Niemand klagte ihn an, nicht nach allem, was er getan hatte. Doch Krasus schien sich selbst nicht vergeben zu können.
»Wir haben sie wieder zurückgeworfen«, erklärte Rhonin. Aber in seinen Worten schwang keinerlei Optimismus. »Wie schon beim letzten und vorletzten Mal …«
Die Schlacht entfernte sich von ihnen. Jetzt oblag die Initiative wieder den Verteidigern. Die Schwestern der Elune nutzten die Pause, um sich ihrer wahren Berufung – dem Heilen – zu widmen. Sie gingen zu den verwundeten Soldaten. Ein paar widmeten sich sogar den Tauren, wenn auch zögerlich.
Die Klänge der Schlachthörner kamen aus Lord Stareyes Richtung. Der Adlige wedelte mit seinem Schwert und zeigte auf die Brennende Legion. Offenbar wollte er sich den einstweiligen Sieg seiner Armee auf sein Konto schreiben.
Krasus schüttelte den Kopf. »Wenn doch nur Brox Ravencrest rechtzeitig erreicht hätte.«
»Er hat getan, was er konnte«, antwortete Malfurion. »Das weiß ich sicher.«
»Ich zweifele nicht am dem Orc oder seiner Hingabe, mein Junge. Es ist das Schicksal, mit dem ich hadere. Komm, wir sollten die Atempause nutzen, um die Schwestern zu unterstützen. Es gibt sehr viele Verwundete.«
Das stimmte. Malfurion setzte einen weiteren Aspekt seiner Ausbildung ein. Cenarius hatte ihm beigebracht, welche Pflanzen Schmerzen linderten oder Wunden heilten. Sein Können reichte zwar nicht an das der Priesterinnen heran, aber den Verwundeten ging es nach seiner Hilfe trotzdem besser.
Zwischen den Soldaten entdeckten sie Jarod. Der Offizier hockte neben seinem Nachtsäbler. Eine Schwester kümmerte sich um eine tiefe Schnittwunde in seinem Arm.
»Ich habe ihr gesagt, dass das unnötig ist«, bemerkte er säuerlich, als sie auf ihn zu gingen. »Meine Rüstung hat mich recht gut geschützt.«
»Die Waffen der Brennenden Legion sind häufig vergiftet«, erklärte Krasus. »Selbst eine kleine Wunde kann gefährlich werden.« Er neigte den Kopf vor dem Offizier. »Du hast da draußen sehr gut agiert und die Situation für uns entschieden.«
»Ich bat den Tauren Huln lediglich, mir einige seiner Krieger zur Verfügung zu stellen, um meine Soldaten zu retten. Dann fragte ich die Zwerge, ob sie die Linien der Tauren decken könnten.«
»Wie ich bereits sagte, eine gute Aktion. Die Nachtelfen und die Stiermenschen kämpften gut zusammen, als es darauf ankam. Wenn das unser geschätzter Kommandant nur auch erkennen würde. Bei meiner Ankunft bemerkte ich bereits, dass es keine Zusammenarbeit zwischen den Verbündeten gibt.«
Rhonin hob die Augenbrauen. »Hast du von Stareye wirklich etwas anderes erwartet?«
»Nein, wohl kaum.«
Sie wurden unterbrochen, als eine hochrangige Priesterin auf sie zu kam. Sie war hochgewachsen und bewegte sich so elegant wie ein Nachtsäbler. Ihr Gesicht war nicht unattraktiv, aber der Ausdruck darin war streng. Die Haut der Schwester war ein wenig blasser als die der meisten Nachtelfen. Sie erinnerte Malfurion an jemanden, aber er konnte nicht sagen, an wen.
»Sie sagten, sie hätten sich gesehen«, sagte sie ruhig zu Jarod.
Er sah sie ratlos an, als sei er sich nicht sicher, dass sie wirklich dort stand. »Maiev …«
»Seit unserer letzten Begegnung ist viel Zeit vergangen, kleiner Bruder.«
Die Ähnlichkeit wurde jetzt deutlicher. Die andere Priesterin beendete ihre Behandlung, als der Captain aufstand und seine Schwester ansah. Er war zwar größer als sie, schien aber trotzdem zu ihr aufzusehen.
»Wir haben uns nicht mehr gesehen, seit du in den Dienst der Mondgöttin getreten bist und dich im Tempel von Hajiri deinen Studien widmen wolltest.«
»Dort ist Kalo’thera zu den Sternen aufgestiegen«, erklärte Maiev und bezog sich dabei auf eine berühmte Hohepriesterin, die vor einigen Jahrhunderten gelebt hatte. In der Schwesternschaft wurde Kalo’thera von vielen fast wie eine Halbgöttin verehrt.
»Das war weit weg von Zuhause.« Jarod schien sich erst jetzt wieder der anderen bewusst zu werden. Er sah sie an und sagte: »Das ist meine ältere Schwester Maiev. Maiev, dies sind …«
Die Priesterin ignorierte Malfurion und Rhonin, konzentrierte sich nur auf Krasus. Wie alle Schwestern schien sie sofort zu bemerken, dass er etwas Besonderes war, auch wenn sie den Grund nicht kannte. Maiev kniete nieder, bevor Jarod fortfahren konnte, und sagte: »Deine Anwesenheit hier ehrt mich, Älterer.«
Krasus zeigte keine Regung. »Du musst nicht vor mir knien.
Erhebe dich, Schwester und sei willkommen. Die Priesterinnen kamen heute genau zur rechten Zeit.«
Die Miene von Jarods Schwester verriet Stolz. »Mutter Mond hat unsere Hand geführt, auch wenn wir dafür Marinda und einige andere opfern mussten. Wir sahen, dass die Legion durchzubrechen drohte. Wir wären vor den Stiermenschen da gewesen, wenn die Entfernung nicht so groß gewesen wäre.« Sie blickte in die Richtung der Tauren. »Sie haben erstaunlich gut reagiert.«
»Dein Bruder hat sie angeleitet«, erklärte der Magier. »Jarod war es, dem die Armee wahrscheinlich ihre Rettung verdankt.«
»Jarod?« Maievs Tonfall spiegelte ihren Unglauben wider. Als Krasus jedoch nickte, vergaß sie ihre Zweifel und neigte den Kopf vor dem Captain. »Ein einfacher Offizier der Stadtwache spielt also den Kommandanten? Das Glück muss mit dir gewesen sein, Bruder.«
Er nickte wortlos und wandte den Blick ab.
Rhonin ließ die Bemerkung jedoch nicht stehen. »Glück? Er hat seinen Verstand benutzt!«
Die Priesterin hob die Schultern und ignorierte seinen Einwand. »Kleiner Bruder, du wolltest uns vorstellen.«
»Vergib mir, Maiev, der ältere Magier heißt Krasus. Neben ihm steht der Zauberer Rhonin …«
»Solch hilfsbereite Besucher sind zu dieser Zeit willkommen«, unterbrach sie ihn. »Möge Elune euch segnen.«
»Und das«, fuhr der Captain fort, »ist Malfurion Stormrage, der …«
Maievs Blicke brannten sich fast in den Druiden. »Ja … du warst mit einer unserer Schwestern vertraut, Tyrande Whisperwind.«
Tyrande war zwar vor ihrer Entführung nicht lange Hohepriesterin der Schwesternschaft gewesen, trotzdem hielt Malfurion diese Bemerkung für respektlos. »Ja, wir sind zusammen aufgewachsen.«
»Wir bedauern deinen Verlust. Sie ist wohl Opfer ihrer Unerfahrenheit geworden. Es wäre besser für sie gewesen, wenn ihre Vorgängerin eine ältere und erfahrenere Person erwählt hätte.« Maiev ließ durchblicken, dass sie sich selbst meinte.
Malfurion schluckte seinen Ärger hinunter. »Es war nicht ihr Fehler. Die Schlacht tobte überall. Sie versuchte mir zu helfen, wurde aber verwundet. War bewusstlos. In dem Chaos, das folgte, wurde sie von Dienern der Dämonen entführt.« Er richtete seinen Blick auf die kalten Augen der Priesterin. »Aber wir werden sie zurückholen.«
Jarods Schwester nickte. »Ich werde zu Elune beten, dass dies geschieht.« Sie sah den Captain an. »Ich bin froh, dass deine Verletzungen nicht allzu schlimm sind, kleiner Bruder. Bitte entschuldige mich jetzt. Ich muss den anderen Schwestern helfen. Jetzt, da Marinda tot ist, müssen wir eine neue Anführerin wählen. Sie selbst hatte keine Nachfolgerin bestimmt.«
Mit einer Verbeugung, die sich hauptsächlich an Krasus richtete, fügte Maiev hinzu: »Möge der Segen Elunes auf dir ruhen.«
Als sie weit genug weg war, grunzte Rhonin und sagte ironisch: »Eine nette und freundliche Schwester hast du da.«
»Sie widmet sich hingebungsvoll den traditionellen Lehren der Elune«, verteidigte Jarod sie. »Sie war schon immer sehr streng.«
»Ihr Hingabe ist kein Fehler«, erklärte Krasus, »so lange es sie nicht blind macht für die Pfade, die andere vor ihr beschritten.«
Jarod wurde einer weiteren Verteidigung seiner Schwester durch Brox’ Ankunft enthoben. Der Orc grinste zufrieden.
»Gute Schlacht! Viele Tote, über die man singen wird. Viele Krieger, die das Blut unserer Feinde vergossen haben.«
»Reizend«, murmelte Rhonin.
»Tauren sind gute Kämpfer und willkommene Mitstreiter in jeder Schlacht.« Der riesige grüne Krieger blieb stehen und stellte seine Axt auf dem Boden ab. »Nicht so gut wie Orcs … aber fast.«