Выбрать главу

Ein furchtbarer Schrei hallte durch die Höhle.

Malfurion vergaß jeden Gedanken an die Dämonenseele. Er warf sich tief in die Wände hinein und flog einige Meter, bevor er es wagte, innezuhalten.

Er fühlte eine gewaltige, eine intensive Macht. Sie durchsuchte die Umgebung nach etwas, das nicht dorthin gehörte. Malfurion spürte, dass sie vom schwarzen Drachen ausging.

Neltharion musste gemerkt haben, dass etwas nicht stimmte. Allerdings war seine Suche unkoordiniert und breit gefächert, so als wisse er nicht, wonach er Ausschau hielt. Der Druide blieb erstarrt stehen, unschlüssig, ob er fliehen oder besser im Fels bleiben sollte.

Die magische Suche kam näher, verfehlte den Nachtelf jedoch. Malfurion entspannte sich, doch da tastete der Drache auch schon nach ihm.

Der Druide zog sich augenblicklich weiter zurück. Neltharion griff ins Leere. Der Drache hatte ihn erneut verfehlt.

Doch der Nachtelf wollte kein weiteres Risiko eingehen. Er wusste nun, wo sich die Scheibe befand. Der Erdwächter war zwar misstrauisch, ahnte aber wahrscheinlich nicht, dass ihm jemand gefolgt war.

Malfurion zog sich aus der Höhle und den Bergen zurück. Er suchte nach der unvollendeten Welt im Smaragdtraum. Erst als er sie betreten hatte, fühlte er sich einigermaßen sicher.

Dieses Gefühl verschwand jedoch, als er die übermächtige Präsenz Neltharions spürte.

Der Drache kannte die Ebenen des Traumreichs.

Der Nachtelf konzentrierte sich verzweifelt und zwang sich, an seinen sterblichen Körper zu denken. Er stellte sich vor, wie er in ihn zurückkehrte, während der Erdwächter bereits nach ihm griff …

Er glaubte schon, in die Klauen des wahnsinnigen Drachen geraten zu sein, als er endlich erwachte.

»Er zittert«, stieß Rhonin zur Linken des Nachtelfs hervor. »Und er ist schweißnass.«

»Malfurion!« Krasus’ Gesicht tauchte vor dem Druiden auf. »Was fehlt dir? Rede.«

»Ich … mir geht es gut.« Er machte eine Pause, um zu Atem zu kommen. »Neltharion … er hätte mich beinahe bemerkt, aber ich konnte ihm entkommen.«

»Du hast bereits nach ihm gesucht? Das solltest du nicht!«

»Die Gelegenheit … ergab sich …«

»Jetzt ist er gewarnt«, murmelte Rhonin.

»Vielleicht auch nicht«, antwortete der ehemalige Lehrer des Zauberers. »Wahrscheinlich wird er die Störung den vielen Schatten zuschreiben, die er um sich herum sieht.« An Malfurion gewandt fragte der Magier: »Hast du die Dämonenseele gefunden?«

»Ja, ich weiß, wo … sie ist«, erklärte der Druide mühsam. Er sah Neltharion noch vor sich. Das verzerrte Drachengesicht jagte ihm einen Schauer über den Rücken. »Aber ich glaube nicht, dass wir sie ihm abnehmen können.«

»Aber das müssen wir«, sagte Krasus ruhig. »Das müssen wir … ganz gleich, welchen Preis wir dafür zahlen.«

5

Sanfte Hände berührten und wuschen sein verbranntes Fleisch. Um ihn her roch es nach Lilien und anderen Blumen. Illidan regte sich. Er stieg aus dem Koma auf, in das er sich selbst versetzt hatte, um seinen Qualen zu entkommen. Der Schmerz war nicht mehr so stark wie am Anfang, aber Malfurions Bruder bezweifelte, dass er je ganz vergehen würde.

Als sein Bewusstsein zurückkehrte, begann seine Welt plötzlich in wilden Farben aufzuleuchten. Der Zauberer stöhnte auf und versuchte seine fehlenden Augen zu bedecken. Doch über den leeren Höhlen gab es noch nicht einmal mehr Lider. Die pulsierenden Energien und ständig wechselnden Farben drohten, ihn in den Wahnsinn zu treiben.

Das also war Sargeras’ Geschenk: eine dämonische, magische Ansicht der Welt.

Illidan Stormrage erinnerte sich an die Worte Rhonins, des menschlichen Magiers. Konzentriere dich, hatte der mächtige Zauberer immer wieder betont. Konzentriere dich, und alles wird Sinn ergeben. Das ist der Schlüssel …

Illidan wehrte sich gegen den Schock, der auf ihm lastete und versuchte dem Rat seines Mentors zu folgen. Anfangs erschien es ihm unmöglich, denn das Chaos war so groß, dass ein Sterblicher es nicht zu kontrollieren vermochte.

Doch mit der gleichen Beharrlichkeit, die ihm schon den rasanten Aufstieg innerhalb der Mondgarde beschert hatte, erzwang Illidan Ordnung. Die Farben flossen zusammen, die Energien pulsierten rhythmisch und zielgerichtet. Schemen begannen sich aus den natürlichen Kräften zu bilden, die alle Dinge, ob lebendig oder nicht, durchflossen.

Er bemerkte jetzt, dass er auf einem Diwan lag, dessen Stoff so glatt und fein war, dass er auf ihn beinahe sinnlich wirkte. Neben ihm standen zwei Frauen, auch das erkannte Illidan erst jetzt. Er musste sich konzentrieren, um weitere Einzelheiten wahrzunehmen. Es waren Nachtelfen, junge, hübsche Nachtelfen, in prächtige Gewänder gehüllt.

Er konzentrierte sich auf die Elfe, die ihn gewaschen hatte. Er spürte die silberne Farbe ihres Haars – Silber, das nicht natürlich war – und die katzenhafte Form ihrer Augen. Seine Wahrnehmung war schärfer als jemals zuvor. Er bemerkte sogar die winzigen Farbunterschiede in den einzelnen Haarsträhnen. Er spürte die Macht, die von jeder der drei Hochgeborenen ausging – und wusste auch, dass diejenige von ihnen, die seine Wunden säuberte, bei weitem die Mächtigste war. Doch verglichen mit seinen eigenen, waren ihre Fähigkeiten geradezu lächerlich gering.

Die oberste Zofe erholte sich als Erste von ihrer Überraschung. Sie legte das feuchte Tuch beiseite und griff nach etwas, das Illidan durch die wirbelnden Energien als bernsteinfarbenen Seidenschal identifizierte.

Bernstein – die Farbe seiner nun fehlenden Augen.

»Dies ist für dich, Lord Zauberer.«

Er verstand sofort, wofür der Schal sein sollte. Seine verbesserte Wahrnehmung hatte ihn für einen Moment vergessen lassen, wie er auf andere wirken musste. Er verneigte sich ansatzweise, so wie er sich früher vor Lord Ravencrest verbeugt hatte, und nahm den Schal entgegen. Dann wickelte er ihn sich um den Kopf, sodass er die Augenhöhlen bedeckte. Es überraschte ihn nicht, dass der Stoff seine Fähigkeiten nicht beeinflusste.

»Schon viel besser«, murmelte die Frau. »Du musst gut aussehen für unsere Königin …«

»Danke, Vashj«, sagte Azsharas Stimme plötzlich. »Du und die anderen dürft euch jetzt zurückziehen.«

Vashj schloss den Mund, dann verbeugte sie sich und verließ mit den übrigen Zofen den Raum.

Illidan hielt den Atem an, als er seine Sinne auf die Königin richtete. Eine helle Aura umgab sie, ein silbernes Licht, das die Macht widerspiegelte, die sie besaß. Illidan hätte geblinzelt, wenn es ihm noch möglich gewesen wäre. Sein Volk hatte Azshara zwar verehrt, doch manche – unter anderem auch er – waren davon ausgegangen, dass ihre Kenntnisse der magischen Künste gering seien. Er hatte stets geglaubt, dass ihre Zauber nur durch die Macht der Hochgeborenen ermöglicht wurden. Illidan fragte sich, ob der verstorbene Lord Xavius oder der noch lebende Captain Varo’then ahnten oder geahnt hatten, wie mächtig ihre Herrin in Wahrheit war.

»Euer Majestät.« Der Zauberer erhob sich von der Liege und kniete nieder.

»Bitte … erhebe dich. Bei einem privaten Gespräch sind solche Förmlichkeiten unnötig.« Sie bewegte sich auf ihn zu, ohne dass Illidan erkennen konnte, wie sie das tat. Dann führte sie ihn zum Diwan zurück. »Hier werden wir es bequemer haben, mein lieber Zauberer.«

Sie setzten sich. Azshara schmiegte sich an Malfurions Zwilling. Ihre Berührung entflammte seine Seele. Ihre Gegenwart hypnotisierte ihn beinahe.

Hypnotisierte? Illidan betrachtete sie genauer.

Die Aura, die Azshara umgab, leuchtete so hell, dass sie sogar seine eigene berührte. Dass Illidan dies erst jetzt bemerkte, verriet, wie sehr die Königin auf ihn einwirkte.

Trotz der Erkenntnis konnte er sich ihrem Einfluss kaum entziehen.

»Du hast mich sehr beeindruckt, Illidan Stormrage. Du bist so klug und mächtig. Sogar Lord Sargeras hat das erkannt, sonst hätte er dir wohl nicht ein so wertvolles Geschenk gemacht.« Ihr langen, schlanken Finger glitten über den Schal. »Und doch ist es eine Schande, dass du diese schönen bernsteinfarbenen Augen aufgeben musstest. Ich kann mir vorstellen, wie schmerzvoll es war …«