Die Dienstmädchen versuchten, mit ihr zu sprechen, wenn sie ihr das Essen brachten, doch antwortete sie ihnen nie. Einmal kam Grand Maester Pycelle mit einem Kasten voller Fläschchen und Phiolen und fragte, ob sie krank sei. Er fühlte ihre Stirn, ließ sie sich ausziehen und tastete sie überall ab, während ihre Dienerin sie festhielt. Als er ging, gab er ihr ein Mittel aus Honigwasser und Kräutern und sagte ihr, sie solle jeden Abend einen Schluck davon einnehmen. Sie trank alles auf einmal aus und legte sich daraufhin schlafen.
Sie träumte von Schritten auf der Turmtreppe, ein unheilvolles Scharren von Leder auf Stein, als ein Mann langsam zu ihrer Schlafkammer heraufkam, Stufe für Stufe. Sie konnte sich nur hinter der Tür verstecken und zitternd lauschen, wie er näher und immer näher kam. Es war Ser Ilyn Payne, das wußte sie, mit Ice in Händen, und er wollte sie holen, um ihr ebenfalls den Kopf abzuschlagen. Sie konnte nirgendwohin fliehen, konnte sich nirgendwo verstecken, hatte nichts, womit sie die Tür verriegeln konnte. Schließlich hielten die Schritte an, und sie wußte, daß er draußen stand, schweigend mit seinen toten Augen und dem langen, pockennarbigen Gesicht. Da merkte sie, daß sie nackt war. Sie hockte am Boden, versuchte, sich mit ihren Händen zu bedecken, als sich die Tür knarrend öffnete und die Spitze des Großschwertes hereinragte…
Murmelnd erwachte sie:»Bitte, bitte, ich will gut sein, ich will gut sein, bitte nicht«, doch war niemand da, der sie hätte hören können.
Als sie dann tatsächlich zu ihr kamen, hatte Sansa ihre Schritte nicht gehört. Es war Joffrey, der ihre Tür aufmachte, nicht Ser Ilyn, sondern der Junge, der einst ihr Prinz gewesen war. Sie lag im Bett, hatte sich eingerollt, die Vorhänge zugezogen, und sie hätte nicht sagen können, ob Mittag oder Mitternacht war. Zunächst hörte sie die Tür knallen. Dann wurden ihre Bettvorhänge zurückgerissen, und sie hob eine Hand gegen das plötzlich grelle Licht und sah, daß sie sich über sie beugten.
«Ihr werdet mich heute nachmittag bei Hofe begleiten«, sagte Joffrey.»Sorgt dafür, daß Ihr badet und Euch kleidet, wie es meiner Verlobten gebührt. «Sandor Clegane stand an seiner Seite in schlichtem, braunem Wams und grünem Umhang, sein verbranntes Gesicht wirkte im Morgenlicht grauenerregend. Hinter ihnen sah sie zwei Ritter der Königsgarde in langen weißen Satinumhängen.
Sansa zog ihre Decke bis ans Kinn, um sich zu bedecken.»Nein«, wimmerte sie,»bitte… laßt mich.«
«Wenn Ihr nicht aufstehen und Euch ankleiden wollt, wird mein Bluthund es für Euch tun«, erwiderte Joffrey.»Ich flehe Euch an, mein Prinz…«»Ich bin jetzt König. Hund, hol sie aus dem Bett. «Sandor Clegane hielt sie an den Hüften und hob sie vom Federbett, während sie sich kraftlos wehrte. Ihre Decke fiel zu Boden. Darunter trug sie nur ein dünnes Schlafkleid, das ihren nackten Leib verhüllte.»Tu, was man dir sagt, Kind«, sagte Clegane.»Zieh dich an. «Er schob sie ihrem Schrank entgegen, fast zärtlich.
Sansa wich vor ihnen zurück.»Ich habe getan, was die Königin von mir verlangt hat, ich habe die Briefe geschrieben, ich habe geschrieben, was sie mir gesagt hat. Ihr habt versprochen, Ihr wolltet gnädig sein. Bitte, laßt mich nach Hause gehen. Ich werde niemanden verraten. Ich will gut sein, ich schwöre es, ich habe kein Verräterblut in mir, bestimmt nicht. Ich will doch nur nach Hause. «Als sie sich ihrer Kinderstube erinnerte, ließ sie den Kopf sinken.»Wie es Euch beliebt«, endete sie erschöpft.
«Es beliebt mir keineswegs«, sagte Joffrey.»Mutter meint, ich soll Euch trotzdem heiraten, also bleibt Ihr hier, und Ihr werdet gehorchen.«
«Ich will Euch nicht heiraten«, heulte Sansa.»Ihr habt meinem Vater den Kopf abgeschlagen!«
«Er war ein Verräter. Ich habe nie versprochen, ihn zu schonen, nur daß ich gnädig sein würde, und das war ich. Wenn er nicht Euer Vater gewesen wäre, hätte ich ihn vierteilen oder häuten lassen, aber ich habe ihm einen sauberen Tod geschenkt.«
Sansa starrte ihn an, erkannte ihn zum ersten Mal. Er trug ein wattiertes, rotes Wams mit einem Löwenmuster und kleinem Umhang aus Goldtuch mit hohem Kragen, der sein Gesicht einrahmte. Sie fragte sich, wie sie ihn jemals hatte für hübsch halten können. Seine Lippen waren so weich und rot wie die Würmer, die man nach dem Regen fand, und seine Augen waren eitel und grausam.»Ich hasse Euch«, flüsterte sie.
König Joffreys Miene verhärtete sich.»Meine Mutter sagt, es zieme sich für einen König nicht, seine Frau zu schlagen. Ser Meryn.«
Der Ritter war bei ihr, bevor sie noch denken konnte, riß ihre Hand zurück, als sie versuchte, ihr Gesicht zu schützen, und schlug ihr mit der Faust im Handschuh rückhändig übers Ohr. Sansa erinnerte sich nicht, gestürzt zu sein, doch lag sie auf einem Knie zwischen den Binsen. Ihr ganzer Kopf summte. Ser Meryn beugte sich über sie, mit Blut an den Fingern seiner weißen Seidenhandschuhe.
«Wollt Dir Euch nun fügen, oder muß ich Euch noch einmal züchtigen?«
Sansas Ohr fühlte sich taub an. Sie berührte es, und ihre Fingerspitzen wurden feucht und rot.»Ich… wie… wie Ihr befehlt, Mylord.«
«Majestät«, korrigierte Joffrey sie.»Ich werde Euch bei
Hofe erwarten. «Er wandte sich um und ging.
Ser Meryn und Ser Arys folgten ihm hinaus, doch Sandor Clegane blieb noch so lange, daß er sie rüde auf die Beine reißen konnte.»Erspar dir den Schmerz, Mädchen, und gib ihm, was er haben will.«
«Was… was will er? Bitte, sagt es mir.«
«Er will, daß du lächelst und gut riechst und seine Liebste bist«, krächzte der Bluthund.»Er will, daß du all die hübschen, kleinen Worte rezitierst, die deine Septa dich gelehrt hat. Er will, daß du ihn liebst… und fürchtest.«
Nachdem er gegangen war, sank Sansa wieder auf die Binsen und stierte an die Wand, bis zwei ihrer Dienerinnen ängstlich in die Kammer schlichen.»Ich werde heißes Wasser für mein Bad brauchen, bitte«, erklärte sie ihnen,»und Duftwasser und etwas Puder, um diesen Bluterguß zu verbergen. «Ihre rechte Gesichtsseite war geschwollen und begann zu schmerzen.
Das heiße Wasser ließ sie an Winterfell denken, und daraus schöpfte sie Kraft. Seit jenem Tag, an dem ihr Vater gestorben war, hatte sie sich nicht gewaschen, und sie war erstaunt, wie schmutzig das Wasser wurde. Die Mädchen rieben das Blut von ihrem Gesicht, schrubbten den Schmutz von ihrem Rücken, wuschen ihr Haar und bürsteten es aus, bis wieder dicke, braune Locken wippten. Sansa sprach nicht mit ihnen, außer daß sie Anweisungen gab. Sie waren Dienerinnen der Lannisters, nicht ihre eigenen, und sie traute ihnen nicht. Als es Zeit wurde, sich anzuziehen, wählte sie das grüne Seidenkleid, das sie beim Turnier getragen hatte. Sie erinnerte sich, wie galant sich Joff ihr gegenüber an jenem Abend beim Fest benommen hatte. Vielleicht erinnerte es auch ihn daran, und er würde sie sanfter behandeln.
Sie trank ein Glas Buttermilch und knabberte an süßem Brot herum, während sie wartete, um ihren Magen zu beruhigen. Es war Mittag, als Ser Meryn wiederkam. Er hatte seine weiße Rüstung angelegt. Ein geschupptes Hemd aus Emaille, mit Gold ziseliert, ein hoher Helm mit einer goldenen Sonne darauf, Beinschienen und Ringkragen und Panzerhandschuhe und Stiefel auf glänzendem Metall, dazu einen schweren Wollumhang, der von einem goldenem Löwen gehalten wurde. Sein Visier war vom Helm entfernt worden, so daß sein strenges Gesicht besser zu sehen war, dicke Tränensäcke unter den Augen, ein breiter, mürrischer Mund, rostfarbenes Haar voll grauer Flecken.»Mylady«, sagte er und verneigte sich, als hätte er sie nicht drei Stunden zuvor blutig geschlagen.»Seine Majestät hat mich angewiesen, Euch in den Thronsaal zu begleiten.«
«Hat er Euch ebenfalls angewiesen, mich zu schlagen, falls ich mich weigere?«