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«Der Königsmörder ist uns drei zu eins überlegen«, gab Galbart Glover zu bedenken.

«Stimmt wohl«, sagte Ser Brynden,»doch gibt es etwas, an dem es Ser Jaime mangelt.«

«Ja?«fragte Robb.

«Geduld.«

Ihre Armee war größer als bei ihrem Abmarsch von den Twins. Lord Jason Mallister hatte seine Mannen von Seagard hergeführt und sich ihnen am Oberlauf des Blauen Armes auf ihrem Weg nach Süden angeschlossen, und noch andere waren hervorgetreten, kleine Ritter und kleine Lords und herrenlose Soldaten, die gen Norden geflohen waren, als die Armee ihres Bruders Edmure unter den Mauern von Riverrun aufgerieben worden war. Sie hatten ihre Pferde so hart angetrieben, wie sie es wagten, um hier zu sein, bevor Jaime Lannister Nachricht von ihrem Anmarsch erhielte, und nun war die Stunde gekommen.

Catelyn sah, wie ihr Sohn aufstieg. Olyvar Frey hielt ihm das Pferd, Lord Walders Sohn, zwei Jahre älter als Robb, und doch zehn Jahre jünger, was die Angst betraf. Er band Robbs Schild fest und reichte ihm seinen Helm. Als er ihn über dieses Gesicht schob, das sie so sehr liebte, saß ein großer, junger Ritter auf seinem grauen Hengst, wo eben noch ihr Sohn gewesen war. Es wurde dunkel zwischen den Bäumen, wo der Mond nicht leuchtete. Robb drehte den Kopf, um sie anzusehen, aber sie konnte in seinem Visier nur Schwarzes erkennen.»Ich muß die Reihen abreiten, Mutter«, erklärte er ihr.»Vater sagt, vor einer Schlacht sollte man sich bei den Männern noch mal blicken lassen.«

«Dann geh«, sagte sie.»Laß dich bei ihnen blicken.«

«Es wird ihnen Mut machen«, sagte Robb. Und wer wird mir Mut machen? fragte sie sich, doch schwieg sie still und zwang sich für ihn zum Lächeln. Robb wendete den großen, grauen Hengst und lenkte ihn langsam fort von ihr, wobei Grey Wind sich in seinem Schatten hielt. Hinter ihm formierte sich seine

Garde für die Schlacht. Als er Catelyn gedrängt hatte, ihre Beschützer zu akzeptieren, hatte sie darauf bestanden, daß auch er eine Garde brauchte, und die hohen Lords hatten ihr recht gegeben. Viele von deren Söhnen hatten lautstark die Ehre eingefordert, mit dem Jungen Wolf reiten zu dürfen, wie sie ihn inzwischen nannten. Torrhen Karstark und sein Bruder Eddard waren unter den dreißig, und Patrek Mallister, Smalljon Umber, Daryn Hornwood, Theon Greyjoy, nicht weniger als fünf aus Walder Freys vielköpfiger Brut, neben älteren Männern wie Ser Wendel Manderly und Robin Flint. Unter seinen Begleitern war sogar eine Frau: Dacey Mormont, Lady Maeges älteste Tochter und Erbin von Bear Island, ein hoch aufgeschossenes Weib, dem man in einem Alter schon den Morgenstern gegeben hatte, als die meisten Mädchen Puppen geschenkt bekamen. Manche der anderen Lords murrten darüber, doch wollte Catelyn von ihren Klagen nichts hören.»Es geht hier nicht um die Ehre Eurer Häuser«, hatte sie ihnen erklärt.»Es geht darum, dafür zu sorgen, daß mein Sohn am Leben bleibt.«

Und was das angeht, überlegte sie, sind dreißig wohl genug? Wären sechstausend denn genug?

Leise rief ein Vogel in der Ferne, ein hoher, scharfer Triller, der sich wie eine eisige Hand in Catelyns Nacken anfühlte. Ein anderer Vogel antwortete, ein dritter, ein vierter. Sie kannte ihren Ruf sehr gut aus ihren Jahren auf Winterfell. Schneewürger. Manchmal sah man sie im tiefsten Winter, wenn im Götterhain alles weiß und still war. Sie waren Vögel des Nordens. Sie kommen, dachte Catelyn.

«Sie kommen, Mylady «, flüsterte Hai Mollen. Der Mann sprach Offensichtliches stets aus.»Mögen die Götter bei uns sein.«

Sie nickte, während es im Wald um sie ganz leise wurde. In der Stille konnte sie sie hören, in weiter Ferne, doch kamen sie näher. Das Getrappel vieler Pferde, das Rasseln von

Schwertern und Speeren und Rüstungen, das Murmeln menschlicher Stimmen, mit einem Lachen hier und einem Fluchen dort.

Ewigkeiten schienen zu verstreichen. Die Geräusche wurden lauter. Sie hörte mehr Gelächter, ein lautes Kommando, Platschen, als sie den kleinen Bach hin und her überquerten. Ein Pferd schnaubte. Ein Mann fluchte. Und dann endlich sah sie ihn… nur für einen Augenblick, eingerahmt zwischen den Ästen der Bäume, als sie ins Tal hinabsah, doch erkannte sie ihn gleich. Selbst auf diese Entfernung war Ser Jaime Lannister unverkennbar. Das Mondlicht ließ seine Rüstung und das goldene Haar silbern leuchten und färbte seinen dunkelroten Umhang schwarz ein. Er trug keinen Helm. Er war da, und schon war er wieder fort, die silbrige Rüstung hinter den Bäumen verborgen. Andere folgten ihm, lange Kolonnen von Rittern und Söldnern und freien Rittern, drei Viertel aller Reiter der Lannisters.

«Er ist nicht jemand, der im Zelt sitzt, während seine Zimmerleute Belagerungstürme bauen«, hatte Ser Brynden vorhergesagt.»Dreimal schon ist er mit seinen Rittern ausgeritten, um Banditen zu jagen oder eine widerspenstige Festung zu stürmen.«

Nickend hatte Robb die Karte studiert, die sein Onkel ihm gezeichnet hatte. Ned hatte ihren Sohn gelehrt, Karten zu lesen.»Überfallt ihn hier«, sagte er und zeigte mit dem Finger auf die Stelle.»Ein paar hundert Mann, nicht mehr. Unter dem Banner der Tullys. Wenn er Euch verfolgt, warten wir hier«, seine Finger glitten einen Daumenbreit nach links,»hier.«

Hier war ein Schweigen in der Nacht, Mondlicht und Finsternis, ein dicker Teppich aus Blättern unter den Füßen, dicht bewaldete Hügel, die sanft zum Flußbett abfielen, und das Unterholz dünnte aus, je weiter man nach unten kam.

Hier war ihr Sohn auf seinem Hengst, und er sah sich ein

letztes Mal zu ihr um und hob das Schwert zum Gruße.

Hier war das Gellen von Maege Mormonts Kriegshorn, ein langer, tiefer Ton, der von Osten her durchs Tal rollte, um ihnen zu sagen, daß der letzte von Jaimes Reitern in der Falle saß.

Und Grey Wind warf den Kopf in den Nacken und heulte.

Dieses Geräusch ging Catelyn durch und durch, und sie merkte, daß sie zitterte. Es war ein schreckliches Geräusch, ein furchterregendes Geräusch, doch lag auch Musik darin. Eine Sekunde lang empfand sie so etwas wie Mitleid für die Lannisters unter sich. So also klingt der Tod, dachte sie.

HAArooooooooooooooooooooooooo kam die Antwort vom Hügel gegenüber, als der Greatjon ins Horn stieß. Im Osten und Westen bliesen die Trompeten der Mallisters und Freys zur Rache. Im Norden, wo das Tal eng wurde und sich wie ein eingeknickter Ellenbogen wand, stimmten Lord Karstarks Kriegshörner mit tiefen, traurigen Tönen in den düsteren Chor ein. Männer schrien und Pferde scheuten im Wasser unter ihr.

Der flüsternde Wald stieß seinen Atem mit einem Mal aus, als die Bogenschützen, die Robb in den Ästen der Bäume versteckt hatte, ihre Pfeile fliegen ließen und die Nacht vom Geschrei der Männer und Pferde zu Leben erwachte. Überall um sie herum hoben Reiter ihre Lanzen, und Erde und Blätter, unter denen die grausamen, blitzenden Spitzen verborgen gelegen hatten, gaben den Glanz von geschärftem Stahl preis.»Winterfell!«hörte sie Robb rufen, als die Pfeile erneut seufzten. Im Trab entfernte er sich von ihr, führte seine Männer den Hügel hinab.

Catelyn saß auf ihrem Pferd, ungerührt, mit Hal Mollen und ihrer Garde um sich, und sie wartete, wie sie schon früher gewartet hatte, auf Branden, Ned und ihren Vater. Sie stand hoch auf dem Hügel, und die Bäume verbargen das meiste von dem, was unter ihr geschah. Ein Herzschlag, zwei, vier, und plötzlich war es, als sei sie mit ihren Beschützern allein im Wald. Der Rest war im Grün dahingeschmolzen.

Doch als sie übers Tal zur anderen Seite blickte, sah sie, daß Greatjons Reiter aus dem Dunkel unter den Bäumen kamen. Sie bildeten eine lange Reihe, eine endlose Reihe, und als sie aus den Wald hervorbrachen, gab es einen Augenblick, den denkbar kürzesten Bruchteil eines Herzschlags, in dem Catelyn nur das Mondlicht an den Spitzen ihrer Lanzen sah, als kämen tausend Leuchtkäfer den Hang herab, zu silbernen Flammen geflochten. Dann blinzelte sie, und es waren nur Männer, die hinunter eilten, um zu töten oder zu sterben.