… und erblickte Lord Mormont, nackt und benommen vom Schlaf, wie er mit einer Öllampe in der Tür stand.
Zerbissen und fingerlos warf sich der Arm am Boden hin und her, schlängelte sich ihm entgegen.
Jon wollte schreien, doch seine Stimme versagte. Taumelnd kam er auf die Beine, trat den Arm fort und riß dem Alten Bären die Lampe aus den Händen. Die Flamme flackerte und wollte fast ersterben.»Brenne!«krächzte der Rabe.»Brenne, brenne, brenne!«Er fuhr herum und sah die Vorhänge, die er vom Fenster gerissen hatte. Mit beiden Händen warf er die Lampe in den Haufen aus Stoff. Metall knirschte, Glas zerschlug, Öl spritzte, und die Vorhänge gingen mit einem mächtigen Zischen in Flammen auf. Die Hitze in seinem Gesicht war süßer als alle Küsse, die Jon je bekommen hatte.»Ghost!«rief er.
Der Schattenwolf riß sich los und kam zu ihm, als die Kreatur sich eben erheben wollte, dunkle Schlangen quollen aus der großen Wunde in ihrem Bauch. Jon griff mit einer Hand ins Feuer, packte eine Faustvoll brennender Vorhänge, schlug damit peitschend nach dem toten Mann.
Laßt ihn brennen, betete er, als das Tuch die Leiche sengte,
Ihr Götter, bitte, laßt ihn brennen.
Bran
Die Karstarks kamen an einem kalten, windigen Morgen, brachten dreihundert Reiter und fast zweitausend Mann Fußvolk von ihrer Burg auf Karhold mit. Die stählernen Spitzen ihrer Spieße blitzten im fahlen Sonnenlicht, als die Armee sich näherte. Ein Mann ging ihnen voraus, schlug einen tiefen, langsamen Rhythmus auf einer Trommel, die größer als er selbst war, bumm, bumm, bumm.
Bran sah sie von einem Wachtturm oben auf der äußeren Mauer heranmarschieren, spähte durch Maester Luwins bronzenes Linsenrohr, während er auf Hodors Schultern saß. Lord Rikkard persönlich führte sie an, seine Söhne Harrion und Eddard und Torrhen ritten neben ihm unter nachtschwarzen Bannern, verziert mit der weißen Sonne ihres Hauses. Old Nan sagte, in ihren Adern flösse das Blut der Starks, seit Hunderten von Jahren schon, doch für Bran sahen sie nicht wie Starks aus. Sie waren große Männer, und wild, die Gesichter mit dichten Bärten überzogen, das Haar fiel ihnen offen auf die Schultern. Ihre Umhänge waren aus Leder gefertigt, aus Fellen von Bär und Wolf und Robbe.
Sie waren die letzten, wie er wußte. Die anderen Lords hatten sich schon mit ihren Armeen versammelt. Bran sehnte sich danach, mit ihnen auszureiten, die zum Bersten vollen Winterhäuser zu sehen, die drängende Menge auf dem Marktplatz jeden Morgen, die Straßen zerfurcht und aufgerissen von Rad und Hufen. Aber Robb hatte ihm verboten, die Burg zu verlassen.»Wir können keine Männer erübrigen, die dich bewachen«, hatte sein Bruder erklärt.
«Ich nehme Summer mit«, stritt Bran dagegen an.
«Red mit mir nicht wie mit einem kleinen Jungen«, erwiderte Robb.»Du solltest es besser wissen. Vor zwei Tagen erst hat einer von Lord Boltons Männern einen von Lord Cerwyns im >Smoking Log< erdolcht. Unsere Hohe Mutter würde mir das Fell über die Ohren ziehen, wenn ich dich in Gefahr geraten ließe. «Er sprach mit der Stimme von Robb, dem Lord, als er das sagte. Bran wußte, das hieß, er duldete keine Widerrede.
Es war wegen dieser Sache, die im Wolfswald passiert war, das wußte er ebenfalls. Die Erinnerung daran bescherte ihm noch immer böse Träume. Hilflos wie ein Säugling war er gewesen, nicht besser als Rickon in der Lage, sich zu wehren. Vielleicht noch weniger… Rickon hätte wenigstens nach ihnen getreten. Das beschämte ihn. Er war nur wenige Jahre jünger als Robb. Wenn sein Bruder fast ein erwachsener Mann war, dann war auch er es. Er hätte in der Lage sein sollen, sich zu verteidigen.
Vor einem Jahr, davor, hätte er dem Dorf trotzdem einen Besuch abgestattet, wäre dafür allein über die Mauern geklettert. In jenen Tagen konnte er Treppen hinunterlaufen, selbst auf sein Pony steigen und auch wieder herunter, und ein Holzschwert immerhin so gut schwingen, daß er Prinz Tommen in den Staub geworfen hatte. Jetzt konnte er nur noch zusehen, durch Maester Luwins Linsenrohr spähen. Der Maester hatte ihn sämtliche Banner gelehrt: die gepanzerte Faust der Glovers, silber auf rot; Lady Mormonts schwarzen Bären; den gräßlichen, gehäuteten Mann, der vor Roose Bolton vom Dreadfort ging; den Elchbullen für die Hornwoods; die Streitaxt für die Cerwyns; drei Wachbäume für die Tallharts und das schreckliche Siegel des Hauses Umber, den brüllenden Riesen in zerschmetterten Ketten.
Und bald schon lernte er auch die Gesichter kennen, als die Lords und ihre Söhne und Ritter zum Festmahl nach Winterfell kamen. Selbst in der Großen Halle war nicht Platz für alle auf einmal, so daß Robb die wichtigen Verbündeten abwechselnd einlud. Bran bekam stets den Ehrenplatz zur Rechten seines
Bruders. Einige der Lords warfen ihm seltsam harte Blicke zu, wenn er dort saß, und schienen sich zu fragen, welches Recht ein grüner Junge hatte, daß man ihn über sie stellte, dazu noch einen Krüppel.
«Wie viele sind es jetzt?«fragte Bran Maester Luwin, als Lord Karstark und seine Söhne durch die Tore in der äußeren Mauer ritten.
«Zwölftausend Mann, oder zumindest fast so viele.«»Wie viele Ritter?«
«Wenige genug«, sagte der Maester mit einem Anflug von Ungeduld.»Um ein Ritter zu sein, muß man seine Vigilien in einer Septe ablegen und mit den sieben Ölen gesalbt sein, um den Eid zu weihen. Im Norden huldigen nur wenige der großen Häuser den Sieben. Der Rest betet zu den alten Göttern und benennt keine Ritter… aber jene Lords und ihre Söhne und Vasallen sind nicht minder wild oder treu oder ehrenhaft. Der Wert eines Mannes ist nicht am Ser vor seinem Namen abzulesen. Wie ich es dir schon hundertmal erklärt habe.«
«Trotzdem«, sagte Bran,»wie viele Ritter?«Maester Luwin seufzte.»Dreihundert, vielleicht vier… unter dreitausend gepanzerten Lanzenreitern, die keine Ritter sind.«
«Lord Karstark ist der letzte«, sagte Bran nachdenklich.»Robb wird ihn heute abend empfangen.«»Das wird er zweifelsohne.«»Wie lange wird es dauern… bis sie ausziehen?«
«Er muß bald schon marschieren, oder gar nicht mehr«, sagte Maester Luwin.»Das Winterdorf platzt aus allen Nähten, und diese Armee wird noch das ganze Land kahlfressen, wenn sie noch viel länger hier lagert. Andere warten entlang der Kingsroad, um sich ihm anzuschließen, kleine Ritter und Pfahlbaumänner und die Lords Manderly und Flint. Die Kämpfe haben im Flußland schon begonnen, und dein Bruder hat noch manche Wegstunde zu bewältigen.«
«Ich weiß. «Bran fühlte sich so elend, wie er klang. Er gab dem Maester das bronzene Rohr zurück und bemerkte, wie licht Luwins Haar oben auf dem Kopf geworden war. Er konnte das Rosa der Haut durchscheinen sehen. Es war ein seltsames Gefühl, so auf ihn herabzusehen, nachdem er sein Leben lang zu ihm aufgeblickt hatte, doch wenn man auf Hodors Rücken saß, blickte man auf jedermann herab.»Ich möchte nicht mehr Ausschau halten. Hodor, bring mich in den Turm zurück.«
«Hodor«, gab Hodor zurück.
Maester Luwin schob das Rohr in seinen Ärmel.»Bran, dein Hoher Bruder wird jetzt keine Zeit für dich haben. Er muß Lord Karstark und seine Söhne willkommen heißen.«
«Ich werde Robb nicht behelligen. Ich möchte dem Götterhain einen Besuch abstatten. «Er legte seine Hand auf Hodors Schulter.»Hodor.«
Eine Reihe gemeißelter Griffe bildete eine Leiter im Granit der Innenmauer des Turmes. Hodor summte ohne Melodie, während er langsam hinunterstieg, wobei Bran im Korbsitz, den Maester Luwin für ihn entworfen hatte, mit dem Rücken hinten anstieß. Maester Luwin hatte die Idee bei den Körben abgeguckt, mit denen die Frauen Feuerholz auf dem Rücken trugen. Danach war es leicht gewesen, Beinlöcher hineinzuschneiden und ein paar Riemen anzubringen, um Brans Gewicht gleichmäßiger zu verteilen. Es war nicht so gut, wie Dancer zu reiten, doch gab es Orte, an die Dancer nicht gelangen konnte, und Bran beschämte es nicht so sehr, als würde Hodor ihn wie einen Säugling in seinen Armen tragen. Auch Hodor schien es zu gefallen, obwohl so etwas bei Hodor schwer zu sagen war. Schwierig war es nur, wenn sie durch eine Tür gingen. Manchmal vergaß Hodor, daß er Bran auf dem Rücken hatte, und dann konnte es schmerzhaft enden.