allein und verängstigt.
Sie kletterte auf den Hof hinaus, blickte sich argwöhnisch um, während sie sich auf die Beine erhob. Die Burg lag verlassen da. Der Red Keep wirkte nie verlassen. Alle schienen sich drinnen zu verstecken, hatten die Türen verrammelt. Sehnsüchtig sah Arya zu ihrer Schlafkammer hoch, dann ließ sie den Turm der Hand hinter sich, blieb stets dicht an der Mauer, während sie von einem Schatten zum nächsten schlich. Sie tat, als jagte sie Katzen… nur war jetzt sie die Katze, und wenn man sie schnappte, würde man sie töten.
Sie lief zwischen Gebäuden hindurch und über Mauern, hielt, wenn möglich, Stein in ihrem Rücken, damit niemand sie überraschen konnte, und so erreichte Arya die Ställe fast ohne Zwischenfall. Ein Dutzend Goldröcke in Kettenhemd und Panzer stürmten an ihr vorbei, derweil sie über den inneren Burghof lief, ohne zu wissen, auf wessen Seite sie standen, und so kauerte sie sich in die Schatten und ließ die Männer passieren.
Hüllen, der auf Winterfell Stallmeister gewesen war, seit Arya sich erinnern konnte, lag in sich zusammengesunken auf dem Boden bei der Stalltür. Man hatte so oft auf ihn eingestochen, daß es aussah, als sei sein Waffenrock mit roten