Tief in seinem Innern spürte er, wie sich Wut regte und sich, einmal zum Leben erweckt, auf die Suche nach einem Gegenstand machte. Plötzlich wurde er sich des Zahnes auf seiner Brust bewußt.
Mit der aufsteigenden Wut erwachte in ihm eine Kraft, die vom Schwert auf ihn überging: der Zwillingsbruder seines eigenen Zorns. Seine eigenen Gefühle hatten immer etwas Unabhängiges, Eigenständiges gehabt. Es war, als wäre ein Spiegelbild zum Leben erwacht. Eine erschreckende Erscheinung. Sein Zorn nährte sich von der Kraft aus dem Schwert, und umgekehrt nährte der Zorn des Schwertes seine eigene Stärke. Wie ein Zwillingswirbel durchströmte ihn die Kraft. Er kam sich vor wie ein hilfloser Zuschauer, der mitgerissen wurde. Es war ein beängstigendes und gleichzeitig verführerisches Gefühl, das an Entweihung grenzte. Furchteinflößende Erkenntnis seiner Wut vermischte sich mit quälender Verheißung. Die behexenden Gefühle schossen ungestüm durch seinen Körper, ergriffen seinen Zorn und schwangen sich mit ihm empor. Richard mußte kämpfen, um seine Wut zu bändigen. Er stand kurz davor, in Panik zu geraten. Kurz vor hemmungsloser Hingabe.
Zeddicus Zu'l Zorander warf den Kopf nach hinten und breitete die Arme aus. Dem Himmel schleuderte er entgegen: »Als deutliche Warnung an alle Lebenden und Toten! Der Sucher ist ernannt!«
Donner aus heiterem Himmel erschütterte den Boden und rollte grollend Richtung Grenze davon.
Kahlan kam und fiel vor Richard auf die Knie, die Hände hinter dem Rücken. »Bei meinem Leben, ich gelobe, den Sucher zu schützen.«
Zedd trat heran und kniete sich mit gesenktem Kopf neben sie. »Bei meinem Leben, ich gelobe, den Sucher zu schützen!«
Richard stand da mit dem Schwert der Wahrheit in der Hand, die Augen vor Verblüffung aufgerissen.
»Zedd«, flüsterte er, »was, im Namen alles Guten, ist ein Sucher?«
9
Zedd stützte sich mit einer Hand auf dem Knie ab, kam auf die Beine und ordnete den Umhang um seinen knochigen Körper. Er bot der auf den Boden starrenden Kahlan die Hand. Sie bemerkte sie, ergriff sie und stand auf. Der Kummer stand ihr ins Gesicht geschrieben. Zedd betrachtete sie einen Augenblick lang. Nickend gab sie ihm zu verstehen, daß alles in Ordnung sei.
Zedd wandte sich an Richard. »Was ein Sucher ist? Eine weise erste Frage in deiner neuen Stellung, doch keine, die sich so schnell beantworten läßt.«
Richard starrte verwundert auf das funkelnde Schwert in seiner Hand. Er war überhaupt nicht sicher, ob er etwas damit zu tun haben wollte. Froh darüber, von den Gefühlen, die es hervorrief, befreit zu sein, ließ er es zurück in seine Scheide gleiten und hielt es mit beiden Händen vor seinen Körper. »Zedd, ich habe das hier noch nie zuvor gesehen. Wo hast du es aufbewahrt?«
Zedd lächelte stolz. »In der Kammer, im Haus.«
Richard sah ihn argwöhnisch an. »In der Kammer befinden sich doch nur Teller und Töpfe und deine Pülverchen.«
»Die Kammer meine ich nicht«, sagte er und senkte die Stimme, als wollte er jedem einen Strich durch die Rechnung machen, der vielleicht lauschte, »sondern meine Zaubererkammer!«
Richard richtete sich stirnrunzelnd auf. »Ich habe nie eine andere Kammer gesehen.«
»Verdammt, Richard. Du hast sie auch nicht sehen sollen. Es ist eine Zaubererkammer, und sie ist unsichtbar!«
Richard kam sich mehr als ein wenig blöde vor. »Und wie lange hast du es schon?«
»Oh, das weiß ich nicht. Vielleicht ein Dutzend Jahre oder so.« Zedd wedelte mit seiner schmächtigen Hand durch die Luft. Offenbar maß er der Frage keine große Bedeutung bei.
»Und wie kommt es, daß du es hast?«
Zedds Ton wurde schärfer. »Es ist die Aufgabe eines Zauberers, einen Sucher zu ernennen. Der Oberste Rat hat es unberechtigterweise übernommen, diese Person selbst zu ernennen. Es war ihnen egal, ob sie den richtigen finden. Sie vergaben den Posten an irgend jemanden, der ihnen zur entsprechenden Zeit gerade paßte. Oder an den, der gerade am meisten bot. Das Schwert gehört dem Sucher, solange er lebt, oder solange er beschließt, Sucher zu bleiben. Während der Zeit, in der ein neuer Sucher gesucht wird, gehört das Schwert der Wahrheit den Zauberern. Oder, um genauer zu sein, es gehört mir, denn das Ernennen eines Suchers ist meine Aufgabe. Der letzte, dem es gehörte«, er richtete die Augen gen Himmel, als suche er dort nach dem rechten Wort, »bekam es mit einer Hexe zu tun. Während er also abgelenkt war, ging ich in die Midlands und holte mir zurück, was mir gehörte. Jetzt ist es deines.«
Richard hatte das Gefühl, gegen seinen Willen in etwas hineingezogen zu werden. Er sah Kahlan an. Sie schien ihre Angst überwunden zu haben und war wieder undurchschaubar. »Deswegen bist du hergekommen? Das war es, was du von dem Zauberer gewollt hast?«
»Richard, der Zauberer sollte einen Sucher benennen. Ich wußte nicht, daß du es sein würdest.«
Er blickte vom einen zum anderen und hatte das Gefühl, in der Falle zu sitzen. »Glaubt ihr zwei wirklich, ich könnte uns irgendwie retten? Ich könnte Darken Rahl irgendwie aufhalten? Ein Zauberer kann es nicht, und ich soll es versuchen?« Vor Schreck schlug ihm das Herz bis zum Hals hinauf.
Zedd kam herbei und legte ihm beschwichtigend einen Arm um die Schulter. »Schau in den Himmel, Richard. Sag mir, was du siehst.« Richard schaute hoch und sah die Schlangenwolke. Er brauchte die Frage nicht zu beantworten. Zedd drückte ihm seine kräftigen, knochigen Finger ins Fleisch. »Setz dich, und ich erzähle dir, was du wissen mußt. Danach entscheidest du allein, was du tun willst. Komm.« Er legte den anderen Arm um Kahlans Schulter und geleitete die beiden zur Bank am Tisch. Er nahm gegenüber Platz. Als Zeichen, daß die Sache noch nicht entschieden war, legte Richard das Schwert zwischen ihnen auf den Tisch.
Zedd schob sich die Ärmel hoch. »Es gibt einen Zauber«, begann er, »einen alten, gefährlichen Zauber von ungeheurer Kraft. Es ist ein Zauber, den die Erde, das Leben selbst hervorgebracht hat. Er wird in drei Gefäßen verwahrt, die die drei Kästchen der Ordnung genannt werden. Der Zauber ruht, bis, wie es genannt wird, die Kästchen ins Spiel gebracht werden. Das ist nicht einfach. Dazu braucht es einen Menschen, der sein Wissen durch langes Studium erworben hat, und der selbst eine beträchtliche Macht erzeugen kann. Sobald jemand wenigstens eines dieser Kästchen hat, kann der Zauber der Ordnung ins Spiel gebracht werden. Von da an hat er ein Jahr Zeit, ein Kästchen zu öffnen, jedoch muß er im Besitz aller drei Kästchen sein, damit sie sich öffnen. Sie funktionieren nur zusammen. Man kann nicht einfach nur eins besitzen und es öffnen. Gelingt es dem, der sie ins Spiel bringt, nicht, alle drei zu beschaffen und eines in der angesetzten Zeit zu öffnen, verliert er sein Leben an den Zauber. Ein Zurück gibt es nicht. Darken Rahl muß eines der Kästchen öffnen, oder er stirbt. Am ersten Tag des Winters läuft sein Jahr ab.«
Zedds Gesicht war hart, faltig und angespannt vor Entschlossenheit. Er beugte sich ein Stück vor. »Jedes enthält einen anderen Zauber, der bei seiner Öffnung freigesetzt wird. Öffnet Rahl das richtige, gewinnt er die Kraft der Ordnung, den Zauber des Lebens selbst, die Macht über alles Lebendige und Tote. Er wird über uneingeschränkte Macht und Autorität verfügen. Er wird zu einem Herrscher mit unabänderlicher Gewalt über alle Menschen werden. Alle werden seine Sklaven sein. Ganz gleich, was sie wollen, er wird sie seinem Willen und Geheiß unterwerfen. Wer ihm nicht behagt, den wird er ohne einen Gedanken töten können, wie immer es ihm beliebt, wo immer diese Person sich aufhält, ganz gleich wie weit entfernt.«
»Klingt nach einem entsetzlich üblen Zauber«, meinte Richard.
Zedd lehnte sich zurück, nahm die Hände vom Tisch. Er schüttelte den Kopf. »Nein, eigentlich nicht. Der Zauber der Ordnung ist die Kraft allen Lebens. Wie alle Kraft existiert sie einfach. Erst wer sie gebraucht, entscheidet, welchem Zweck sie dient. Der Zauber der Ordnung kann ebensogut dazu benutzt werden, das Getreide wachsen zu lassen, die Kranken zu heilen, einen Streit beizulegen. Alles hängt vom Willen des Benutzers ab. Der Zauber selbst ist weder gut noch schlecht. Er existiert einfach. Des Menschen Wille ist es, der über seinen Zweck entscheidet. Ich glaube, wir alle wissen, welchen Zweck Darken Rahl wählen würde.«