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Sie warf ihr Bündel hinein und machte kehrt, um ihre Kerze anzuzünden. Das war riskant. Das Feuer, das sie dort gesehen hatte, war bis fast zur Asche heruntergebrannt, und sie hörte Stimmen, als sie an die Kohlen blies. Mit den Händen um die flackernde Kerze kletterte sie, ohne auch nur einen Blick zurückzuwerfen, in dem Moment zum Fenster hinaus, als die Leute durch die Tür traten.

Diesmal machten ihr die Ungeheuer keine Angst. Fast schienen sie wie alte Freunde. Arya hielt die Kerze über ihren Kopf. Bei jedem Schritt bewegten sich die Schatten an den Wänden, als wandten sie sich um und sähen sie vorübergehen.»Drachen«, flüsterte sie. Sie zog Needle unter ihrem Umhang vor. Die schlanke Klinge wirkte sehr klein, und die Drachen wirkten sehr groß, trotzdem fühlte sich Arya mit Stahl in der Hand weit besser.

Der lange, fensterlose Korridor hinter der Tür war so schwarz, wie sie ihn in Erinnerung hatte. Sie hielt Needle in der Linken, ihrer Schwerthand, die Kerze in der rechten Faust. Heißes Wachs lief über ihre Knöchel. Der Eingang zum Brunnen war links gewesen, also ging Arya nach rechts. Etwas in ihr wollte rennen, doch fürchtete sie, die Kerze zu löschen. Sie hörte das leise Quieken von Ratten und sah winzige, glühende Augen am Rande des Lichtscheins, aber die Ratten machten ihr keine Angst. Anderes hingegen schon. Es war so einfach, sich hier zu verstecken, so wie sie sich vor dem Zauberer und dem Mann mit dem Gabelbart versteckt hatte. Fast konnte sie den Stalljungen an der Wand stehen sehen, die Hände zu Klauen gekrümmt, und Blut lief aus den tiefen Wunden an seinen Händen, wo Needle sie zerschnitten hatte. Vielleicht wartete er darauf, sie zu packen, wenn sie vorüberging. Ihre Kerze würde er von weitem schon sehen. Vielleicht wäre sie ohne Licht besser dran.

Angst schneidet tiefer als ein Schwert, flüsterte die leise Stimme in ihrem Inneren. Plötzlich erinnerte sich Arya an die Gruft von Winterfell. Die war um einiges unheimlicher, redete sie sich ein. Sie war noch als kleines Mädchen zum ersten Mal dort unten gewesen. Ihr Bruder Robb hatte sie mitgenommen, sie und Sansa und den kleinen Bran, der nicht größer war als Rickon jetzt. Nur eine einzige Kerze hatten sie für alle gehabt. Dann entdeckte Bran die Gesichter der Könige des Winters, mit den Wölfen zu ihren Füßen und den Eisenschwertern auf dem Schoß, und seine Augen wurden tellergroß.

Robb führte sie den ganzen Weg bis ans Ende hinunter, an Großvater und Brandon und Lyanna vorbei, um ihnen ihre eigenen Grabstätten zu zeigen. Sansa starrte nur in die stummelige, kleine Kerze, fürchtete, sie könne verlöschen. Old

Nan hatte ihr erzählt, dort unten gäbe es Spinnen und Ratten, groß wie Hunde. Robb lächelte nur.»Es gibt Schlimmeres als Spinnen und Ratten«, flüsterte er.»Hier wandeln die Toten. «Da hörten sie das Geräusch, leise und tief und fröstelnd. Der kleine Bran klammerte sich an Aryas Hand.

Als das Gespenst dem offenen Grab entstieg, fahlweiß und nach Blut stöhnend, rannte Sansa kreischend zur Treppe, und Bran schlang sich schluchzend um Robbs Bein. Arya blieb stehen und versetzte dem Gespenst einen Hieb. Es war nur Jon, mit Mehl bestreut.»Du Dummkopf«, fuhr sie ihn a«,»du hast den Kleinen erschreckt«, aber Jon und Robb lachten und lachten, und bald schon lachten auch Bran und Arya.

Die Erinnerung daran ließ Arya lächeln, und danach konnte die Finsternis sie nicht mehr schrecken. Der Stalljunge war tot, sie hatte ihn getötet, und falls er sie anfiele, würde sie ihn abermals töten. Sie wollte nach Hause. Alles würde wieder besser sein, wenn sie erst zu Hause wäre, in Sicherheit hinter den grauen Granitmauern von Winterfell.

Ihre Schritte schickten ein leises Echo voraus, während Arya immer tiefer in die Dunkelheit vordrang.

Sansa

Sansa holten sie am dritten Tag.

Sie wählte ein schlichtes Kleid aus dunkel grauer Wolle, einfach geschnitten, aber reich verziert um Kragen und Ärmel. Ihre Finger fühlten sich klobig und unbeholfen an, als sie ohne Hilfe ihrer Dienerinnen mit den silbernen Befestigungen rang. Jeyne Poole war mit ihr eingesperrt, doch Jeyne war zu nichts nutze. Ihr Gesicht war tränenüberströmt, und anscheinend konnte sie nicht aufhören, um ihren Vater zu weinen.

«Ich bin sicher, daß es deinem Vater gutgeht«, erklärte Sansa, nachdem sie das Kleid schließlich richtig geknöpft hatte.»Ich werde die Königin bitten, dich zu ihm zu lassen. «Sie glaubte, die Freundlichkeit würde Jeyne wieder auf andere Gedanken bringen, doch das Mädchen sah sie nur mit roten, geschwollenen Augen an und weinte nur noch um so heftiger. Sie war so kindisch.

Auch Sansa hatte geweint am ersten Tag. Selbst innerhalb der dicken Mauern von Maegor's Holdfast, trotz verriegelter und verrammelter Türen, befiel sie das Entsetzen, als das Morden begann. Aufgewachsen mit dem Klirren von Stahl, war kaum ein Tag ihres Lebens vergangen, an dem sie nicht gehört hatte, wie ein Schwert aufs andere traf, allein das Wissen darum, daß diese Kämpfe echt waren, machte den entscheidenden Unterschied. Sie hörte es, wie sie es noch nie zuvor gehört hatte, und anderes noch dazu, Schmerzensschreie, wütende Flüche, Hilferufe und das Stöhnen der Verwundeten und Sterbenden. In den Liedern schrien die Ritter nie, nie flehten sie um Gnade.

Also weinte sie, bettelte durch die Tür, man möge ihr sagen, was vor sich ginge, rief nach dem Vater, nach Septa Mordane, nach dem König, nach ihrem tapferen Prinzen. Falls die

Männer, die sie bewachten, ihr Flehen vernahmen, so gaben sie keine Antwort. Nur einmal ging die Tür auf, und zwar in jener Nacht, als sie Jeyne Poole zu ihr hereinwarfen, mit blauen Flecken übersät und zitternd.»Sie bringen alle um«, hatte die Tochter des Haushofmeisters geschrien. Sie redete und redete. Der Bluthund habe ihre Tür mit einem Streithammer eingeschlagen, erzählte sie. Leichen lägen auf der Treppe zum Turm der Hand, und die Stufen seien rutschig vom Blut. Sansa wischte ihre eigenen Tränen fort und tröstete die Freundin. Sie schliefen im selben Bett, umarmten einander wie Schwestern.

Am zweiten Tag war es noch ärger. Die Kammer, in die man Sansa gesperrt hatte, lag oben im höchsten Turm von Maegor's Holdfast. Vom Fenster aus konnte sie sehen, daß die schweren, eisernen Fallgitter im Torhaus herabgelassen waren, und hochgezogen war auch die Zugbrücke über dem trockenen Burggraben, der die Burg in der Burg von der großen Festung außen trennte. Gardisten der Lannisters schlichen mit Spießen und Armbrüsten in Händen auf den Mauern herum. Der Kampf war vorüber, und Grabesstille hatte sich über den Red Keep gesenkt. Zu hören war nur noch Jeyne Pooles endloses Jammern und Schluchzen.

Man gab ihnen zu essen — harten Käse und frischgebackenes Brot mit Milch am Morgen, Brathühnchen mit Gemüse am Mittag und zum späten Abendbrot einen Eintopf aus Rindfleisch und Gerste — aber die Diener, die das Essen brachten, wollten auf Sansas Fragen keine Antwort geben. An diesem Abend brachten ihr einige Frauen Kleider aus dem Turm der Hand und dazu einige von Jeyne Pooles Sachen, doch schienen sie fast so verängstigt wie Jeyne; sie versuchte, mit ihnen zu sprechen, da flohen sie vor ihr, als hätte sie die graue Pest. Die Wachen vor der Tür weigerten sich nach wie vor, sie aus der Kammer zu lassen.

«Bitte, ich muß noch einmal mit der Königin reden«, erklärte Sansa ihnen, wie sie es jedem erklärte, den sie an diesem Tage sah.»Sie wird mich sprechen wollen, ich weiß es genau. Sagt ihr, ich möchte sie sehen, bitte. Wenn nicht die Königin, dann Prinz Joffrey, falls Ihr so freundlich wäret. Wir wollen heiraten, wenn wir älter sind.«