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Heimat? Das Wort stimmte sie traurig. Ser Jorah hatte seine Bäreninsel, aber wo lag ihre Heimat? Ein paar Geschichten, Namen, die man feierlich wie Gedichte rezitierte, die verblassende Erinnerung an eine rote Tür… sollte Vaes Dothrak für immer ihre Heimat sein? Wenn sie die alten Weiber der dosh khaleen sah, blickte sie dann in ihre eigene Zukunft?

Ser Jorah schien die Trauer in ihrem Gesicht gelesen zu haben.»Heute nacht ist eine große Karawane eingetroffen, Khaleesi. Vierhundert Pferde von Pentos aus über Norvos und Qohor, unter dem Kommando von Handelskapitän Byan Votyris. Vielleicht hat Illyrio einen Brief geschickt. Möchtet Ihr dem Westlichen Markt einen Besuch abstatten?«

Dany rührte sich.»Ja«, sagte sie.»Das würde ich gern. «Die Märkte erwachten zu Leben, wenn eine Karawane kam. Man konnte nie wissen, welche Schätze die Händler diesmal brachten, und es würde ihr guttun, mal wieder zu hören, wie Menschen das Valyrisch sprachen, das sie aus den Freien Städten kannte.»Irri, laß eine Sänfte vorbereiten.«

«Ich werde Eurem khas Bescheid geben«, sagte Ser Jorah, als er sich zurückzog.

Wäre Khal Drogo bei ihr gewesen, hätte Dany ihren Silbernen geritten. Unter den Dothraki saßen werdende Mütter fast bis zum Augenblick der Geburt auf dem Rücken der Pferde, und in den Augen ihres Mannes wollte sie nicht schwach erscheinen. Doch da der khal zur Jagd war, lehnte sie sich gern in weiche Kissen und ließ sich durch Vaes Dothrak tragen, die roten Seidenvorhänge zum Schutz gegen die Sonne zugezogen. Ser Jorah sattelte auf und ritt neben ihr, mit den vier jungen Männern ihres khas und ihren Dienerinnen.

Der Tag war warm und wolkenlos, der Himmel von tiefem Blau. Wenn der Wind wehte, konnte sie die reichen Düfte von Gras und Erde riechen. Während ihre Sänfte zwischen den geraubten Monumenten hindurchkam, bewegte sie sich von Sonnenschein zum Schatten und zurück. Dany schaukelte voran, betrachtete die Gesichter von toten Helden und vergessenen Königen. Sie fragte sich, ob die Götter geschleifter Städte noch Gebete beantworten konnten.

Wenn ich nicht vom Blut des Drachen wäre, dachte sie wehmütig, könnte das hier meine Heimat sein. Sie war khaleesi, hatte einen starken Mann, zudem ein schnelles Pferd, Frauen, die ihr dienten, Krieger, die sie schützten, einen Ehrenplatz unter den dosh khaleen, der im Alter auf sie wartete… und in ihrem Schoß wuchs ein Sohn, der eines Tages die Welt reiten würde. Das sollte jeder Frau genügen… doch nicht dem Drachen. Nachdem Viserys fort war, blieb nur Dany als Letzte, als Allerletzte. Sie war die Saat von Königen und Eroberern, und so auch das Kind in ihr. Das durfte sie niemals vergessen.

Der Westliche Markt war ein großer, viereckiger Platz aus festgetretener Erde, umgeben von Labyrinthen aus gebranntem Lehm, Ställen, weiß getünchten Trinkhallen. Hügel wuchsen aus dem Boden wie die Rücken großer, unterirdischer Tiere, gähnten mit schwarzen Mäulern, die in kühle und höhlenartige Lagerräume führten. Das Herz des Platzes war ein Irrgarten aus Buden und verschlungenen Gängen im Schatten gräserner Baldachine.

Hundert Händler und Kaufleute entluden ihre Waren und richteten sich an den Ständen ein, wenn sie eintrafen, und dennoch wirkte der große Markt still und einsam, verglichen mit den brodelnden Basaren, die Dany aus Pentos und den anderen Freien Städten kannte. Die Karawanen kamen von Ost und West nach Vaes Dothrak, nicht so sehr, um an die Dothraki zu verkaufen, sondern eher, um miteinander Handel zu treiben, so hatte Ser Jorah ihr erklärt. Die Reiter ließen sie unbehelligt, solange sie den Frieden der heiligen Stadt wahrten, weder die Mutter aller Berge noch die Wiege der Welt entweihten und den alten Weibern der dosh khaleen die traditionellen Gaben von Salz, Silber und Saatgut brachten. Die Dothraki verstanden diese Geschäfte mit dem Kaufen und Verkaufen nicht wirklich.

Dany gefiel auch das Fremde am Östlichen Markt, mit all den seltsamen Dingen, die es dort zu sehen, zu hören und zu riechen gab. Oft verbrachte sie den Morgen dort, aß Baumeier, Heuschreckenauflauf und grüne Nudeln, lauschte den hohen, klagenden Stimmen der Zaubersänger, bestaunte Sphinxe in silbernen Käfigen und mächtige, graue Elefanten und die gestreiften, schwarzweißen Pferde der Jogos Nhai. Auch erfreute sie sich an den Menschen: dunkle, feierliche Asehai'i und große, blasse Qartheen, die Männer von Yi Ti mit ihren leuchtenden Augen und Affenschwanzhüten. Kriegerinnen aus Bayasabhad, Shamyriana und Kayakayanaya mit eisernen Ringen durch die Brustwarzen und Rubinen in den Wangen, selbst die mürrischen und angsteinflößenden Schattenmänner, die ihre Arme und Beine und Körper mit Tätowierungen schmückten und die Gesichter hinter Masken versteckten. Der Östliche Markt war für Dany ein Ort des Staunens und der Magie.

Doch der Westliche Markt duftete nach Heimat. Als Irri und Jhiqui ihr aus der Sänfte halfen, schnüffelte sie und erkannte die scharfen Düfte von Knoblauch und Pfeffer, was Dany an lang schon vergangene Tage in den Gassen von Tyrosh und Myr erinnerte und ein zärtliches Lächeln wachrief. Dahinter roch sie die schweren, süßen Parfüms von Lys. Sie sah Sklaven, die Ballen fein myrischer Spitze und weicher Wolle in einem Dutzend greller Farben schleppten. Karawanenwächter wanderten mit kupfernen Helmen und knielangen Gewändern aus gestepptem, gelbem Leinen durch die Gänge, leere Scheiden baumelten von ihren gewebten Ledergurten. An einem Stand stellte ein Waffenschmied stählerne Brustpanzer aus, mit Gold und Silber in verzierten Mustern beschlagen, dazu Helme, die zur Form kurioser Tiere gehämmert waren. Daneben verkaufte eine hübsche, junge Frau Goldarbeiten aus Lannisport, Ringe und Broschen und Halsringe und exquisit geschmiedete Medaillons für Gürtel. Ein mächtiger Eunuch bewachte ihren Stand; stumm, haarlos und in schweißfleckigen Samt gekleidet sah er jeden mit finsterer Miene an, der sich ihm näherte. Gegenüber feilschte ein fetter Tuchhändler aus Yi Ti mit einem Pentoshi über den Preis eines grünen Färbemittels, wobei der Affenschwanz an seiner Mütze hin und her flog, wenn er den Kopf schüttelte.

«Als ich ein kleines Mädchen war, habe ich furchtbar gern auf dem Basar gespielt«, erzählte Dany Ser Jorah, derweil sie den schattigen Gang zwischen den Buden entlanggingen.»Es war dort so lebendig, das Rufen und Lachen all der Leute, so viele wunderbare Dinge, die es dort zu sehen gab… obwohl wir nur selten genug Geld hatten, etwas zu erstehen… nun, außer hin und wieder eine Wurst, oder Honigfinger… gibt es in den Sieben Königslanden Honigfinger, solche wie man sie drüben in Tyrosh backt?«

«Es sind Kuchen, oder? Das weiß ich nicht, Prinzessin. «Der Ritter verneigte sich.»Wenn Ihr mich eine Weile entschuldigen würdet, mache ich mich auf die Suche nach dem Handelskommandanten, um zu fragen, ob er Briefe für uns hat.«

«Also gut. Ich werde Euch helfen, ihn zu suchen.«

«Es besteht kein Grund, daß Ihr Euch die Mühe machen solltet. «Ungeduldig wandte sich Ser Jorah ab.»Freut Euch am Markt. Ich schließe mich Euch wieder an, wenn mein Auftrag ausgeführt ist.«

Seltsam, dachte Dany, während sie ihm nachblickte, als er durch die Menge schritt. Sie verstand nicht, wieso sie ihn nicht begleiten sollte. Vielleicht wollte Ser Jorah nach dem Besuch beim Handelskommandanten eine Frau treffen. Stets reisten Huren mit den Karawanen, wie sie wußte, und manche Männer waren merkwürdig scheu, was ihre Paarungen betraf. Sie zuckte mit den Achseln.»Kommt«, sagte sie zu den anderen.

Ihre Dienerinnen folgten Dany, indes sie ihren Spaziergang über den Markt wiederaufnahm.»Oh, sieh nur«, rief sie Doreah zu,»das sind die Würste, die ich meinte. «Sie deutete auf einen Stand, an dem eine verhutzelte, kleine Frau auf einem heißen Stein Fleisch und Zwiebeln grillte.»Man macht sie mit reichlich Knoblauch und scharfem Paprika. «Von ihrer Entdeckung hocherfreut bestand Dany darauf, daß sich die anderen ihr zu einer Wurst anschlossen. Ihre Dienerinnen schlangen die ihren kichernd und grinsend herunter, während die Männer ihres khas mißtrauisch am Fleisch rochen.»Sie schmecken anders, als ich sie in Erinnerung habe«, sagte Dany nach ihren ersten Bissen.