Später konnte sie nicht behaupten, die Schlacht gesehen zu haben. Doch konnte sie den Kampf hören, und im ganzen Tal hallte das Echo nach. Das Knacken einer brechenden Lanze, das Klirren von Schwertern, die Rufe» Lannister «und» Winterfell «und» Tully! Riverrun und Tully!«. Sie merkte, daß es nichts zu sehen gab, schloß die Augen und lauschte nur. Um sie herum tobte die Schlacht. Sie hörte Hufschlag, eiserne Stiefel klatschten, durch flaches Wasser, Schwerter krachten auf eichene Schilde und Stahl traf klirrend Stahl, Pfeile zischten, Trommeln donnerten, tausend verschreckte Pferde wieherten. Männer brüllten und flehten um Gnade und bekamen sie gewährt (oder nicht) und lebten (oder starben). Die Hänge schienen mit den Geräuschen Schabernack zu treiben. Einmal hörte sie Robbs Stimme so klar, als stünde er gleich neben ihr und riefe:»Zu mir! Zu mir!«Und sie hörte seinen Schattenwolf, bellend und knurrend, hörte seine langen Zähne klappen, wie er zerfleischte, hörte Schreie vor Angst und Schmerz von Mensch und Pferd. War da nur ein Wolf? Man konnte schwerlich sicher sein.
Stück für Stück ließ der Lärm nach und erstarb, bis schließlich nur der Wolf noch da war. Als rot der Morgen im Osten erwachte, fing Grey Wind wieder an zu heulen.
Robb kam auf einem anderen Pferd zu ihr zurück, ritt einen gescheckten Wallach anstelle des grauen Hengstes, der ihn ins Tal getragen hatte. Der Wolfskopf an seinem Schild war in zwei Teile gespalten, und rohes Holz war zu sehen, wo tiefe Furchen hineingehackt waren, doch Robb selbst schien unverletzt. Indem er näher kam, sah Catelyn, daß sein Kettenhandschuh und der Ärmel seines Wappenrocks schwarz von Blut waren.»Du bist verletzt«, sagte sie.
«Das ist… Torrhens Blut vielleicht, oder…«Er schüttelte den Kopf.»Ich weiß es nicht.«
Eine Meute von Männern folgte ihm den Hang hinauf, dreckig und verbeult und grinsend, mit Theon und dem Greatjon an ihrer Spitze. Zwischen sich schleppten sie Ser Jaime Lannister. Sie stießen ihn vor Catelyns Pferd zu Boden.»Der Königsmörder«, verkündete Hal unnötigerweise.
Lannister hob den Kopf.»Lady Stark«, sagte er auf Knien liegend. Blut lief aus einem Schnitt am Kopf über seine Wange, doch das fahle Licht der Morgendämmerung hatte den goldenen Glanz in seinem Haar wieder erweckt.»Ich würde Euch mein Schwert anbieten, nur scheine ich es verlegt zu haben.«
«Nicht Euer Schwert will ich, Ser«, erklärte sie ihm.»Gebt mir meinen Vater und meinen Bruder Edmure. Gebt mir meine Töchter. Gebt mir meinen Hohen Gatten.«
«Auch sie habe ich nicht bei mir, wie ich fürchte.«
«Schade«, erwiderte Catelyn kalt.:
«Töte ihn, Robb«, drängte Theon Greyjoy.»Schlag ihm den Kopf ab.«
«Nein«, antwortete ihr Sohn, wobei er sich den blutigen Handschuh vom Arm schälte.»Lebend nützt er uns mehr als tot. Und mein Hoher Vater hat den Mord an Gefangenen nach einer Schlacht nie gutgeheißen.«
«Ein weiser Mann«, sagte Jaime Lannister,»und ehrenhaft.«
«Führt ihn weg und legt ihn in Ketten«, sagte Catelyn.
«Tut, was meine Hohe Mutter sagt«, befahl Robb,»und sorgt dafür, daß er von starken Wachen umgeben ist. Lord Karstark wird seinen Kopf auf einem Spieß sehen wollen.«
«Das wird er allerdings«, gab der Greatjon ihm gestikulierend recht. Bandagiert und in Ketten wurde Lannister fortgebracht.
«Warum sollte sich Lord Karstark seinen Tod wünschen?«fragte Catelyn.
Robbs Blick wich in die Wälder, mit dem gleichen brütenden Blick, den Ned oft hatte.»Er… er hat sie erschlagen…«
«Lord Karstarks Söhne«, erklärte Galbart Glover.
«Beide«, sagte Robb.»Torrhen und Eddard. Und Daryn Hornwood dazu.«
«Niemand kann dem Lannister seine Tapferkeit vorwerfen«, sagte Glover.»Als er sah, daß er verloren war, hat er seine Gefolgsleute um sich versammelt und sich einen Weg das Tal hinaufgebahnt, in der Hoffnung, Lord Robb zu finden und niederzumachen. Und fast hätte er es auch geschafft.«
«Sein Schwert hat er in Eddard Karstarks Hals verlegt, nachdem er Torrhen die Hand abgehackt und Daryn Hornwood den Schädel gespalten hatte«, sagte Robb.»Die ganze Zeit über hat er nach mir gerufen. Wenn sie nicht versucht hätten, ihn aufzuhalten… «
«… wäre ich es, die anstelle von Lord Karstark trauert«, sagte Catelyn.»Deine Männer haben getan, was sie geschworen hatten, Robb. Sie starben, als sie ihren Lehnsherrn schützten. Trauere um sie. Ehre sie für ihren Heldenmut. Doch nicht jetzt. Jetzt hast du keine Zeit zum Trauern. Du magst einer Schlange den Kopf abgeschlagen haben, doch drei Viertel ihres Leibes schlingen sich nach wie vor um die Burg meines Vaters. Wir haben eine Schlacht gewonnen, nicht den Krieg.«
«Aber was für eine Schlacht!«ereiferte sich Theon Greyjoy eifrig.»Mylady, seit dem Feld des Feuers hat das Reich keine solche Schlacht gesehen. Ich schwöre, die Lannisters haben zehn Mann für jeden der unsrigen verloren. Wir haben fast hundert Ritter gefangengenommen und ein Dutzend Lords. Lord Westerling, Lord Banefort, Ser Garth Greenfield, Lord Estren, Ser Tytos Brax, Mallor, der Dornische.. und neben Jaime noch drei Lannisters, Lord Tywins Neffen, zwei Söhne seiner Schwester und einen von seinem toten Bruder…«
«Und Lord Tywin?«unterbrach ihn Catelyn.»Habt ihr zufällig auch Lord Tywin gefangengenommen, Theon?«
«Nein«, antwortete Greyjoy und hielt inne.
«Bis ihr das tut, ist dieser Krieg noch lange nicht gewonnen.«
Robb hob den Kopf und strich sich das Haar aus den Augen.»Meine Mutter hat recht. Es bleibt noch immer Riverrun.«
Daenerys
Die Fliegen umkreisten Khal Drogo langsam mit leisem Summen, das kaum zu hören war, und es erfüllte Dany mit Trauer.
Die Sonne stand hoch und brannte gnadenlos herab. Die Luft vor den steinigen Ausläufern flacher Hügel flimmerte in der Hitze. Ein dünner Finger von Schweiß tropfte langsam zwischen Danys geschwollenen Brüsten herab. Nur der stetige Hufschlag war zu hören, das rhythmische Klingeln der Glöckchen in Drogos Haar und die fernen Stimmen hinter ihnen. Dany betrachtete die Fliegen.
Sie waren so groß wie Bienen, dick, rötlich, schimmernd. Die Dothraki nannten sie Blutfliegen. Sie lebten in Sümpfen und stehenden Gewässern, saugten Menschen wie Pferden Blut ab und legten ihre Eier in die Toten und Sterbenden. Drogo haßte sie. Immer, wenn sie in seine Nähe kamen, schoß seine Hand wie eine zuckende Schlange hervor und schloß sich um sie. Nie hatte sie gesehen, daß er eine verfehlt hätte. Dann hielt er die Fliege in seiner Riesenfaust und lauschte ihrem verzweifelten Brummen. Darauf drückte er zu, und wenn er die Faust wieder öffnete, war die Fliege nur noch ein roter Fleck in seiner Hand.
Jetzt lief eine über den Leib seines Hengstes, und das Pferd schlug böse mit dem Schwanz nach ihr, um sie zu verscheuchen. Die anderen umsurrten Drogo, enger und immer enger. Der khal reagierte nicht. Seine Augen waren auf ferne, braune Hügel gerichtet, die Zügel lagen locker in seiner Hand. Unter seiner bemalten Weste bedeckte ein Pflaster von Feigenblättern und getrocknetem, blauem Lehm die Wunde an seiner Brust. Die Kräuterfrau hatte es ihm aufgelegt. Mirri Maz Duurs Breiumschlag hatte gejuckt und gebrannt, und vor sechs
Tagen hatte er ihn abgerissen und sie als maegi verflucht. Das Lehmpflaster war angenehmer, und die Kräuterfrau bereitete ihm auch noch Mohnblumenwein. Seit drei Tagen trank er viel davon. Und wenn es nicht Mohnblumenwein war, dann gegorene Stutenmilch oder Pfefferbier.
Drogo rührte sein Essen kaum an und stöhnte in der Nacht und warf sich hin und her. Dany sah seine Erschöpfung. Rhaego in ihrem Bauch war rastlos, trat um sich wie ein Hengst, doch nicht einmal das weckte Drogos Interesse wie vorher. Jeden Morgen fand sie neue Furchen des Schmerzes auf seinem Gesicht, wenn er aus unruhigem Schlaf erwachte. Und nun dieses Schweigen. Er machte ihr angst. Seit sie im Morgengrauen ausgelitten waren, hatte er kein Wort gesprochen. Sagte sie etwas, knurrte er als Antwort nur, und seit dem Mittag nicht einmal mehr das.