»Gewürzsuppe!« Zedd war entzückt. »Seit Jahren hatte ich keine richtige Gewürzsuppe mehr. Richards ist katastrophal schlecht.«
Richard trottete hinterher. Die emotionale Anspannung hatte ihm die letzte Kraft geraubt. Zedds lässiger Umgang mit dem Fieber machte ihm angst, auch wenn sein alter Freund ihm auf diese Weise die Furcht von der Ernsthaftigkeit der Angelegenheit nehmen wollte. Er spürte den Pulsschlag in seiner entzündeten Hand.
Zedd stammte aus den Midlands, daher hatte Richard angenommen, er könnte durch die Erwähnung des Quadrons sein Mitgefühl gewinnen. Er war erleichtert, wenn auch ein wenig überrascht, daß die beiden plötzlich so freundlich zueinander waren. Im Gehen berührte er den Zahn, um sich zu vergewissern, ob er noch da war.
Trotz allem beunruhigte ihn, was er gerade erfahren hatte.
An einer der hinteren Ecken des Hauses stand ein Tisch, an dem Zedd bei gutem Wetter gerne seine Mahlzeiten zu sich nahm. Auf diese Weise konnte er beim Essen die Wolken im Auge behalten. Zedd setzte die beiden nebeneinander auf eine Bank und ging ins Haus, um Karotten, Beeren, Käse und Apfelsaft zu holen. Er stellte alles auf den durch jahrelangen Gebrauch glattgeschliffenen Tisch und setzte sich ihnen gegenüber auf die Bank. Er reichte Richard einen Krug mit einer braunen, dicken, nach Mandeln riechenden Flüssigkeit und sagte ihm, er solle sie langsam trinken.
Er sah Richard an. »Erzähl mir von den Schwierigkeiten.«
Richard erzählte, wie er von der Schlingpflanze gestochen worden war, wie er Kahlan am Trunt Lake gesehen hatte, verfolgt von den vier Männern. Er erzählte die Geschichte in allen Einzelheiten, an die er sich erinnern konnte. Zedd wollte immer alle Einzelheiten wissen, ganz gleich, wie unbedeutend sie schienen. Gelegentlich unterbrach sich Richard, um einen Schluck aus dem Krug zu trinken. Kahlan aß ein paar Karotten und Beeren, trank den Apfelsaft, doch den Teller mit dem Käse schob sie von sich. Sie nickte oder bot ihre Hilfe an, wenn er sich an ein bestimmtes Detail nicht mehr erinnern konnte. Nur was Kahlan ihm erzählt hatte, ließ er aus. Er hielt es für besser, wenn sie es mit ihren eigenen Worten erzählte. Am Schluß wollte Zedd wissen, was Richard überhaupt im Ven Forest zu suchen hatte.
»Als ich nach dem Mord zum Haus meines Vaters ging, habe ich in der Vase nach einer Nachricht gesucht. Sie war so ungefähr das einzige, was nicht zerbrochen war. Darin steckte ein Stück Schlingpflanze. Und das habe ich die letzten drei Wochen gemacht. Ich habe nach der Schlingpflanze gesucht, um herauszufinden, was die letzte Nachricht meines Vaters bedeutet. Und als ich sie fand, nun, da hat sie mich gestochen.« Er war froh, daß er endlich fertig war. Seine Zunge fühlte sich geschwollen an.
Zedd biß nachdenklich ein Stück Karotte ab. »Wie sah die Schlingpflanze aus?«
»Sie war … warte, ich habe ein Stück in meiner Tasche.« Er holte den Zweig hervor und warf ihn auf den Tisch.
»Verdammt!« flüsterte Zedd. »Das ist eine Schlangenpflanze!«
Richard wurde eiskalt. Er kannte den Namen aus dem Geheimen Buch. Hoffentlich erfüllten sich nicht seine schlimmsten Befürchtungen.
Zedd lehnte sich zurück. »Nun, das Gute ist, ich kenne die Wurzel, mit der man das Fieber heilen kann. Das Schlechte ist, ich muß sie erst finden.« Zedd bat Kahlan, ihren Teil der Geschichte zu erzählen, es aber kurz zu machen, da er einiges zu erledigen hatte und nicht viel Zeit blieb. Richard mußte an die Geschichte denken, die sie ihm am Vorabend unter dem Baum erzählt hatte, und fragte sich, wieviel kürzer sie sie wohl machen konnte.
»Darken Rahl, der Sohn von Panis Rahl, hat die drei Kästchen der Ordnung ins Spiel gebracht«, sagte Kahlan schlicht. »Ich bin gekommen, um den großen Zauberer zu suchen.«
Richard war wie vom Donner gerührt.
Aus dem Geheimen Buch, dem Buch der Gezählten Schatten, jenem Buch, das sein Vater ihn hatte auswendig lernen lassen, bevor sie es zerstört hatten, sprang ihm die Zeile ins Gedächtnis: Und wenn die drei Kastchen der Ordnung ins Spiel gebracht werden, wird die Schlangenpflanze wachsen. Richards schlimmste Alpträume schienen lebendig zu werden. Die schlimmsten Alpträume, die man sich nur denken konnte.
7
Schmerz und ein vom Fieber hervorgerufenes Schwindelgefühl ließen Richard nur undeutlich erkennen, daß sein Kopf auf den Tisch gesunken war. Er stöhnte, während seine Gedanken um die Bedeutung dessen kreisten, was Kahlan Zedd erzählt hatte: Die Prophezeiung aus dem Geheimen Buch der Gezählten Schatten war zum Leben erwacht. Dann war Zedd neben ihm, hob ihn auf die Beine und bat Kahlan, ihn ins Haus zu schaffen. Als er mit ihrer Hilfe zu gehen versuchte, schwankte der Boden unter seinen Füßen. Es war schwierig, aufrecht zu gehen. Sie legten ihn auf ein Bett und deckten ihn zu. Er hörte, wie sie sich unterhielten, ihre Worte jedoch, in seinem Kopf nur Gelalle, ergaben für ihn keinen Sinn.
Dunkelheit saugte seinen Verstand auf. Dann ein Licht. Er schien an die Oberfläche zu treiben und gleich wieder in die Tiefe zu trudeln. Er fragte sich, wer er war und was mit ihm geschah. Die Zeit verging, während sich der Raum drehte, wankte und kippte. Er hielt sich am Bett fest, um nicht abgeworfen zu werden. Manchmal wußte er, wo er war, und versuchte, sich verzweifelt an sein Wissen zu klammern … nur um wieder in Dunkelheit zu versinken.
Sein Bewußtsein regte sich. Er wußte, daß Zeit verstrichen war, hatte allerdings keine Ahnung, wieviel. War es dunkel? Vielleicht waren nur die Vorhänge vorgezogen. Er merkte, wie ihm jemand einen kühlen, feuchten Lappen auf die Stirn legte. Seine Mutter strich ihm die Haare glatt. Ihre Berührung hatte etwas Tröstliches, Wohltuendes. Beinahe konnte er ihr Gesicht erkennen. Sie war so gut, immer sorgte sie sich um ihn.
Bis zu ihrem Tod. Er wollte heulen. Sie war tot. Trotzdem strich sie ihm die Haare glatt. Das war nicht möglich, es mußte jemand anderes sein. Aber wer? Dann fiel es ihm ein. Es war Kahlan. Er rief ihren Namen.
Kahlan strich ihm übers Haar. »Ich bin hier.«
Dann fiel es ihm wieder ein, die Erinnerung überflutete ihn wie ein Sturzbach: die Ermordung seines Vaters, die Schlingpflanze, die ihn gestochen hatte, die vier Männer auf den Klippen, die Ansprache seines Bruders; wie ihm jemand in seinem Haus aufgelauert hatte, der Gar, das Irrlicht, das ihm gesagt hatte, entweder fände er die Antwort, oder er müsse sterben, was Kahlan erzählt hatte, daß die drei Kästchen der Ordnung ins Spiel gebracht worden waren, und sein Geheimnis, das Buch der Gezählten Schatten…
Er erinnerte sich; sein Vater hatte ihn zu einem geheimen Ort in den Wäldern mitgenommen und ihm erzählt, wie er das Buch der Gezählten Schatten aus den Klauen jenes Monsters gerettet hatte, daß es bewacht werden sollte, bis sein Meister kam. Wie er es nach Westland gebracht hatte, um es vor den gierigen Händen zu schützen, Hände, von denen der Hüter des Buches nicht wußte, wie bedrohlich sie waren. Nach Ansicht seines Vaters bestand die Gefahr, solange das Buch existierte. Das darin enthaltene Wissen könne er allerdings nicht vernichten. Dazu habe er kein Recht, es gehöre dem Hüter des Buches und müsse sicher verwahrt werden, bis es zurückgegeben werden könne. Die einzige Möglichkeit sei, das Buch auswendig zu lernen und dann zu verbrennen. Nur so könne das Wissen bewahrt bleiben, ohne gestohlen zu werden, was sonst nicht geschähe.
Sein Vater hatte Richard ausgewählt. Daß er Richard wählte und nicht Michael, dafür hatte er seine ganz eigenen Gründe. Niemand durfte von dem Buch wissen, nicht einmal Michael, nur sein Hüter, niemand sonst. Vielleicht meinte er, es käme nie dazu. In diesem Fall hatte Richard das Buch an sein Kind weiterzugeben, und dieses dann an seines und so weiter, solange es erforderlich war. Sein Vater konnte ihm nicht sagen, wer der Hüter des Buches war, denn er wußte es nicht. Richard fragte, wie er denn den Hüter erkennen solle. Doch sein Vater meinte, die Antwort darauf müsse er schon selbst finden. Und nie, niemals dürfe er außer dem Hüter jemandem davon erzählen. Auch Michael nicht. Nicht mal seinem besten Freund Zedd.