Und doch glaubte Cenarius, dieser Traum könne ihm gegen den schwarzen Drachen helfen.
Der Waldgott zeigte in die Ferne. Durchquere den Traum so wie den anderen, Malfurion, aber bleibe den Rändern fern. Dies ist ein unvollendeter Ort, und wer aus ihm heraus fällt, landet im Nichts. Ich spreche aus schrecklicher Erfahrung.
Cenarius verriet nicht mehr, aber die Bedeutung seiner Worte war klar genug. Wenn Malfurion vom Weg abkommen sollte, würde keine Rettung möglich sein.
Trotz dieses erschütternden Wissens war der Druide entschlossen, es zu wagen. Wie kann ich zurückkehren?
So wie immer. Suche den Weg zurück zu deinem Körper. Du wirst den richtigen Pfad erkennen.
Es war alles so einfach – wenn man über Malfurions Ausbildung verfügte. Cenarius’ Abbild begann zu verblassen, aber der Druide hielt ihn auf.
Die anderen, sagte er und bezog sich dabei auf die restlichen Halbgötter. Konntest du sie überzeugen?
Aviana hat mich unterstützt. Die Würfel sind gefallen. Wir müssen nur noch über den richtigen Weg entscheiden.
Malfurion gelang es nur schwer, seine Enttäuschung zu verbergen. Er hatte die Halbgötter ersucht, auf Seiten der Nachtelfen in den schrecklichen Krieg einzugreifen. Cenarius schien es zwar gelungen zu sein, die anderen davon zu überzeugen, aber jetzt mussten sie erst einmal über die Angelegenheit diskutieren. Bei solchen Wesen konnte sich eine Diskussion jedoch über eine lange Zeit erstrecken. Bis dahin war Kalimdor vielleicht schon längst vernichtet.
Sorge dich nicht, Malfurion, sagte der Herr des Waldes mit wissendem Lächeln. Ich werde dafür sorgen, dass sie sich beeilen.
Der Druide hatte seine innersten Gedanken enthüllt, ein Anfängerfehler. Vergebt mir, ich wollte nicht respektlos erscheinen. Ich …
Cenarius löste sich bereits auf, schüttelte aber noch einmal den Kopf. Er zeigte mit einem Finger aus verkrümmtem Holz auf den Druiden. Es ist keine Respektlosigkeit, wenn man die zur Eile mahnt, die ihre Pflichten vernachlässigen.
Mit diesen Worten verschwand der Hirschgott.
Der Druide hatte eigentlich sofort zu seinem Körper zurückkehren wollen, um den anderen von seiner Begegnung zu erzählen. Aber die unvollendete Landschaft lag einladend vor ihm. Malfurion fragte sich, ob es ihm nicht schwerfallen würde, die urzeitliche Landschaft Kalimdors wiederzufinden, wenn er sie jetzt verließ, um in die Welt der Sterblichen zurückzukehren.
Er konnte sich nicht mehr länger zurückhalten und sprang. Das diesige grünliche Licht durchdrang die gesamte Landschaft, genau wie auf dem Pfad, den er normalerweise beschritt. Offen gesagt bemerkte Malfurion, abgesehen von einigen landschaftlichen Abweichungen, keine Veränderungen zwischen den beiden Ebenen.
Malfurion flog über Hügel, Täler und Ebenen. Krasus hatte ihm die Richtung verraten, in der er die Drachen wahrscheinlich finden würde. Sicherlich würde der Erdwächter sich nicht in unmittelbarer Nähe der anderen verbergen, aber Krasus hatte ihm versichert, dass das uralte Volk Angewohnheiten nur schwer ablegte. Wenn der Druide seine Jagd in der Nähe der Drachenwohnstätten begann, würde er früher oder später wahrscheinlich fündig werden.
Unter ihm wurde das Land bergiger, doch die Gipfel waren nicht so perfekt geformt wie bei seinen anderen Reisen im Smaragdtraum. Aber auch nicht so verwittert wie in der Welt der Sterblichen. Statt dessen waren sie, wie Cenarius angedeutet hatte, unfertig. Bei einem fehlte sogar die Nordseite; der Boden und der Fels wirkten, als seien sie von einem gewaltigen Messer abgetrennt worden. Malfurion sah Erzschichten und Höhlen im Inneren. Ein anderer Gipfel wies eine seltsame Krone auf, die wirkte, als habe jemand angefangen, sie aus Ton zu formen, dann aber das Interesse verloren.
Der Druide nahm den Blick von diesen faszinierenden Einzelheiten und konzentrierte sich auf die gesamte Gegend. Er hatte das Land der Drachen erreicht. Jetzt musste er nur noch Neltharions Spur finden.
Malfurion setzte dieselben Kräfte ein wie auf der anderen Ebene, um nach dem Drachen zu suchen. Er entdeckte andere Spuren, die er als Yseras und möglicherweise Alexstraszas identifizierte. Es gab schwächere Fährten, die Malfurion von den weniger großen Drachen verursacht glaubte und die ihn daher nicht interessierten.
Der Druide bewegte sich langsam und suchte alle Richtungen ab. Nach jedem Fehlschlag fragte er sich, ob Neltharion vielleicht doch nicht so naiv gewesen war, wie Cenarius es vermutet hatte. In diesem Fall würde Malfurion auch nach einer Ewigkeit keine Spur von ihm finden.
Er hielt abrupt an. Eine Fährte, die er im ersten Moment einem niederen Drachen zugeordnet hatte, erregte plötzlich seine Aufmerksamkeit. Sie kam ihm vertraut vor, was eigentlich unmöglich war. Malfurion konzentrierte sich darauf …
Die schützende Fassade brach beinahe augenblicklich in sich zusammen. Neltharions Spur leuchtete dem Druiden entgegen. Die Zauber, die den Erdwächter in der sterblichen Welt und im Smaragdtraum vor allen verborgen hätten, waren hier lächerlich schwach. Malfurion achtete sorgfältig darauf, sich nicht zu sicher zu fühlen. Den schwarzen Drachen zu finden, war eine Sache, sich seiner Aufmerksamkeit auf allen Ebenen zu entziehen, eine ganz andere. Der wahnsinnige Neltharion litt unter extremem Verfolgungswahn, der sogar seine höheren Sinne durchsetzte. Der Druide durfte sich keinen auch noch so winzigen Fehler erlauben.
Malfurion folgte der Spur mit der allergrößten Vorsicht. Sie führte ihn in eine Gegend, in der die Landschaft vager und verschwommener wurde. Der Druide dachte an Cenarius’ Warnung und wurde langsamer.
Der schwarze Drache war nahe. Malfurion spürte ihn dort, wo die Berge verschwammen. Er fühlte aber auch etwas anderes, einen schwachen Gestank, der die Gegend erfüllte und weitaus älter als alles andere zu sein schien. Er erinnerte den Druiden an das, was er im Inneren der Dämonenseele empfunden hatte. Doch darin hatte er den Gestank dank der anderen Eindrücke kaum wahrgenommen.
Was war das nur?
Malfurion schob den Gedanken beiseite. Er hatte keine Zeit, sich darum zu kümmern. Die Landschaft erbebte – und plötzlich betrat seine Traumgestalt die Welt der Sterblichen.
Die gewaltige Höhle, in der er stand, schien aus einem Alptraum entsprungen zu sein. Giftig aussehende Wolken aus grün-grauem Gas hingen über den Lavagruben im Felsboden. Die Lava blubberte und zischte. Ab und zu kochte sie über und schwappte gegen den geschwärzten Stein. Die vulkanische Aktivität sorgte für ein rötliches Licht, das lange tanzende Schatten über die Wände warf. Die Höhle war das passende Versteck für jemanden, der so viele mitleidlos ermordet hatte.
Malfurion bemerkte neben dem Blubbern und Zischen noch ein anderes Geräusch im Hintergrund. Je stärker er sich darauf konzentrierte, desto deutlicher hörte der Druide Hammerschläge und andere Arbeitsgeräusche. Hohe nörgelnde Stimmen mischten sich dazwischen.
Malfurion wurde neugierig. In seiner Traumgestalt flog er durch den meterdicken Fels. Die Geräusche hallten durch den Berg. Sie wurden immer lauter, schienen zu einer gewaltigen Schmiede im Berginneren zu gehören.
Die Felsen verschwanden und offenbarten Malfurion eine Höhle, gegen die die Lavagruben fast anheimelnd wirkten.
Goblins. Die kleinen Gestalten liefen überall umher. Einige arbeiteten an großen Becken und Öfen. Sie schütteten dampfendes flüssiges Metall in gewaltige rechteckige Formen. Andere schlugen mit Hämmern auf heiße Platten ein, die wie Teile der Rüstung eines Riesen wirkten. Weitere Goblins glätteten Metall. Während der Arbeit redeten sie aufgeregt miteinander. Egal, wohin Malfurion auch blickte, überall arbeiteten Goblins an den unterschiedlichsten Projekten. Ein paar hasteten in schmutzigen Lederschürzen durch die Höhle und koordinierten die Arbeiten. Gelegentlich trieben sie einen besonders faulen Goblins durch einen Schlag auf dessen grünen, mit spitzen Ohren versehenen Kopf an.