«Weigert Ihr Euch, Mylady?«Der Blick, den er ihr zuwarf, war ohne jeden Ausdruck. Den Bluterguß, den sie ihm verdankte, schien er nicht zu bemerken.
Er haßte sie nicht, wie Sansa merkte, doch liebte er sie auch nicht. Er empfand rein gar nichts für sie. Sie war für ihn nur ein Ding.»Nein«, sagte sie und erhob sich. Sie wollte toben, ihm Schmerz zufügen, wie er ihr Schmerz zugefügt hatte, ihn warnen, wenn sie erst Königin wäre, würde sie ihn in die Verbannung schicken, falls er jemals wieder wagen sollte, sie zu schlagen, doch fiel ihr ein, was der Bluthund ihr erklärt hatte, also sagte sie nur:»Ich will alles tun, was Seine Majestät befiehlt.«
«Genau wie ich«, gab er zurück.
«Ja, aber Ihr seid kein wahrer Ritter, Ser Meryn.«
Sandor Clegane hätte sie ausgelacht, das wußte Sansa. Andere Männer hätten sie verflucht, sie gewarnt, zu schweigen, sie vielleicht sogar um Verzeihung gebeten. Ser Meryn Tränt tat nichts dergleichen. Ser Meryn Tränt war es schlicht
gleichgültig.
Auf dem Balkon war niemand außer Sansa. Mit geneigtem Kopf stand sie da, rang ihre Tränen nieder, während unten Joffrey auf seinem Eisernen Thron saß und sprach, was er für Recht hielt. Neun von zehn Fällen schienen ihn zu langweilen. Die Behandlung dieser überließ er seinem Rat und wand sich rastlos, während Lord Baelish, Grand Maester Pycelle oder Königin Cersei die Sache entschieden. Wenn er sich jedoch entschloß, über jemanden zu richten, konnte ihn nicht einmal seine Mutter in seinem Urteil umstimmen.
Ein Dieb wurde ihm vorgeführt, und er ließ ihm von Ser Ilyn eine Hand abschlagen, gleich dort bei Gericht. Zwei Ritter kamen mit einem Streit um ein Stück Land zu ihm, und er entschied, sie sollten sich am Morgen darüber duellieren.»Bis zum Tod«, fügte er hinzu. Eine Frau fiel auf die Knie und bat um den Kopf eines Mannes, der als Verräter hingerichtet worden war. Sie habe ihn geliebt, sagte sie, und sie wolle dafür sorgen, daß er anständig beerdigt würde.»Wenn du einen Verräter geliebt hast, mußt du selbst eine Verräterin sein«, sagte Joffrey. Zwei Goldröcke schleppten sie fort in den Kerker.
Der froschgesichtige Lord Slynt saß am Ende des Ratstisches und trug ein schwarzes Wams aus Samt mit einem schimmernden Umhang aus Goldtuch, und er nickte jedesmal zustimmend, wenn der König ein Urteil fällte. Harten Blickes starrte Sansa in sein häßliches Gesicht, erinnerte sich daran, wie er ihren Vater zu Boden gestoßen hatte, damit Ser Ilyn ihn enthaupten konnte, wünschte sich, sie könne ihn verletzen, wünschte sich, irgendein Held würde ihn zu Boden stoßen und ihm den Kopf abschlagen. Doch eine Stimme in ihrem Inneren flüsterte: Es gibt keine Helden, und sie dachte daran, was Lord Petyr zu ihr gesagt hatte, hier in ebendiesem Saal.»Das Leben ist kein Lied, süßes Kind«, hatte er ihr erklärt.»Das wirst du zu deinem Bedauern eines Tages feststellen müssen. «Im Leben siegen die Ungeheuer, sagte sie sich, und dann hörte sie die Stimme des Bluthunds, ein kaltes Krächzen wie Metall auf Stein.»Erspar dir den Schmerz, Mädchen, und gib ihm, was er haben will.«
Der letzte Fall war der eines rundlichen Tavernensängers, dem vorgeworfen wurde, ein Lied gesungen zu haben, das sich über den verstorbenen König Robert lustig machte. Joff gab den Befehl, seine Holzharfe zu holen, und befahl ihm, das Lied vor dem Gericht zu singen. Der Sänger weinte und schwor, er wolle dieses Lied nie wieder singen, der König hingegen bestand darauf. Es war ein lustiges Lied darüber, wie Robert mit einem Schwein rang. Das Schwein war der Keiler, der ihn getötet hatte, wie Sansa wußte, doch in manchen Versen klang es fast, als sänge er über die Königin. Als das Lied zu Ende war, verkündete Joffrey, er wolle gnädig sein. Der Sänger dürfe entweder seine Finger oder seine Zunge behalten. Ihm bliebe ein Tag, sich zu entscheiden. Janos Slynt nickte.
Das war der letzte Fall an diesem Nachmittag, wie Sansa erleichtert feststellte, ihr Martyrium dagegen war noch nicht beendet. Als die Stimme des Herolds das Gericht entließ, floh sie vom Balkon und fand Joffrey wartend am Fuße der gewundenen Treppe vor. Der Bluthund war bei ihm, und auch Ser Meryn. Der junge König musterte sie kritischen Blickes von oben bis unten.»Ihr seht viel besser aus als vorher.«
«Danke, Majestät«, sagte Sansa. Leere Worte, doch ließen sie ihn nicken und lächeln.
«Spaziert mit mir«, befahl Joffrey und bot ihr seinen Arm an. Ihr blieb nur, ihn zu nehmen. Früher einmal hätte die bloße Berührung seiner Hand sie in helle Aufregung versetzt, jetzt bekam sie eine Gänsehaut.»Bald naht mein Namenstag«, sagte Joffrey, als sie den Thronsaal durch den Hinterausgang verließen.»Es wird ein großes Fest geben, und Geschenke. Was wollt Ihr mir schenken?«
«Ich… ich habe nicht darüber nachgedacht, Mylord.«
«Majestät«, fuhr er sie scharf an.»Ihr seid wirklich ein dummes Mädchen, was? Meine Mutter sagt es auch.«
«Sagt sie?«Nach allem, was geschehen war, hätten ihre Worte nicht mehr die Kraft besitzen sollen, sie zu verletzen, doch irgendwie war es nicht so. Die Königin hatte sie stets so nett behandelt.
«O ja. Sie macht sich Gedanken um unsere Kinder, ob sie dumm werden wie Ihr, aber ich habe ihr gesagt, sie soll sich nicht sorgen. «Der König deutete auf die Tür, und Ser Meryn öffnete sie.
«Danke, Majestät«, murmelte sie. Der Bluthund hat recht, dachte sie, ich bin nur ein kleiner Vogel und plappere die Worte nach, die man mich gelehrt hat. Die Sonne war hinter der Westmauer versunken, und die Steine des Red Keep glühten dunkel wie Blut.
«Ich mache Euch ein Kind, sobald Ihr empfangen könnt«, sagte Joffrey, als er sie über den Übungshof geleitete.»Wenn es dumm ist, schlage ich Euch den Kopf ab und suche mir eine klügere Frau. Was glaubt Ihr, wann Ihr in der Lage wäret, Kinder zu bekommen?«
Sansa konnte ihn nicht ansehen, so sehr beschämte er sie.»Septa Mordane sagt… die meisten hochgeborenen Mädchen erblühen mit zwölf oder dreizehn.«
Joffrey nickte.»Hier entlang. «Er brachte sie zum großen Tor, zum Fuß der Treppe, die zu den Zinnen hinaufführte.
Bebend riß sich Sansa von ihm los. Plötzlich wußte sie, wohin sie gingen.»Nein«, sagte sie, und ihre Stimme war ein ängstliches Stöhnen.»Bitte zwingt mich nicht, ich flehe Euch an… «
Joffrey preßte die Lippen aufeinander.»Ich will Euch zeigen, was mit Verrätern geschieht.«
Wild schüttelte Sansa den Kopf.»Ich will nicht, ich will nicht.«
«Ich könnte Euch von Ser Meryn hinaufbringen lassen«, sagte er.»Das würde Euch nicht gefallen. Ihr solltet besser tun, was ich verlange. «Joffrey griff nach ihr, und Sansa machte sich von ihm los, stieß rückwärts gegen den Bluthund.
«Tu es, Mädchen«, forderte Sandor Clegane sie auf und schob sie dem König entgegen. Sein Mund zuckte auf der verbrannten Seite seines Gesichts, und fast konnte Sansa schon hören, was er sagen würde. Er bringt dich in jedem Fall hinauf, also gib ihm lieber, was er haben will.
Sie zwang sich dazu, König Joffreys Hand zu nehmen. Der Aufstieg war wie aus einem Alptraum. Jeder Schritt war ihr ein Kampf, als zöge sie ihre Füße aus knöcheltiefem Schlamm, und es waren mehr Stufen, als sie geglaubt hätte, eintausend tausend Stufen, und das Grauen wartete oben auf den Zinnen.
Unter den hohen Wehranlagen des großen Tores breitete sich die ganze Welt vor ihnen aus. Sansa konnte die Große Septe von Baelor auf dem Visenyashügel sehen, wo ihr Vater gestorben war. Am anderen Ende der Straße der Schwestern standen die vom Feuer geschwärzten Ruinen der Drachenhöhle. Im Westen verschwand die pralle Sonne halb hinter dem Tor der Götter. Dahinter lag das Meer, und im Süden der Fischmarkt und der Hafen und der wilde Strom des Blackwater Rush. Und im Norden…
Sie wandte sich dorthin und sah nur die Stadt, Straßen und Gassen und Hügel und Täler und noch mehr Straßen und noch mehr Gassen und den Stein ferner Mauern. Doch wußte sie, daß sich jenseits davon offenes Land befand, Höfe und Felder und Wälder, und dahinter, nördlich und nördlich und wieder nördlich, stand Winterfell.