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Er sah ihr wieder in die Augen. Sie hatte das Monster nicht angeschaut. Sie wußte, was sie auf der anderen Seite der Lichtung erwartete. Statt dessen behielt sie ihn im Auge und wartete, ob er sie durch seine Reaktion verraten würde. Mit einem Nicken versuchte er, sie erneut zu beruhigen. Erst jetzt nahm sie ihre Hand von seinem Mund, legte sie ihm aufs Handgelenk und drückte es auf den Boden. Blut rann ihr über den Hals, während sie reglos im weichen Moos lag und die Mücken gewähren ließ. Er spürte jeden einzelnen Einstich. Dann hörte er wieder ein tiefes, kurzes Grunzen, und sie drehten den Kopf ein wenig, um etwas erkennen zu können.

Mit einer schlurfenden, seitwärtigen Bewegung und in überraschendem Tempo stürmte das Monster mitten auf die Lichtung. Grunzend und mit argwöhnischem Blick in den grünen Augen, ließ es den langen Schwanz durch die Luft schwirren. Es legte den Kopf schief, stellte die kurzen, runden Ohren nach vorn und lauschte. Fell bedeckte seinen ganzen massigen Körper bis auf Brust und Bauch, wo eine glatte, glänzende, rosige Haut kräftige Muskelstränge verdeckte. Mücken umschwirrten die gespannte Haut, die mit irgend etwas beschmiert war. Das Monster warf den Kopf zurück, öffnete das Maul und stieß ein Zischen in die nachtkalte Luft. Richard sah, wie der Atem zwischen fingergroßen Zähnen verdampfte.

Um nicht vor Entsetzen aufzuschreien, konzentrierte sich Richard auf die stechenden Mücken. Davonschleichen oder -rennen war ausgeschlossen, dafür war das Monster zu nahe und, wie er gesehen hatte, auch zu schnell.

Ein Schrei vom Boden genau vor ihnen. Richard zuckte zusammen. Augenblicklich schoß das Monster in einer seitwärtigen Bewegung auf sie zu. Kahlans Finger bohrten sich ihm ins Handgelenk, ansonsten rührte sie sich nicht. Richard verfolgte gebannt, wie es zuschlug. Ein Kaninchen, dessen Ohren von Mücken übersät waren, schoß, erneut schreiend, genau vor ihnen davon und wurde im Nu gepackt und in zwei Stücke gerissen. Die Vorderhälfte verschwand mit einem einzigen Biß. Das Monster stand genau vor ihnen und machte sich über die Innereien des Kaninchens her. Dabei schmierte es sich ein wenig von dem Blut auf Brust und Bauch. Die Mücken, selbst die, die Richard und Kahlan gestochen hatten, kehrten zu dem Monster zurück und labten sich. Der Kaninchenrest wurde an den Beinen gepackt, auseinandergerissen und verschlungen.

Anschließend legte das Vieh erneut den Kopf auf die Seite und lauschte. Die beiden befanden sich genau vor ihm, hielten den Atem an. Richard schrie innerlich.

Auf seinem Rücken breiteten sich riesige Hügel aus. Im nachlassenden Licht erkannte Richard die pulsierenden Adern in den dünnen Membranen, aus denen die Flügel bestanden. Das Vieh sah sich ein letztes Mal um und schlurfte seitwärts über die Lichtung. Es richtete sich auf, hüpfte zweimal, hob ab und verschwand Richtung Grenze. Mit ihm verschwanden auch die Mücken.

Die beiden legten sich erschöpft auf den Rücken. Ihr Atem raste vor Angst. Richard mußte an die Leute vom Land denken, die ihm von einem Monster aus dem Himmel erzählt hatten, das Menschen fraß. Er hatte ihnen nicht geglaubt. Jetzt glaubte er ihnen.

Etwas in seinem Rucksack bohrte sich ihm in den Rücken. Als er es nicht mehr aushielt, rollte er auf die Seite und stützte sich auf einen Ellenbogen. Er war schweißgebadet. In der frostigen Nachtluft war ihm eiskalt. Kahlan lag immer noch mit geschlossenen Augen da und atmete hastig. Ein paar Haarsträhnen klebten ihr im Gesicht, das meiste jedoch wallte auf den Boden. Rund um den Hals war es rot gefärbt. Trauer überwältigte ihn, als er an das Grauen in ihrem Leben dachte. Wenn ihr doch nur die Begegnungen mit diesen Monstern erspart blieben, die sie nur zu gut zu kennen schien.

»Kahlan, was war das?«

Sie setzte sich auf, atmete tief durch und schaute zu ihm hinunter. Mit der Hand strich sie sich ein paar Haare hinter die Ohren. Die übrigen fielen ihr über die Schultern nach vorn.

»Das war ein langschwänziger Gar.«

Sie streckte die Hand aus und packte eine der Stechmücken bei den Flügeln. Sie mußte sich irgendwie in einer Hemdfalte verfangen haben und war zerdrückt worden, als er sich auf den Rücken gerollt hatte.

»Das ist eine Blutmücke. Gars benutzen sie zur Jagd. Die Mücken scheuchen das Opfer auf, und der Gar schlägt zu. Sie beschmieren sich zum Teil mit Blut, für die Mücken. Wir haben sehr großes Glück gehabt.« Sie hielt ihm die Blutmücke unter die Nase, um ihre Aussage zu unterstreichen. »Langschwänzige Gars sind dumm. Wäre es ein kurzschwänziger gewesen, wären wir jetzt tot. Kurzschwänzige sind größer und erheblich gerissener.« Sie wartete, um sich zu vergewissern, ob er ihr genau zuhörte. »Die zählen ihre Mücken.«

Er hatte Angst, war erschöpft und verwirrt, hatte Schmerzen. Er sehnte das Ende dieses Alptraums herbei. Mit einem entmutigten Stöhnen ließ er sich auf seinen Rucksack fallen, ohne sich daran zu stören, daß sich ihm etwas in den Rücken bohrte.

»Kahlan, ich bin dein Freund. Ich habe dich nicht bedrängt, als du nach dem Überfall der Männer nicht erzählen wolltest, was eigentlich vorgeht.« Er hatte die Augen geschlossen. Er hielt ihrem prüfenden Blick nicht stand. »Und jetzt werde auch ich gejagt. Womöglich von denselben Leuten, die meinen Vater ermordet haben. Ich glaube, ich habe ein Recht, wenigstens teilweise eingeweiht zu werden. Schließlich bin ich dein Freund und nicht dein Feind.

Einmal, als ich klein war, bekam ich Fieber und wäre fast gestorben. Zedd fand eine Wurzel, die mich rettete. Da war ich das einzige Mal dem Tod nahe. Und heute ist es schon dreimal geschehen. Was soll ich…«

Sie legte ihm den Zeigefinger auf die Lippen, um ihn zum Schweigen zu bringen.

»Du hast recht. Ich werde dir deine Fragen beantworten. Nur nicht über mich. Das kann ich jetzt noch nicht.«

Er setzte sich auf und sah sie an. Sie zitterte vor Kälte. Er ließ den Rucksack von den Schultern gleiten, zog eine Decke heraus und wickelte sie damit ein.

»Du hast mir ein Feuer versprochen«, sagte sie bibbernd. »Hast du vor, dein Versprechen zu halten?«

Er konnte nicht anders. Lachend erhob er sich. »Aber sicher. Dort drüben, auf der anderen Seite der Lichtung steht eine Launenfichte. Oder wenn du willst, ein Stück den Pfad hinauf stehen auch noch andere.«

Sie hob den Kopf und sah ihn mit einer Mischung aus Neugier und Zorn an.

»Also gut«, er lächelte, »suchen wir uns eine andere Launenfichte den Pfad hinauf.«

»Was ist eine Launenfichte?« fragte sie.

5

Richard bog die Äste zurück. »Das hier ist eine Launenfichte«, verkündete er. »Der Freund eines jeden Reisenden.«

Drinnen war es dunkel. Kahlan hielt die Äste zur Seite, damit er im Mondlicht genug sehen konnte, um mit Hilfe seines Feuersteins ein Feuer anzuzünden. Wolken schoben sich vor den Mond, und sie konnten in der kalten Luft ihren Atem erkennen. Richard hatte hier auf dem Weg von und zu Zedd schon früher haltgemacht und aus Steinen eine kleine Feuerstelle angelegt. Es war trockenes Holz da und ganz hinten ein Heuhaufen, den er als Lager benutzt hatte. Da er sein Messer nicht dabei hatte, war er froh, einen Vorrat an Zunder zurückgelassen zu haben. Das Feuer war schnell entfacht und füllte den Hohlraum unter dem Geäst mit flackerndem Licht.

Richard konnte unter den untersten Ästen nur knapp stehen. Die Äste hatten nur an den Enden Nadeln, waren an der Innenseite kahl und bildeten so einen Hohlraum. Die untersten Äste senkten sich bis auf den Boden. Wenn man aufpaßte, hielt der Baum dem Feuer stand. Der Rauch des kleinen Feuers schraubte sich in der Mitte, nahe am Stamm, in die Höhe. Die Nadeln wuchsen dort sehr dicht, und selbst bei starkem Regen blieb es im Innern trocken. Richard hatte so manchen Regen unter einer solchen Fichte abgewartet. Auf seinen Reisen durch Kernland hatte er den Aufenthalt in den kleinen, aber gemütlichen Unterständen immer genossen.