Zedd zog eine Braue hoch. »Und was soll ein alter, vertrockneter Zauberer gegen die Macht eines Darken Rahl ausrichten?« Jetzt war er es, der ihre Hand hielt.
»Er muß einen Sucher ernennen.«
»Was?« Zedd sprang auf. »Meine Liebe, du weiß nicht, was du da sagst.«
Kahlan lehnte sich ein wenig verwirrt zurück. »Was meinst du?«
»Sucher ernennen sich selbst. Der Zauberer bestätigt in gewisser Weise nur das Geschehene und macht es amtlich.«
»Ich verstehe nicht. Ich dachte, der Zauberer sucht den Richtigen aus.«
Zedd lehnte sich zurück und strich sich übers Kinn. »In gewisser Weise stimmt das auch, aber andersherum. Ein wahrer Sucher, jemand, der den Ausschlag geben kann, muß sich selbst als Sucher zu erkennen geben. Der Zauberer zeigt nicht mit dem Finger auf irgend jemanden und sagt: ›Hier ist das Schwert der Wahrheit, jetzt bist du der Sucher.‹ Eigentlich hat er in dieser Angelegenheit gar keine Wahl. Man kann nicht Sucher werden. Man muß einfach Sucher sein und dies durch seine Taten unter Beweis stellen. Um sicherzugehen, muß ein Zauberer jemanden über Jahre beobachten. Ein Sucher muß nicht der Gerissenste sein, nur eben der Richtige. Es muß einfach in ihm stecken. Ein wahrer Sucher ist selten.
Der Sucher stellt einen Scheitelpunkt der Macht dar. Seine Ernennung ist durch den Rat eine politische Sache geworden, ein Knochen, den sie einem der seibernden Köter zu ihren Füßen vorwerfen können. Es ist ein gefragter Posten, wegen der Macht, über die ein Sucher verfügt. Aber der Rat hat nichts begriffen. Nicht das Amt verleiht dieser Person Macht, sondern umgekehrt.«
Er rückte näher. »Kahlan, du wurdest geboren, nachdem der Rat sich diese Macht angeeignet hatte, also hast du vielleicht in jungen Jahren einen Sucher gesehen. Doch zu jener Zeit haben die Sucher sich nur den Anschein gegeben; einen echten hast du nie zu Gesicht bekommen.« Er riß die Augen auf, als er das erzählte. Seine Stimme war leise und voller Leidenschaft. »Ich habe gesehen, wie ein wahrer Sucher durch eine schlichte Frage einen König in seinen Stiefeln erzittern ließ. Wenn ein wahrer Sucher das Schwert der Wahrheit zieht…« Er reckte die Arme empor und rollte verzückt die Augen. »Der Anblick gerechten Zorns kann etwas sehr Erhabenes sein.« Kahlan mußte angesichts seiner Erregung lächeln. »Die Guten kann er vor Freude erbeben lassen, die Schlechten vor Furcht.« Sein Gesicht wurde wieder ernst. »Aber die meisten glauben die Wahrheit selbst dann nicht, wenn sie sie sehen, und schon gar nicht, wenn sie nicht wollen. Dadurch bekommt die Stellung eines Suchers etwas Gefährliches. Er ist allen im Weg, die die Macht untergraben. Er zieht Blitze von vielen Seiten an. Meist ist er auf sich allein gestellt und oft nicht mal für lange.«
»Das Gefühl kenne ich gut«, sagte sie mit einem Anflug von Lächeln.
Zedd beugte sich weiter vor. »Ich glaube, sogar ein Sucher wird gegen Darken Rahl nicht lange durchhalten. Außerdem, was kommt danach?«
Sie ergriff wieder seine Hand. »Wir müssen es versuchen, Zedd. Es ist unsere einzige Chance. Wenn wir sie nicht nutzen, ist es aus.«
Er setzte sich auf, rückte von ihr ab. »Wen immer der Zauberer aussucht, er wird sich in den Midlands nicht auskennen. Er hätte dort keine Chance. Es wäre ein Todesurteil für denjenigen.«
»Das ist ein weiterer Grund, weshalb man mich geschickt hat. Ich soll ihm als Führer dienen, ihm zur Seite stehen, und wenn es sein muß, mein Leben opfern und helfen, ihn zu beschützen. Konfessoren verbringen ihr Leben damit, in den Ländern herumzureisen. Ich war fast überall in den Midlands. Ein Konfessor wird von Geburt an in Sprachen unterrichtet. Das muß auch so sein, weil er nie weiß, wohin er geschickt wird. Ich spreche alle großen und die meisten kleinen Sprachen. Und was das Auf-sichZiehen von Blitzen anbelangt, bekommt ein Konfessor durchaus seinen Teil ab. Wären wir leicht zu töten, würde Darken Rahl keine Quadrone losschicken, die das erledigen sollen. Viele sind dabei schon draufgegangen. Ich kann dabei helfen, den Sucher zu beschützen. Mit meinem Leben, wenn es sein muß.«
»Dein Vorschlag würde einen Sucher nur in fürchterliche Lebensgefahr bringen, meine Liebe. Und dich auch.«
Sie zog eine Braue hoch. »Ich werde bereits verfolgt. Wenn du einen besseren Vorschlag hast, sag es.«
Zedd atmete erschöpft durch. Richard stöhnte. Der alte Mann stand auf. »Es ist soweit.«
Kahlan stand neben ihm, als er Richards Arm am Handgelenk hochhob und die verwundete Hand über den Blechteller hielt. Blut tropfte auf den Teller. Der Dorn fiel mit einem leisen, feuchten Platschen heraus. Kahlan wollte danach greifen.
Zedd packte ihr Handgelenk. »Tu das nicht, meine Liebe. Jetzt, wo er aus seinem Wirt vertrieben ist, wird der Dorn versuchen, einen neuen zu finden. Paß auf.«
Sie zog ihre Hand zurück, als er seinen knochigen Finger ein paar Zentimeter von dem Dorn entfernt auf den Teller legte. Zappelnd krabbelte der Dorn, eine dünne Blutspur hinter sich herziehend, auf den Finger zu. Er zog seinen Finger zurück und reichte ihr den Teller. »Halte ihn von unten und bring ihn zum Kamin. Leg ihn mit der Oberseite nach unten auf das Feuer und laß ihn dort.«
Während sie tat, worum Zedd sie gebeten hatte, säuberte er die Wunde und behandelte sie mit einer Salbe. Als Kahlan zurückkehrte, hielt er Richards Hand und sie verband sie. Zedd beobachtete ihre Hände.
»Warum hast du ihm nicht gesagt, daß du ein Konfessor bist?« Seine Stimme klang hart.
Ihre Antwort klang ebenso hart. »Wegen deines Benehmens, als du erkannt hast, daß ich ein Konfessor bin.« Sie wartete und fuhr freundlicher fort: »Irgendwie sind wir Freunde geworden. Das war mir neu. Mein ganzes Leben habe ich solche Reaktionen wie deine erlebt. Sobald ich mit dem Sucher aufbreche, werde ich es ihm erzählen. Bis dahin würde ich gerne seine Freundschaft gewinnen. Ist das zuviel verlangt, das ganz menschliche Bedürfnis nach Freundschaft? Sie wird früh genug enden, wenn ich es ihm erzähle.«
Als sie fertig war, legte Zedd ihr einen Finger unters Kinn, hob ihren Kopf und lächelte sie gütig an. »Ich habe mich dumm benommen, als ich dich zum ersten Mal sah. Hauptsächlich deswegen, weil ich überrascht war, einen Konfessor zu sehen. Ich hatte nicht damit gerechnet, jemals wieder einem zu begegnen. Ich habe die Midlands verlassen, weil ich mich von der Magie lösen wollte. Du bist in meine Einsamkeit eingedrungen. Ich möchte mich für mein Benehmen und den unfreundlichen Empfang entschuldigen. Ich hoffe, ich habe es wieder gutgemacht. Ich habe Respekt vor Konfessoren, vielleicht mehr als du ahnst. Du bist eine gute Frau. Sei willkommen in meinem Haus.«
Kahlan blickte ihm lange in die Augen. »Danke, Zeddicus Zu'l Zorander.«
Zedd machte ein Gesicht, noch bedrohlicher als ihres bei ihrer ersten Begegnung. Wie erstarrt stand sie da, und er hielt seinen Finger immer noch unter ihr Kinn. Sie hatte Angst, sich zu bewegen, die Augen weit aufgerissen.
»Du sollst allerdings wissen, Mutter Konfessor«, seine Stimme war wenig mehr als ein Flüstern und tödlich, »dieser Junge ist seit sehr langer Zeit schon mein Freund. Wenn du ihn mit deiner Macht berührst oder ihn erwählst, wirst du mir Rede und Antwort stehen müssen. Und das wird dir nicht gefallen. Hast du verstanden?«
Sie schluckte heftig und brachte ein schwaches Nicken zustande. »Ja.«
»Gut.« Das Bedrohliche wich aus seinem Gesicht, Gelassenheit trat wieder an seine Stelle. Er nahm den Finger von ihrem Kinn und wandte sich Richard zu.
Kahlan atmete durch. Sie war nicht bereit, sich einschüchtern zu lassen. Sie packte ihn am Arm und riß ihn herum. »Zedd, das würde ich ihm niemals antun. Nicht, weil du mir gedroht hast, sondern weil ich ihn mag. Ich möchte, daß du das begreifst.«
Sie sahen sich lange in die Augen. Dann kehrte, entwaffnend wie immer, Zedds schelmisches Grinsen zurück.
»Ich habe dir die Wahl gelassen, meine Liebe. So wäre es mir am liebsten.«
Sie entspannte sich. Sie war zufrieden, weil sie ihren Standpunkt klargestellt hatte, und nahm ihn kurz in den Arm. Er erwiderte die Geste aufrichtig.