»Sonst wäre ich nicht hier. Hat er etwas gesagt, als er aufgewacht ist?«
Kahlan lächelte den alten Mann von unten herauf an. »Nur, daß er sich um dich sorgt.«
Er kehrte um und verschwand brummend im Vorderzimmer. »Und zwar nicht ohne guten Grund.«
Er setzte sich an den Tisch, schälte die Wurzeln und schnitt sie in hauchdünne Scheiben, die er mit etwas Wasser in einen Topf gab. Dann hängte er den Topf übers Feuer. Bevor er zum Regal ging, um einige verschieden große Gläser herunterzunehmen, warf er die Schalen und zwei Scheite ins Feuer. Ohne Zögern wählte er erst ein Glas, dann ein zweites aus und schüttete die verschiedenfarbigen Pulver in einen schwarzen Mörser aus Stein. Mit einem weißen Stößel zerrieb er das Rot, Blau, Gelb, Braun und Grün, bis alles zusammen die Farbe trockenen Schlamms hatte. Er befeuchtete eine Fingerspitze und stippte sie zum Probieren in den Mörser. Er schmeckte ab, machte ein überraschtes Gesicht, schnalzte mit den Lippen und überlegte. Schließlich lächelte er und nickte zufrieden. Er schüttete das Pulver in den Topf und nahm eine Kelle von einem Haken neben dem Kamin. Langsam rührend beobachtete er, wie das Gebräu köchelte. Fast zwei Stunden saß er so da. Endlich entschied er, das Werk sei vollbracht, und setzte den schweren Topf zum Abkühlen auf den Tisch.
Zedd suchte eine Schale und ein Tuch und bat Kahlan nach einer Weile, ihm zu helfen. Sie eilte an seine Seite, und er erklärte ihr, wie sie das Tuch über der Schale halten mußte, während er die Mixtur durchseihte.
Er machte eine wirbelnde Bewegung mit dem Finger. »Und jetzt wringe das Tuch aus, um die Flüssigkeit herauszupressen. Wenn alles herausgepreßt ist, wirf das Tuch und was darin hängengeblieben ist, ins Feuer.« Sie sah ihn verwirrt an. »Was im Tuch bleibt, ist Gift. Richard müßte jetzt jeden Augenblick aufwachen, dann geben wir ihm die Flüssigkeit in der Schale. Drück du weiter das Tuch aus, ich sehe inzwischen nach ihm.«
Zedd ging ins Schlafzimmer, beugte sich über Richard und stellte fest, daß er in tiefer Bewußtlosigkeit lag. Er drehte sich um und sah Kahlan, die ihm den Rücken zuwandte und ihre Arbeit erledigte. Er beugte sich vor und legte Richard den Mittelfinger auf die Stirn. Richard riß die Augen auf.
»Wir haben Glück, meine Liebe!« rief er hinüber in den anderen Raum, »er ist gerade aufgewacht. Jetzt bring die Schale.«
Richard zwinkerte mit den Augen. »Zedd? Alles in Ordnung? Auch mit dir?«
»Ja, ja, alles bestens.«
Kahlan kam herein und hielt die Schale vorsichtig, um nichts zu verschütten. Zedd half Richard auf, damit er trinken konnte. Als er fertig war, half er ihm wieder beim Hinlegen.
»Das wird dich schläfrig machen und das Fieber senken. Wenn du das nächste Mal aufwachst, bist du wieder gesund, mein Wort darauf. Mach dir also keine Sorgen mehr und ruh dich aus.«
»Danke, Zedd…« Richard war eingeschlafen, bevor er noch mehr sagen konnte.
Zedd ging und kehrte mit einem Blechteller zurück. Er bestand darauf, daß Kahlan sich auf den Stuhl setzte. »Der Dorn verträgt die Wurzel nicht«, erklärte er. »Er wird seinen Körper verlassen müssen.« Er schob den Teller unter Richards Hand, setzte sich auf die Bettkante und wartete. Sie lauschten auf Richards tiefen Atem und das Knacken des Feuers aus dem Nebenzimmer. Ansonsten war es still im Haus. Zedd war es, der als erster das Schweigen brach.
»Für einen Konfessor ist es gefährlich, allein zu reisen, meine Liebe. Wo ist dein Zauberer?«
Sie sah ihn mit müden Augen an. »Mein Zauberer hat sich bei einer Königin verdingt.«
Zedd runzelte ungläubig die Stirn. »Er hat seine Pflichten gegenüber den Konfessoren aufgegeben? Wie lautet sein Name?«
»Giller.«
»Giller«, wiederholte er den Namen mit säuerlicher Miene. Er beugte sich zu ihr vor. »Und warum hat dich kein anderer begleitet?«
Sie sah ihm fest ins Gesicht. »Weil sie alle tot sind, gestorben durch ihre eigene Hand. Sie sind vor ihrem Tod alle zusammengekommen und haben ein Netz gesponnen, um mich unter der Führung eines Irrlichts sicher durch die Grenze zu bringen.« Zedd erhob sich, als er das hörte. Trauer und Sorge gruben sich in sein Gesicht. Er strich sich übers Kinn.
»Du hast die Zauberer gekannt?« wollte sie wissen.
»Aber ja. Ich habe lange in den Midlands gelebt.«
»Und den großen Zauberer? Kennst du den auch?«
Zedd lächelte, ordnete sein Gewand und setzte sich wieder. »Du bist hartnäckig, meine Liebe. Ja, ich habe den alten Zauberer einmal getroffen. Aber selbst wenn du ihn fändest, glaube ich nicht, daß er etwas mit dieser Geschichte zu tun haben möchte. Ich glaube, er würde den Midlands nicht helfen.«
Kahlan beugte sich vor und ergriff seine Hand. Ihre Stimme war sanft, aber nachdrücklich.
»Zedd, es gibt viele in den Midlands, die mit dem Hohen Rat und seiner Gier alles andere als einverstanden sind. Sie hätten es gern anders, aber es sind nur einfache Menschen, die nichts zu sagen haben. Sie wollen nur in Frieden leben. Darken Rahl hat die Lebensmittel beschlagnahmt, die für den kommenden Winter eingelagert worden waren, und sie an die Armee verteilt. Sie schmeißen sie weg oder lassen sie verfaulen. Oder sie verkaufen sie den Leuten, denen sie sie gestohlen haben. Schon jetzt hungern viele, und diesen Winter wird es Tote geben. Das Feuer wurde geächtet. Die Menschen frieren. Rahl behauptet, dies alles sei der Fehler des großen Zauberers, weil er sich nicht als Volksfeind vor Gericht hat stellen lassen. Er behauptet, sie hätten all dies dem Zauberer zu verdanken, er sei an allem schuld. Wieso, erklärt er nicht. Viele glauben es trotzdem. Viele glauben alles, was Rahl sagt, obwohl sie nur die Augen zu öffnen brauchten, um zu sehen, daß es nicht stimmt.
Die Zauberer waren ständig in Gefahr. Man hatte ihnen per Erlaß die Anwendung von Magie verboten. Sie wußten, früher oder später würde sie gegen die Menschen ausgespielt werden. Vielleicht haben sie in der Vergangenheit Fehler begangen und ihren Lehrer enttäuscht, aber das Wichtigste, was sie gelernt hatten, war, die Menschen zu schützen und ihnen keinen Schaden zuzufügen. In einem Akt reiner Liebe für die Menschen haben sie ihr Leben geopfert, um Darken Rahl aufzuhalten. Ich glaube, ihr Lehrer wäre stolz auf sie gewesen.
Aber es geht nicht um die Midlands. Die Grenze zwischen D'Hara und den Midlands ist gefallen, die Grenze zwischen den Midlands und Westland wird schwächer, und bald wird auch sie fallen. Die Menschen werden von dem beherrscht werden, was sie am meisten fürchten: Magie. Entsetzliche, grauenerregende Magie, wie niemand von ihnen sie sich vorstellen kann.«
Zedd zeigte keine Rührung, erhob weder Einwand noch Einwurf. Er hörte nur zu. Er überließ ihr auch weiterhin seine Hand.
»Gegen all das könnte der große Zauberer Einwände vorbringen, doch daß Darken Rahl die Drei Kästchen der Ordnung ins Spiel gebracht hat, ist etwas völlig anderes. Wenn ihm das gelingt, wird es am ersten Tag des Winters für alle zu spät sein. Auch für den Zauberer. Rahl ist bereits auf der Suche nach ihm, er will sich persönlich an ihm rächen. Viele sind bereits gestorben, weil sie seinen Namen nicht preisgeben konnten. Öffnet Rahl jedoch das richtige Kästchen, wird er uneingeschränkte Macht über alles Leben besitzen, und dann ist auch der Zauberer in seiner Hand. Er kann sich in Westland verstecken, solange er will, am ersten Tag des Winters ist es vorbei. Dann hat Darken Rahl ihn in der Hand.«
Sie wirkte verbittert. »Zedd, Darken Rahl hat mit Hilfe der Quadrone alle anderen Konfessoren getötet. Ich habe meine Schwester gefunden, nachdem sie mit ihr fertig waren. Sie starb in meinen Armen. Jetzt, wo all die anderen tot sind, bin nur noch ich übrig. Die Zauberer hatten gewußt, daß ihr Lehrer ihnen nicht helfen wollte, also haben sie mich geschickt, als letzte Hoffnung. Er hilft sich selbst, wenn er mich unterstützt, und sollte er zu töricht sein, um das einzusehen, dann muß ich meine Macht gegen ihn richten und ihn dazu zwingen.«