«Nein«, flüsterte Dany, als Tränen über ihre Wangen liefen.
«Nein, bitte, hört mich an, ihr Götter, nein.«
Khal Drogo schlug um sich, rang mit einem unsichtbaren Feind. Schwarzes Blut lief langsam und dickflüssig aus seiner offenen Wunde.
«Euer khal ist so gut wie tot, Prinzessin.«»Nein, er kann nicht sterben, es darf nicht sein, es war doch nur ein Schnitt. «Dany nahm seine große, schwielige Hand in ihre beiden kleinen Hände, hielt sie ganz fest.»Ich werde ihn nicht sterben lassen… «
Ser Jorah stieß ein bitteres Lachen aus.»Khaleesi oder Königin, dieser Befehl liegt jenseits Eurer Macht, mein Kind. Weint morgen um ihn oder in einem Jahr. Wir haben keine Zeit zum Trauern. Wir müssen fort, und zwar schnell, bevor er stirbt. «Dany war verwirrt.»Fort? Wohin sollten wir gehen?«»Asshai, würde ich sagen. Es liegt weit im Süden, am Ende der bekannten Welt, doch sagt man, es sei ein großer Hafen. Wir suchen uns ein Schiff, das uns zurück nach Pentos bringt. Die Reise wird hart werden, täuscht Euch nicht. Vertraut Ihr Eurem khas? Würden die Männer mit uns kommen?«
«Khal Drogo hat ihnen befohlen, mich zu schützen«, erwiderte Dany unsicher,»nur wenn er stirbt…«Sie umfaßte die Rundung ihres Bauches.»Ich verstehe nicht. Warum sollten wir fliehen? Ich bin Khaleesi. Ich trage Drogos Erben in mir. Er wird nach Drogo khal sein…«
Ser Jorah legte die Stirn in Falten.»Prinzessin, hört mich an. Die Dothraki werden keinem Säugling folgen. Drogos Stärke haben sie sich unterworfen, und nur ihr. Wenn er fort ist, werden Jhaqu und Pono und die anderen kos um seinen Platz kämpfen, und dieses khalasar wird sich selbst zerstören. Der Sieger wird keine Rivalen dulden. Man wird Euch den Jungen von der Brust reißen im selben Augenblick, in dem er geboren wird. Sie werden ihn den Hunden geben…«
Dany schlang die Arme um sich.»Aber wieso?«weinte sie
klagend.»Warum sollten sie ein kleines Kind töten?«
«Er ist Drogos Sohn, und die alten Weiber sagen, er sei der Berg, der die Welt besteigt. So wurde es prophezeit. Lieber töten sie das Kind, als daß sie seinen Zorn riskieren, wenn er zum Manne gereift ist.«
Das Kind in ihrem Bauch trat um sich, als hätte es ihn verstanden. Dany erinnerte sich an die Geschichte, die Viserys ihr erzählt hatte, darüber, was die Hunde des Usurpators mit Rhaegars Kindern gemacht hatten. Sein Sohn war auch erst ein kleines Kind gewesen, doch hatte man ihn der Mutter entrissen und mit dem Kopf an die Wand geschlagen. So waren die Menschen.»Sie dürfen meinem Sohn nichts antun!«weinte sie.»Ich werde meinem khas befehlen, ihn zu beschützen, und Drogos Blutreiter werden… «
Ser Jorah hielt sie bei den Schultern.»Ein Blutreiter stirbt mit seinem khal. Ihr wißt es, Kind. Man wird Euch nach Vaes Doethrak bringen, zu den alten Weibern, das ist die letzte Pflicht, die sie ihm im Leben schulden… wenn sie erfüllt ist, folgen sie Drogo in die Länder der Nacht.«
Dany wollte nicht zurück nach Vaes Doethrak und den Rest ihres Lebens unter diesen gräßlichen, alten Frauen leben, dennoch sprach der Ritter die Wahrheit. Drogo war mehr als ihre Sonne, ihre Sterne, er war der Schild, der sie schützte.»Ich werde nicht von seiner Seite weichen«, sagte sie trotzig, traurig. Wieder nahm sie seine Hand.»Ich will nicht.«
Unruhe am Zelteingang ließ Dany herumfahren. Mirri Maz Duur trat ein, verneigte sich tief. Vom tagelangen Marsch hinter dem khalasar hinkte sie und wirkte ausgezehrt, hatte Blasen an den blutenden Füßen und Ringe unter den Augen. Ihr folgten Qotho und Haggo, die die Truhe des Götterweibes zwischen sich trugen. Als die Blutreiter Drogos die Wunde sahen, glitt die Truhe aus Haggos Händen und fiel krachend zu Boden, und Qotho stieß einen Fluch aus, der so wütend war,
daß er die Luft versengte.
Mirri Maz Duur betrachtete Drogo mit stiller, toter Miene.»Die Wunde eitert.«
«Das ist dein Werk, maegi«, sagte Qotho. Haggo schlug Mirri die Faust hart an die Wange, so daß sie zu Boden fiel. Dann trat er nach ihr, als sie dort lag.»Aufhören!«schrie Dany.
Qotho riß Haggo zurück und sagte:»Tritte sind zu gnädig für eine maegi. Bring sie hinaus. Wir binden sie am Boden fest, so daß jeder, der vorbeikommt, sie besteigen kann. Und wenn sie mit ihr fertig sind, können die Hunde sie bespringen. Die Fliegen vom Fluß werden Eier in ihren Schoß legen und Eiter von den Resten ihrer Brüste trinken…«Er grub eisenharte Finger in das weiche Fleisch unter dem Arm des Götterweibes und riß sie auf die Beine.
«Nein«, sagte Dany.»Ich will nicht, daß ihr etwas geschieht. «Qothos Lippen spannten sich zu höhnischem Grinsen um seine schiefen, braunen Zähne.»Nein? Ihr sagt mir nein? Ihr solltet lieber darum beten, daß wir Euch nicht neben Eurer maegi anbinden. Ihr tragt die gleiche Schuld wie die andere.«
Ser Jorah trat zwischen sie, zog sein Langschwert ein Stück aus der Scheide.»Hüte deine Zunge, Blutreiter. Noch ist die Prinzessin deine Khaleesi.«
«Nur solange das Blut von meinem Blut noch lebt«, erklärte Qotho dem Ritter.»Wenn er stirbt, ist sie nichts.«
In Dany zog sich alles zusammen.»Bevor ich Khaleesi wurde, war ich das Blut des Drachen. Ser Jorah, ruft mein khas.«
«Nein«, sagte Qotho.»Wir gehen. Vorerst… Khaleesi. «Haggo folgte ihm mit finsterer Miene aus dem Zelt.
«Der ist Euch nicht wohl gesonnen, Prinzessin«, sagte Mormont.»Die Dothraki sagen, ein Mann und seine Blutreiter teilten ihr Leben, und Qotho sieht das seine enden. Ein toter Mann ist jenseits aller Furcht.«
«Niemand ist gestorben«, sagte Dany.»Ser Jorah, es mag sein, daß ich Eure Klinge brauche. Geht lieber und legt Eure Rüstung an. «Sie fürchtete sich mehr, als sie zuzugeben wagte, nicht einmal vor sich selbst.
Der Ritter verneigte sich.»Wie Ihr meint. «Er ging hinaus. Dany wandte sich Mirri Maz Duur zu. Die Augen der Frau waren argwöhnisch.»Also habt Ihr mich erneut gerettet.«»Und jetzt mußt du ihn retten«, sagte Dany.»Bitte…«»Man bittet einen Sklaven nicht«, gab Mirri scharf zurück,»man befiehlt ihm. «Sie trat zu Drogo, der dort auf der Matte brannte, und sah sich lange seine Wunde an.»Bitten oder befehlen, es macht keinen Unterschied. Er ist jenseits aller Fähigkeiten eines Heilers. «Die Augen des khal waren geschlossen. Sie öffnete eines davon mit ihren Fingern.»Er hat den Schmerz mit Mohnblumensaft erstickt.«
«Ja«, gab Dany zu.
«Ich habe ihm einen Breiumschlag aus Feuerschoten und Stich-mich-nicht gemacht und mit Lammfell verbunden.«
«Es brannte, sagte er. Er hat ihn abgerissen. Die Kräuterfrauen haben ihm einen neuen gemacht, feucht und lindernd.«
«Es hat gebrannt, ja. Es liegt großer, heilender Zauber im Feuer, das wissen selbst Eure haarlosen Männer.«
«Mach ihm einen neuen Umschlag«, bettelte Dany.»Diesmal sorge ich dafür, daß er ihn trägt.«
«Die Zeit dafür ist um, Mylady«, sagte Mirri.»Jetzt kann ich ihm nur noch die dunkle Straße leichter machen, die vor ihm liegt, damit er ohne Schmerzen in die Länder der Nacht reiten kann. Am Morgen wird er fort sein.«
Ihre Worte stachen wie ein Messer in Danys Brust. Was
hatte sie nur getan, daß die Götter so grausam zu ihr waren? Endlich hatte sie einen sicheren Ort gefunden, hatte endlich Liebe und Hoffnung gekostet. Endlich kam sie nach Haus. Und jetzt sollte sie alles verlieren…»Nein«, flehte sie.»Rette ihn, und du bist frei, ich schwöre es. Du mußt eine Möglichkeit kennen… irgendeinen Zauber, irgend etwas…«
Mirri Maz Duur kauerte auf ihren Fersen und betrachtete Daenerys mit Augen so schwarz wie die Nacht.»Es gibt einen Zauber. «Ihre Stimme war leise, kaum mehr als ein Flüstern.»Aber er ist schwer, Mylady, und dunkel. Mancher würde sagen, der Tod sei sauberer. Ich habe ihn in Asshai gelernt und für die Lektion teuer bezahlt. Mein Lehrer war ein Blutmagier aus den Schattenländern.«