«Warum ist er allein hier draußen in der Sonne?«fragte sie die anderen.
«Die Wärme scheint ihm zu gefallen, Prinzessin«, sagte Ser Jorah.»Sein Blick folgt der Sonne, doch sieht er sie nicht. Er kann einigermaßen gehen. Er geht, wohin man ihn lenkt, aber nicht weiter. Er ißt, wenn man ihm etwas in den Mund schiebt, trinkt, wenn man ihm Wasser auf die Lippen träufelt.«
Dany küßte ihre Sonne, ihre Sterne sanft auf die Stirn, stand auf und sah Mirri Maz Duur an.»Dein Zauber ist teuer, maegi.«
«Er lebt«, sagte Mirri Maz Duur.»Ihr habt ums Leben gebeten. Ihr habt fürs Leben bezahlt.«
«Das ist kein Leben für jemanden, der wie Drogo war. Sein Leben war Lachen, ein Braten über dem Feuer und ein Pferd zwischen den Beinen. Sein Leben war ein arakh in der Hand und seine läutenden Glöckchen im Haar, wenn er einem Feind entgegenritt. Sein Leben waren seine Blutreiter und ich und der Sohn, den ich ihm schenken wollte.«
Mirri Maz Duur gab keine Antwort.
«Wann wird er wieder sein, wie er war?«forderte Dany zu wissen.
«Wenn die Sonne im Westen aufgeht und im Osten versinkt«, sagte Mirri Maz Duur.»Wenn das Meer austrocknet und die Berge wie Blätter im Wind verwehen. Wenn Euer Schoß wieder Früchte trägt und Ihr ein lebendes Kind bekommt. Dann wird er wiederkehren, vorher nicht.«
Dany deutete auf Ser Jorah und die anderen.»Geht. Ich möchte mit dieser maegi allein sprechen. «Mormont und die Dothraki zogen sich zurück.»Du hast es gewußt«, sagte Dany, als sie fort waren. Ihre Schmerzen waren groß, innerlich und äußerlich, doch ihr Zorn verlieh ihr Kraft.»Du wußtest, was ich mir erkaufen würde, du kanntest den Preis, und du hast mich bezahlen lassen.«»Es war nicht recht von ihnen, meinen Tempel niederzubrennen«, sagte die schwere, flachnasige Frau gelassen.»Es hat den Großen Hirten verärgert.«
«Das war keines Gottes Werk«, sagte Dany kalt. Wenn ich mich umsehe, bin ich verloren.»Du hast mich betrogen. Du hast das Kind in mir getötet.«
«Der Hengst, der die Welt besteigt, wird keine Städte niederbrennen. Sein khalasar wird kein Land mehr in den Staub treten.«»Ich habe für dich gesprochen«, sagte sie gequält.»Ich habe dich gerettet.«
«Mich gerettet?«Die Khazareen spuckte aus.»Drei Reiter haben mich genommen, nicht, wie ein Mann eine Frau nimmt, sondern von hinten, wie ein Hund eine Hündin besteigt. Der vierte war in mir, als Ihr geritten kamt. Wie habt Ihr mich gerettet? Ich habe gesehen, wie mein Gotteshaus brennt, in dem ich mehr gute Menschen geheilt habe, als sich zählen lassen. Auch mein Haus haben sie niedergebrannt, und auf der Straße habe ich ganze Berge von Schädeln gesehen. Ich habe den Kopf des Bäckers gesehen, der mein Brot gebacken hat. Ich habe den Kopf eines Jungen gesehen, den ich vom Fieber gerettet hatte, vor drei Monaten erst. Ich habe gehört, wie Kinder weinten, als die Reiter sie mit ihren Peitschen trieben. Sagt mir noch einmal, was Ihr mir gerettet habt.«
«Dein Leben.«
Mirri Maz Duur lachte häßlich.»Werft einen Blick auf Euren khal und seht, was dem Leben als Wert bleibt, wenn alles andere verloren ist.«
Dany rief die Männer ihres khas und hieß sie, Mirri Maz Duur zu nehmen und an Händen und Füßen zu fesseln, doch die maegi lächelte sie an, während man sie wegtrug, als teilten sie ein gemeinsames Geheimnis. Mit einem Wort hätte Dany sie köpfen lassen können… nur, was hätte sie dann? Einen Kopf? Wenn das Leben wertlos war, was war dann der Tod?
Sie führten Khal Drogo in ihr Zelt, und Dany befahl ihnen, eine Wanne mit Wasser zu füllen, und diesmal war kein Blut im Wasser. Sie badete ihn selbst, wusch den Schmutz und Staub von Armen und Brust, reinigte sein Gesicht mit einem weichen Tuch, seifte sein langes, schwarzes Haar und kämmte die Knoten heraus, bis es wieder so glänzte, wie sie es in Erinnerung hatte. Es war schon weit nach Einbruch der Dunkelheit, als sie fertig wurde, und Dany war erschöpft. Sie trank und aß etwas, konnte nur an einer Feige knabbern und einen Mundvoll Wasser bei sich behalten. Schlaf wäre eine Erlösung gewesen, aber sie hatte genug geschlafen… zu lange eigentlich. Diese Nacht schuldete sie Drogo, für alle Nächte, die gewesen waren und vielleicht noch kommen mochten.
Die Erinnerung an ihren ersten Ritt begleitete sie, derweil sie ihn in die Dunkelheit hinausführte, da die Dothraki glaubten, daß alle wichtigen Dinge im Leben eines Mannes unter freiem Himmel geschehen mußten. Sie sagte sich, es gäbe Mächte, die stärker als aller Haß waren, und Zaubersprüche, die älter und wahrer als alle waren, welche die maegi in Asshai gelernt hatte. Die Nacht war schwarz und mondlos, doch über ihnen leuchteten Millionen heller Sterne. Sie nahm es als Omen.
Dort hieß sie keine gräserne Decke willkommen, bloß harte, staubige Erde, nackt und mit Steinen übersät. Kein Baum rührte sich im Wind, und es gab keinen Bach, der ihre Ängste mit der sanften Musik des Wassers linderte. Dany sagte sich, die Sterne würden genügen.»Erinnere dich, Drogo«, flüsterte sie.»Erinnere dich an unseren ersten gemeinsamen Ritt am Tage unserer Hochzeit. Erinnere dich an die Nacht, in der wir Rhaego gezeugt haben, mit dem khalasar um uns herum, und wie du mich angesehen hast. Erinnere dich, wie kühl und klar das Wasser im Schoß der Welt war. Erinnere dich, meine Sonne, meine Sterne. Erinnere dich und komm zu mir zurück.«
Sie war von der Geburt zu wund und aufgerissen, als daß sie ihn in sich hätte aufnehmen können, wie sie es gewollt hätte, doch Doreah hatte sie andere Möglichkeiten gelehrt. Dany benutzte ihre Hände, ihren Mund, ihre Brüste. Sie kratzte ihn mit ihren Nägeln und übersäte ihn mit Küssen und flüsterte und betete und erzählte ihm Geschichten, und am Ende überschüttete sie ihn mit ihren Tränen. Drogo fühlte nichts, sagte nichts und richtete sich auch nicht auf.
Und als der öde Morgen über dem leeren Horizont dämmerte, wußte Dany, daß sie ihn wirklich und wahrhaftig verloren hatte.»Wenn die Sonne im Westen aufgeht und im Osten versinkt«, sagte sie traurig.»Wenn das Meer austrocknet und die Berge wie Blätter im Wind verwehen. Wenn mein Schoß wieder Früchte trägt und ich ein lebendes Kind bekomme. Dann kommst du wieder, meine Sonne, meine Sterne, vorher nicht. «Niemals, schrie die Finsternis, niemals, niemals, niemals. Im Zelt suchte Dany ein Kissen, weiche
Seide, mit Federn ausgestopft. Sie hielt es an die Brust, als sie hinaus zu Drogo ging, zu ihrer Sonne, ihren Sternen. Wenn ich mich umsehe, bin ich verloren. Selbst das Gehen schmerzte, und sie wollte nur noch schlafen, schlafen, ohne zu träumen.
Sie kniete nieder, küßte Drogo auf die Lippen und drückte das Kissen auf sein Gesicht.
Tyrion
«Sie haben meinen Sohn«, sagte Tywin Lannister.
«Es ist wahr, Mylord. «Die Stimme des Kuriers klang dumpf vor Erschöpfung. An der Brust seines zerfetzten Umhangs war der gestreifte Keiler von Crakehall halb von getrocknetem Blut verdeckt.
Einen deiner Söhne, dachte Tyrion. Er nahm einen Schluck Wein, sagte kein Wort, erinnerte sich an Jaime. Als er seinen Arm hob, schoß Schmerz durch seinen Ellenbogen und brachte ihm die kurze Kostprobe zu Bewußtsein, die er vom Krieg bekommen hatte. Er liebte seinen Bruder, doch hätte er nicht für alles Gold von Casterly Rock mit ihm im Whispering Wood sein wollen.
Die versammelten Hauptleute und Vasallen seines Vaters waren still geworden, als der Kurier seine Geschichte erzählte. Nur das Knistern und Zischen des Holzscheits im Kamin am Ende des langen, zugigen Schankraumes war zu hören.
Nach den Beschwerlichkeiten der langen, gnadenlosen Reise gen Süden war Tyrion von der Aussicht einer Nacht im Wirtshaus hocherfreut… obwohl er sich wünschte, es wäre nicht wieder dieses Wirtshaus gewesen mit all den unangenehmen Erinnerungen. Sein Vater hatte ein grausames Marschtempo vorgelegt, und das hatte seinen Tribut gefordert. Männer, die in der Schlacht verwundet worden waren, hielten mit, so gut sie konnten, oder blieben zurück, um für sich selbst zu sorgen. Jeden Morgen ließen sie wieder einige am Straßenrand zurück, Männer, die eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht waren. Jeden Nachmittag brachen manche auf dem Weg zusammen. Und jeden Abend desertierten welche, stahlen sich in der Dämmerung davon. Tyrion hatte sich halbwegs versucht gefühlt, mit ihnen zu ziehen.