… den König heiraten… Die Worte ließen ihren Atem schneller gehen, und dennoch zögerte Sansa.»Vielleicht… wenn ich meinen Vater sehen dürfte, mit ihm reden über… «
«Verrat?«vermutete Lord Varys.
«Du enttäuschst mich, Sansa«, sagte die Königin mit Augen hart wie Stein.»Wir haben dir von den Untaten deines Vaters berichtet. Wenn du wirklich so loyal bist, wie du sagst, wieso solltest du ihn dann noch sehen wollen?«
«Ich… ich meinte nur…«Sansa spürte, daß ihre Augen feucht wurden.»Er ist nicht… bitte, ihm ist doch nichts… geschehen, oder… oder…«
«Lord Eddard ist nichts zugestoßen«, sagte die Königin.
«Aber… was soll mit ihm geschehen?«
«Das ist eine Frage, die der König entscheiden muß«, verkündete Grand Maester Pycelle gewichtig.
Der König! Sansa blinzelte die Tränen fort. Joffrey war jetzt der König, dachte sie. Ihr tapferer Prinz würde ihrem Vater niemals etwas antun, was auch immer er verbrochen haben mochte. Wenn sie zu ihm ginge und um Gnade flehte, würde er bestimmt auf sie hören. Er mußte es, er liebte sie, selbst die Königin sagte das. Joff würde ihren Vater bestrafen müssen, die Lords würden es von ihm erwarten, doch vielleicht würde man ihn zurück nach Winterfell schicken, oder ins Exil in eine der Freien Städte jenseits der Meerenge. Es würde nur für ein paar Jahre sein. Bis dahin wäre sie mit Joffrey verheiratet. Wenn sie erst Königin war, konnte sie Joff überreden, ihren Vater zurückzuholen und ihn zu begnadigen.
Nur… falls Mutter oder Robb etwas Verräterisches taten, zu den Fahnen riefen oder sich weigerten, Treue zu schwören oder irgendwas, wäre alles dahin. Ihr Joffrey war gut und edel, sie wußte es in ihrem Herzen, ein König jedoch mußte mit Rebellen streng verfahren. Es lag an ihr, es ihnen klarzumachen, ganz allein an ihr!
«Ich… ich werde den Brief schreiben«, erklärte Sansa.
Mit einem Lächeln, das so warm war wie ein Sonnenaufgang, beugte sich Cersei Lannister vor und küßte sie sanft auf die Wange.»Ich wußte es. Joffrey wird so stolz sein, wenn ich ihm erzähle, wie mutig und vernünftig du dich heute erwiesen hast.«
Am Ende schrieb sie vier Briefe. An ihre Mutter, Lady Catelyn Stark, und an ihre Brüder auf Winterfell, und außerdem an ihre Tante und an ihren Großvater, Lady Lysa Arryn auf der Eyrie und Lord Hoster Tully von Riverrun. Als sie damit fertig war, hatte sie verkrampfte und steife Finger voller Tintenflecken. Varys hatte das Siegel ihres Vaters. Sie wärmte milchig weißes Bienenwachs über einer Kerze, goß es vorsichtig auf die Schreiben und sah, wie der Eunuch jeden Brief mit dem Schattenwolf des Hauses Stark stempelte.
Jeyne Poole und all ihre Sachen waren verschwunden, als Ser Mandon Moore Sansa in den hohen Turm von Maegor's Holdfast brachte. Kein Heulen mehr, dachte sie dankbar. Trotzdem schien es irgendwie kälter, seit Jeyne nicht mehr da war, selbst noch, nachdem sie ein Feuer entfacht hatte. Sie zog einen Stuhl nah an den Kamin, nahm eines ihrer Lieblingsbücher und verlor sich in den Geschichten von Florian und Jonquil, von Lady Shella und dem Ritter des Regenbogens, vom kühnen Prinzen Aemon und seiner vergeblichen Liebe zu seines Bruders Königin.
Erst später an jenem Abend, als sie in den Schlaf sank, fiel Sansa ein, daß sie ganz vergessen hatte, nach ihrer Schwester zu fragen.
Jon
«Othor«, verkündete Ser Jaremy Rykker,»ohne jeden Zweifel. Und dieser andere war Jafer Flowers. «Er drehte die Leiche mit dem Fuß um, und das tote, weiße Gesicht starrte mit blauen Augen in den bedeckten Himmel auf.»Sie waren Ben Starks Männer, beide.«
Die Männer meines Onkels, dachte Jon benommen. Er erinnerte sich daran, wie sehr er darum gebettelt hatte, mit ihnen zu reiten. Bei allen Göttern, ich war ein so grüner Junge. Wenn er mich mitgenommen hätte, würde ich vielleicht hier liegen…
Jafers rechtes Handgelenk endete an einem Stumpf von zerfetztem Fleisch und gesplitterten Knochen, die Ghosts Zähne zurückgelassen hatten. Seine rechte Hand lag in einem Glas mit Essig, oben in Maester Aemons Turm. Seine linke Hand, die sich noch am Arm befand, war schwarz wie sein Umhang.
«Gnaden uns die Götter«, murmelte der Alte Bär. Er schwang sich von seinem Klepper, reichte Jon die Zügel. Der Morgen war unnatürlich warm, Schweiß stand auf der breiten Stirn des Lord Commanders wie Tau auf einer Melone. Sein Pferd war unruhig, rollte mit den Augen, wich vor dem toten Mann zurück, so weit die Zügel es erlaubten. Jon führte die Stute ein paar Schritte weiter, mußte sich anstrengen, damit sie nicht durchging. Den Pferden gefiel es an diesem Ort nicht. Da ging es ihnen wie Jon.
Die Hunde mochten ihn am allerwenigsten. Ghost hatte den Trupp geführt, das Rudel Hunde war nutzlos gewesen. Als Bass, der Hundeführer, versucht hatte, sie die Witterung von der abgebissenen Hand aufzunehmen, waren sie wild geworden, hatten gejault und geheult und wollten ausreißen.
Selbst jetzt noch knurrten und winselten sie abwechselnd, zerrten an ihren Leinen.
Es ist nur ein Wald, redete sich Jon ein, und es sind nur tote Männer. Schon früher hatte er tote Männer gesehen…
In der letzten Nacht hatte ihn wieder sein Traum von Winterfell heimgesucht. Er wanderte durch die leere Burg, suchte nach seinem Vater, stieg in die Gruft hinab. Nur war der Traum diesmal weiter gegangen als je vorher. In der Dunkelheit hatte er das Scharren von Stein auf Stein gehört. Er drehte sich um und sah, daß die Gräber sich öffneten, eines nach dem anderen. Als die toten Könige aus ihren kalten, schwarzen Gräbern taumelten, war Jon in pechschwarzer Finsternis erwacht, mit pochendem Herzen. Selbst Ghost, der aufs Bett sprang, um sich an sein Gesicht zu schmiegen, konnte sein tiefes Entsetzen nicht mildern. Er wagte nicht, wieder einzuschlafen. Statt dessen war er auf die Mauer gestiegen und herumgewandert, rastlos, bis das Licht des neuen Morgens im Osten dämmerte. Es war ein Traum. Ich bin jetzt ein Bruder der Nachtwache, kein ängstlicher Junge mehr.
Samwell Tarly kauerte unter den Bäumen, halb verborgen hinter den Pferden. Sein rundes, dickliches Gesicht hatte die Farbe geronnener Milch. Bisher war er noch nicht in den Wald gewankt, um sich zu übergeben, und hatte auch die toten Männer noch keines Blickes gewürdigt.»Ich kann nicht hinsehen«, flüsterte er unglücklich.
«Du mußt hinsehen«, erklärte Jon und sprach dabei mit so leiser Stimme, daß die anderen ihn nicht hören konnten.»Maester Aemon hat dich geschickt, damit du für ihn siehst, oder? Was nützen einem Augen, wenn sie geschlossen sind?«
«Ja, aber… ich bin ein solcher Feigling, Jon.«
Jon legte Sam eine Hand auf die Schulter.»Wir haben ein Dutzend Grenzwachen bei uns, dazu die Hunde und außerdem noch Ghost. Niemand wird dir etwas tun, Sam. Geh hin und
sieh sie dir an. Der erste Blick ist der schwerste.«
Sam nickte bebend, sammelte mit sichtlicher Mühe seinen ganzen Mut. Langsam drehte er den Kopf. Seine Augen wurden groß, doch Jon hielt ihn beim Arm, damit er sich nicht abwenden konnte.
«Ser Jaremy«, fragte der Alte Bär schroff,»Ben Stark hatte sechs Männer bei sich, als er von der Mauer losritt. Wo sind die anderen?«
Ser Jaremy schüttelte den Kopf.»Wenn ich das wüßte.«
Offensichtlich wollte sich Mormont mit dieser Antwort nicht zufriedengeben.»Zwei Eurer Brüder wurden fast in Sichtweite der Mauer niedergemetzelt, aber Ihr Grenzer habt nichts gehört und nichts gesehen. Was ist aus der Nachtwache geworden? Durchstreifen wir noch diese Wälder?«
«Ja, Mylord, aber…«
«Haben wir noch Wachtposten?«
«Haben wir, aber…«
«Dieser Mann trägt ein Jagdhorn bei sich. «Mormont deutete auf Othor.»Muß ich annehmen, daß er gestorben ist, ohne hineingeblasen zu haben? Oder seid ihr Grenzer allesamt so taub geworden, wie ihr blind seid?«