«Gut. Hodor ist ein Mensch, kein Maultier, das man schlägt.«
«Im Traum bin ich mit der Krähe hinuntergeflogen, aber wenn ich wach bin, kann ich das nicht«, erklärte Bran.
«Warum solltest du hinunter in die Gruft gehen wollen?«»Ich habe es schon gesagt. Um nach Vater zu sehen. «Der Maester zupfte an der Kette um seinen Hals, wie er es oft tat, wenn ihm nicht wohl war.»Bran, süßes Kind, eines Tages wird Lord Eddard in Stein gemeißelt dort unten sitzen, neben seinem Vater und seines Vaters Vater und allen Starks, bis zu den alten Königen des Nordens… doch das wird erst in vielen Jahren sein, sofern die Götter uns wohlgesonnen sind. Dein Vater ist Gefangener der Königin in King's Landing. Du wirst ihn in der Gruft nicht finden.«
«Heute nacht war er dort. Ich habe mit ihm gesprochen.«»Halsstarriger Junge«, seufzte der Maester und legte sein Buch beiseite.»Würdest du gern hinuntergehen und nachsehen?«
«Ich kann nicht. Hodor will nicht, und für Dancer sind die Stufen zu eng und gewunden.«
«Ich glaube, dieses Problem könnte ich lösen.«
Anstelle von Hodor wurde die Wildlingsfrau Osha gerufen. Sie war groß und stark und bereit, überall hinzugehen, wohin man sie schickte.»Ich habe mein Leben jenseits der Mauer verbracht, ein Loch im Boden macht mir keine Angst, M'lords«, sagte sie.
«Summer, komm«, rief Bran, während sie ihn mit sehnigen Armen anhob. Der Schattenwolf ließ seinen Knochen liegen und folgte ihnen, als Osha Bran über den Hof und die Wendeltreppe zur kalten Krypta unter der Erde trug. Maester Luwin ging mit einer Fackel voraus. Bran störte es noch nicht einmal, daß sie ihn in ihren Armen trug und nicht auf dem Rücken. Ser Rodrik hatte befohlen, Osha die Ketten abzunehmen, da sie treu und gut gedient hatte, seit sie auf Winterfell war. Noch immer trug sie die schweren Eisenringe um die Fußgelenke — ein Zeichen dafür, daß man ihr noch nicht gänzlich traute — , doch behinderten sie ihre sicheren Schritte die Treppe hinunter nicht.
Bran konnte sich nicht erinnern, wann er zuletzt in der Gruft gewesen war. Es war vorher gewesen, ganz sicher. Als er klein gewesen war, hatte er oft mit Robb und Jon und seinen Schwestern dort gespielt.
Er wünschte sich, sie wären jetzt hier. Vielleicht wäre ihm dann die Krypta nicht so düster und unheimlich vorgekommen. Summer pirschte in die hallende Finsternis hinaus, blieb stehen, hob den Kopf und schnüffelte in der kühlen, toten Luft. Er fletschte die Zähne und wich zurück, die Augen goldglühend im Licht der Fackel, die der Maester hielt. Selbst Osha, hart wie altes Eisen, schien sich nicht besonders wohl zu fühlen.»Grimmige Leute, so wie sie aussehen«, sagte sie, als sie die lange Reihe granitener Starks auf ihren Steinthronen betrachtete.
«Sie waren die Könige des Winters«, flüsterte Bran. Irgendwie schien es ihm nicht recht, an diesem Ort zu laut zu sprechen.
Osha lächelte.»Der Winter kennt keinen König. Wenn du ihn gesehen hättest, wüßtest du es, Sommerjunge.«
«Tausende von Jahren waren sie die Könige des Nordens«, erklärte Maester Luwin und hob die Fackel so hoch, daß das Licht die steinernen Gesichter erhellte. Manche waren haarig und bärtig, struppige Männer, wild wie die Wölfe, die zu ihren Füßen kauerten. Andere waren glattrasiert, die Mienen ausgezehrt und scharfkantig wie die eisernen Langschwerter auf ihren Knien.»Harte Männer für eine harte Zeit. Kommt. «Eilig schritt er durch die Gruft, vorüber an der Prozession steinerner Säulen und endloser Reihen von gemeißelten Figuren. Eine Flammenzunge flatterte von seiner erhobenen Fackel.
Die Gruft war eine Höhle, länger als Winterfell selbst, und Jon hatte ihm einmal erklärt, es gäbe darunter noch andere Ebenen, Grüfte, die noch tiefer und dunkler waren, wo die noch älteren Könige begraben lagen. Sie durften das Licht auf keinen Fall verlieren. Summer weigerte sich, die Stufen zu verlassen, obwohl Osha der Fackel folgte, mit Bran in ihren Armen.
«Erinnerst du dich an die Geschichten, Bran?«sagte der Maester im Gehen.»Erzähl Osha, wer sie waren und was sie taten. «Bran sah zu den vorüberziehenden Gesichtern auf, und all die Sagen fielen ihm wieder ein. Der Maester hatte ihm die Geschichten erzählt, und Old Nan hatte sie zum Leben erweckt.»Der da ist Jon Stark. Als die Seeräuber im Osten landeten, hat er sie vertrieben und die Burg von White Harbor gebaut. Sein Sohn war Rickard Stark, nicht der Vater meines Vaters, sondern ein anderer Rickard, er hat dem Marschenkönig den Neck genommen und seine Tochter geheiratet. Theon Stark ist der Dünne mit dem langen Haar und dem schmalen Bart. Man nannte ihn den» Hungrigen Wolf«, weil er ständig Krieg führte. Das ist ein Brandon, der Große mit dem verträumten Gesicht, er war Brandon, der Schiffbauer, weil er das Meer liebte. Sein Grab ist leer. Er hat versucht, nach Westen über das Meer des Sonnenuntergangs zu segeln und ward nie mehr gesehen. Sein Sohn war Brandon, der Verbrenner, weil er aus Trauer die Fackel an alle Schiffe seines Vaters hielt. Der dort ist Rodrik Stark, der Bear Island in einem Ringkampf gewann und es den Mormonts gab. Und das ist Torrhen Stark, der Kniende König. Er war der letzte König im Norden und der erste Lord von Winterfell, nachdem er sich Aegon, dem Eroberer, gebeugt hatte. Oh, da, das ist Cregan Stark. Er hat einmal mit Prinz Aemon gefochten, und der Drachenritter sagte, er hätte nie einem besseren Schwertkämpfer gegenübergestanden. «Fast waren sie nun am Ende, und Bran spürte, wie Trauer ihn umfing.»Und das ist mein Großvater, Lord Rickard, der vom Irren König Aerys enthauptet wurde. Seine Tochter Lyanna und sein Sohn Brandon liegen in den Gräbern neben ihm. Nicht ich, ein anderer Brandon, der Bruder meines Vaters. Eigentlich sollten sie keine Statuen haben, die gibt es nur für die Lords und die Könige, aber mein Vater hat sie so sehr geliebt, daß er ihnen welche machen ließ.«»Das Mädchen war sehr hübsch«, sagte Osha.»Robert war mit ihr verlobt, um sie zu heiraten, aber Prinz Rhaegar hat sie verschleppt und vergewaltigt«, erklärte Bran.»Robert hat einen Krieg geführt, um sie zurückzuholen.
Er hat Rhaegar am Trident mit seinem Hammer erschlagen, aber Lyanna ist gestorben, und er hat sie nie wiederbekommen.«
«Eine traurige Geschichte«, sagte Osha,»aber diese leeren Löcher sind noch trauriger.«
«Lord Eddards Grab, wenn seine Zeit gekommen ist«, sagte Maester Luwin.»Hier hast du deinen Vater im Traum gesehen, Bran?«
Die Erinnerung daran ließ ihn erschauern. Beklommen sah er sich in der Gruft um, und die Härchen in seinem Nacken stellten sich auf. Hatte er etwas gehört? War hier jemand?
Maester Luwin trat vor den offenen Sarg, mit der Fackel in der Hand.»Wie du siehst, ist er nicht hier. Und so wird es auch so manches Jahr noch bleiben. Träume sind nur Träume, Kind. «Er hielt seinen Arm ins Schwarze dort im Grab wie in den Rachen eines großen Tieres.»Siehst du? Es ist ganz leer…«
Knurrend sprang die Finsternis ihn an.
Bran sah Augen wie grünes Feuer, Fell, so schwarz wie das
Loch um sie herum. Maester Luwin schrie auf und warf die
Hände in die Luft. Die Fackel fiel ihm aus der Hand, prallte vom steinernen Gesicht des Brandon Stark ab und fiel der Statue vor die Füße, daß die Flammen an ihren Beinen leckten. Im trunken verwehenden Fackelschein sahen sie, wie Luwin mit dem Schattenwolf rang, mit der einen Hand auf seine Schnauze einschlug, während die Kiefer sich um die andere schlossen.»Summer!«schrie Bran.
Und Summer kam, schoß aus dem Dunkel hinter ihnen hervor, ein springender Schatten. Er fiel über Shaggydog her und stieß ihn zurück, und die beiden Schattenwölfe rollten in einem Gewirr aus grauem und schwarzem Fell herum und herum, schnappten und bissen nach einander, während Maester Luwin auf die Knie kam. Sein Arm war blutig aufgerissen.