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Zedd unterbrach sich, wie es seine Art war, damit Richard über die Bedeutung des gerade Gehörten nachdenken konnte. Sein Gesicht erstarrte entschlossen. Auch Kahlans Blick verriet ihm, wie entschlossen sie darauf bedacht war, daß er die ganze verhängnisvolle Tragweite dessen begriff, was Zedd erzählte. Natürlich brauchte Richard gar nicht darüber nachzudenken, denn er kannte dies alles aus dem Buch der Gezählten Schatten. Das Buch war eindeutig. Aus dem Buch wußte er, daß Zedd die Umwälzungen nur ansatzweise beschrieben hatte, die das Land überkommen würden, sollte Darken Rahl das richtige Kästchen öffnen. Er wußte auch, was geschah, sollte eines der anderen Kästchen geöffnet werden. Doch er durfte sich dieses Wissen nicht anmerken lassen und mußte fragen. »Und wenn er eines der anderen öffnet?«

Im Nu war Zedd wieder ganz nah am Tisch. Er hatte genau diese Frage erwartet. »Öffnet er das falsche Kästchen, erhebt der Zauber seinen Anspruch auf ihn. Er ist tot.« Zedd schnippte mit den Fingern. »Einfach so. Wir sind alle sicher, und die Bedrohung ist beseitigt.« Er runzelte die Stirn, beugte sich vor und blickte Richard scharf an. »Öffnet er das andere falsche Kästchen, dann verbrennt jeder Käfer, jeder Grashalm, jeder Baum, jeder Mann und jede Frau, alles Lebendige zu völligem Nichts. Es wäre das Ende allen Lebens, und da der Tod Teil alles Lebendigen ist, ist auch der Zauber der Ordnung sowohl mit dem Tod als auch mit dem Leben verbunden.«

Zedd lehnte sich zurück. Das Aufzählen der katastrophalen anderen Möglichkeiten hatte ihn offensichtlich überwältigt. Obwohl Richard alles bereits wußte, mußte er heftig schlucken, als er es erzählt bekam. Irgendwie erschien es ihm wirklicher, wenn man es beim Namen nannte. Beim Auswendiglernen des Buches war alles so unwirklich gewesen, so unwahrscheinlich, daß er nie einen Gedanken daran verschwendet hatte, es könnte tatsächlich geschehen. Nur so konnte es seinem Hüter zurückgegeben werden. Gerne hätte er Zedd erzählt, was er wußte, doch der Schwur seinem Vater gegenüber hinderte ihn daran. Er zwang ihn auch, den Schein zu wahren und eine weitere Frage zu stellen, deren Antwort er bereits kannte.

»Woher wird Rahl wissen, welches Kästchen er zu öffnen hat?«

Zedd ordnete die Ärmel seiner Kleider, senkte den Blick und betrachtete seine Hände auf dem Tisch. Dann sprach er weiter. »Bringt jemand die Kästchen ins Spiel, so verschafft ihm das ein bestimmtes geheimes Wissen. Vermutlich kann er dank dieses Wissens herausfinden, welches Kästchen welches ist.«

Das machte Sinn. Niemand außer seinem Hüter und offenbar dem, der die Kästchen ins Spiel brachte, kannte das Buch. Im Buch gab es darauf keinen Hinweis. Doch es erschien logisch. Plötzlich durchfuhr es ihn. Darken Rahl war wegen des Buches hinter ihm her. Fast hätte er nicht mitbekommen, wie Zedd fortfuhr.

»Rahl jedoch hat etwas Außergewöhnliches getan. Er hat die Kästchen ins Spiel gebracht, bevor er alle drei hatte.«

Richards Aufmerksamkeit wurde sofort wieder geweckt. »Er hat nicht alle drei erhalten, bevor er sie ins Spiel brachte?« Zedd schüttelte den Kopf. »Dann muß er entweder dumm oder seiner Sache sehr sicher sein.«

»Er ist seiner Sache sicher«, sagte der Zauberer. »Ich habe die Midlands im wesentlichen aus zwei Gründen verlassen. Erstens, weil der Oberste Rat die Benennung des Suchers an sich gerissen hat. Zweitens, weil sie die Kästchen der Ordnung falsch behandelt haben. Die Menschen waren zu der Überzeugung gelangt, die Macht der Kästchen sei nur eine Legende, eine Geschichte alter Männer wie mir. Sie hielten mich für einen alten Narren, weil ich ihnen erzählte, es sei keine Legende, sondern die Wahrheit. Sie haben meine Warnungen in den Wind geschlagen.«

Er schlug mit der Faust auf den Tisch, so daß Kahlan aufschreckte. »Ausgelacht haben sie mich!« Sein Gesicht war rot vor Zorn und hob sich so noch deutlicher von der Masse seiner weißen Haare ab. »Ich wollte sie weit entfernt voneinander und mit Hilfe von Magie aufbewahrt wissen, versteckt und unter Verschluß, damit sie unauffindbar bleiben. Der Rat dagegen wollte sie wichtigen Leuten überlassen, als Trophäe, mit der man angeben kann. Sie wurden als Gegenleistung für Gefälligkeiten oder Versprechungen verschenkt. Dadurch fielen die Kästchen in gierige Hände. Ich weiß nicht, was in der Zwischenzeit mit ihnen geschehen ist. Rahl besitzt wenigstens eines, auf keinen Fall jedoch alle drei. Zumindest noch nicht.« Zedds Augen blitzten voller Inbrunst auf. »Verstehst du jetzt, Richard? Wir brauchen nicht gegen Darken Rahl vorzugehen, wir müssen eines der Kästchen finden, bevor er es tut.«

»Und es vor ihm schützen, was möglicherweise schwieriger wird, als es zu finden«, merkte Richard an und ließ den Gedanken einen Augenblick in der Schwebe. Plötzlich fiel ihm etwas ein. »Zedd, meinst du, eines der Kästchen könnte hier in Westland sein?«

»Unwahrscheinlich.«

»Warum?«

Zedd zögerte. »Richard, ich habe dir nie erzählt, daß ich Zauberer bin, aber du hast zuvor auch nie gefragt, also habe ich diesbezüglich nicht wirklich gelogen. Eine Lüge jedoch habe ich dir erzählt. Ich habe dir erzählt, ich sei hierhergekommen, bevor die Grenze entstand. In Wirklichkeit bin ich nicht hergekommen, bevor sie entstand, denn das war unmöglich. Siehst du, um ein von Magie befreites Westland zu schaffen, durfte bei der Entstehung der Grenze kein Zauberer hier sein. Magie durfte es hier erst nach Errichtung der Grenze geben, aber nicht davor. Da ich über Zauberkraft verfüge, hätte meine Anwesenheit das verhindert, also mußte ich bis zu dem Zeitpunkt in den Midlands bleiben. Erst dann konnte ich hindurchgelangen.«

»Jeder hat seine kleinen Geheimnisse. Ich nehme dir deines nicht übel. Aber worauf willst du hinaus?«

»Worauf ich hinaus will, ist folgendes. Wir wissen, daß keines der Kästchen vor der Entstehung der Grenze hier gewesen sein kann, sonst hätte dessen Zauberkraft die Grenze unmöglich gemacht. Wenn sie also aufgrund der Magie vor Entstehung der Grenze alle in den Midlands waren, und ich keines mitgebracht habe, müssen sie folglich noch immer in den Midlands sein.«

Richard dachte eine Weile darüber nach und spürte, wie sein Funken Hoffnung erlosch. Er wandte sich wieder den unmittelbaren Problemen zu.

»Du hast mir noch immer nicht verraten, was ein Sucher ist. Oder welche Rolle ich hierbei spiele.«

Zedd faltete die Hände. »Ein Sucher ist jemand, der ausschließlich sich selbst verpflichtet ist. Er ist sich selbst Gesetz. Es steht ihm zu, das Schwert der Wahrheit so zu schwingen, wie er will. In den Grenzen seiner eigenen Kraft kann er jeden dazu zwingen, ihm jede Frage zu beantworten.« Zedd hob die Hand, um Richards Einwürfen und Fragen zuvorzukommen. »Ich weiß, das klingt vage. Es ist so schwer zu erklären, weil es sich verhält wie mit jeder Macht. Wie schon gesagt, Macht wird erst durch ihre Anwendung zu dem, was sie ist. Aus diesem Grund ist es auch so wichtig, den Richtigen zu finden. Einen Menschen, der seine Macht weise einsetzt. Du siehst, ein Sucher tut genau das, was sein Name vermuten läßt: Er sucht. Er sucht die Antwort auf Dinge. Dinge seiner Wahl. Ist er der Richtige, wird er die Antworten suchen, die anderen helfen, nicht nur ihm. Der ganze Zweck eines Suchers besteht darin, zu gehen, wohin er will, zu fragen, was immer er will, zu lernen, was er will, und, wenn nötig, zu tun, was immer die Antworten verlangen.«

Richard richtete sich auf und hob die Stimme. »Willst du mir erzählen, ein Sucher sei ein Mörder?«

»Ich werde dich nicht anlügen, Richard. Es hat Zeiten gegeben, in denen es darauf hinauslief.«

Richards Gesicht war tiefrot. »Ich werde nicht zum Mörder werden!«

Zedd zuckte mit den Achseln. »Wie gesagt, ein Sucher ist, was immer er will. Im Idealfall ist ein Sucher der Träger der Gerechtigkeit. Viel mehr kann ich dir nicht erzählen, denn ich war nie einer. Ich weiß nicht, was in ihren Köpfen vor sich geht, doch ich erkenne die Sorte Mensch, die dafür geeignet ist.«