Er hatte einen Adligen beleidigt.
Doch der Reiter schien es ihm nicht übel zu nehmen, denn er nickte nur entschuldigend und schloss den Mund. Jarod versuchte seine Überraschung zu verbergen, indem er sich wieder den Schwestern zuwandte.
Maiev schwitzte. Die zweite Priesterin zitterte. Rhonins Körper hatte sich noch mehr verkrampft, und seine ohnehin helle Haut war so weiß wie der Mond.
Der Zauberer richtete sich plötzlich auf. Sein Mund öffnete sich zu einem stummen Schrei, dann blinzelte Rhonin zum ersten Mal seit seiner Bewusstlosigkeit.
Der Mensch stöhnte. Er wäre gegen den Felsen gerutscht und hätte sich vielleicht verletzt, wenn der Captain ihn nicht gestützt hätte.
Seufzend schloss der Magier die Augen. Sein Atem ging gleichmäßig.
»Ist er …«
»Der Dämon hat seine Macht über ihn verloren, Bruder«, antwortete Maiev mit zitternder Stimme. »Er wird sich jetzt ausruhen, so lange es sein muss.« Sie stand auf. »Es war ein harter Kampf, aber Elune hat Großmut bewiesen.«
»Danke.«
Seine Schwester sah ihn erneut seltsam an. »Gerade du schuldest mir keinen Dank. Komm, Jia. Wir müssen noch vielen anderen helfen.«
Jarod sah Maiev einen Moment lang nach, dann wandte er sich an den Adligen. »Vergebt mir, Milord, aber …«
Der Reiter wischte seine Worte mit einer Geste beiseite. »Meine Sorgen können warten. Ich habe nicht bemerkt, dass es um den fremden Magier ging. Ich bin Lord Blackforest. Ich kenne dich, oder?«
»Jarod Shadowsong, Milord.«
»Nun, Commander Shadowsong, ich bin sehr froh, dass du nicht mit Lord Stareye und den anderen gefallen bist. Man sagt, du hättest bis zum Schluss versucht, ihn zu retten.«
»Milord …«
Blackforest ignorierte den Einwurf. »Ich sammle die Offiziere. Stareyes Strategien waren unzureichend, möge Mutter Mond mir meine Respektlosigkeit gegenüber einem Verstorbenen vergeben. Uns muss etwas Besseres einfallen – wenn wir überleben wollen. Du wirst natürlich da sein, um uns anzuleiten, nehme ich an.«
Jarod fehlten die Worte. Er nickte instinktiv und ohne nachzudenken. Der Adlige las aus der Geste offenbar Zustimmung, denn er nickte dankbar zurück.
»Mit deiner Erlaubnis werde ich das Treffen in meinem Zelt ausrichten und meine Suche fortsetzen.« Blackforest nickte ein weiteres Mal, dann wendete er sein Tier und ritt davon.
»Du hast es wohl inzwischen zu was gebracht«, sagte eine raue Stimme.
Er drehte sich um. Rhonin hatte das Bewusstsein wiedererlangt. Der Zauberer wirkte immer noch blass, aber deutlich gesünder. Jarod nahm eine Wasserflasche aus einem Sack und reichte sie ihm. Rhonin trank gierig.
»Ich hatte Angst, der Zauber könne deinen Geist in Mitleidenschaft gezogen haben. Wie geht es dir, Meister Rhonin?«
»Als würde sich ein Regiment von Höllenkreaturen von innen gegen meinen Schädel werfen … und das heißt, dass es mir besser geht.« Der Mensch richtete sich auf. »Ich nehme an, es gab ein paar Probleme während meiner Abwesenheit.«
Der Captain berichtete alles, fasste sich aber kurz und spielte seine eigene Rolle herunter. Trotzdem sah der Zauberer ihn bewundernd an.
»Krasus hat dich also richtig eingeschätzt. Du hast nicht nur uns gerettet, sondern wahrscheinlich die ganze Welt … zumindest für den Augenblick.«
Die Wangen des Nachtelfen färbten sich dunkel. Er schüttelte vehement den Kopf. »Ich bin kein Anführer, Meister Rhonin. Ich wollte nur überleben.«
»Na ja, nett, dass du allen anderen auch beim Überleben geholfen hast. Stareye ist also tot. Das tut mir Leid für ihn, aber nicht für die Armee. Freut mich, dass einige Adlige ihren Verstand wiedergefunden haben. Vielleicht gibt es doch noch Hoffnung.«
»Du glaubst doch nicht etwa, dass ich mich mit ihnen treffen werde?« Jarod stellte sich vor, wie Blackforest und die anderen ihn umringten und anstarrten. »Ich bin nur ein Wachoffizier aus Suramar.«
»Jetzt nicht mehr …« Der Zauberer wollte aufstehen, benötigte aber Jarods Hilfe. Er streckte sich und sah dem Nachtelf in die Augen. »Nein, jetzt nicht mehr.«
Korialstrasz war noch nicht so geduldig wie sein älteres Ich, und so begann er nach einer Weile nervös zu werden. Der rote Drache wusste, dass einige Zeit bis zur Rückkehr der Gruppe vergehen würde – wenn sie überhaupt zurückkehrte –, und obwohl er versuchte, währenddessen seinen Frieden zu finden, gelang ihm das nicht. So viele Gedanken spukten durch seinen Kopf. Alexstrasza, die Brennende Legion, Krasus’ Anwesenheit … und so weiter. Er erinnerte sich auch nur zu gut an seine Niederlage gegen Neltharion. Jetzt näherte sich sein anderes Ich dem Nest des wahnsinnigen Drachen. Er befürchtete, dass auch Krasus der Dämonenseele zum Opfer fallen würde.
Frustriert begann der rote Riese, mit einer Klaue am Berg zu kratzen. Felsen, die für den Drachen so groß wie Kieselsteine waren, donnerten ins Tal. Doch nach einer Stunde lenkte auch das Korialstrasz nicht mehr ab. Nervös betrachtete er den dunklen Himmel. Er begann sich zu fragen, ob er es nicht doch wagen sollte, sich nur für ein paar Minuten in die Lüfte zu erheben.
Ein dumpfes Brüllen hallte durch das Gebirge.
Korialstrasz kletterte von dem Stein, auf dem er gehockt hatte und presste seinen gewaltigen Körper gegen eine Felswand. Er blickte nach oben und suchte nach dem Ursprung des Lautes.
Eine dunkle Gestalt flog über ihn hinweg. Es war ein kleiner schwarzer Drache. Er flog so langsam, dass es sich um einen Wächter handeln musste.
Korialstrasz zischte leise. Wäre der andere nur auf seinem Weg zu einem bestimmten Ziel gewesen, hätte es keinen Anlass zur Sorge gegeben. Doch der Schwarze patrouillierte ausgerechnet über diesem Gebiet. Das hieß, er stellte eine Gefahr dar.
Trotzdem wusste er nicht, ob er am Boden bleiben oder sich dem Wächter stellen sollte. Wenn die anderen noch nicht entdeckt worden waren, brachte ein Angriff sie nur unnötig in Gefahr. Vielleicht entkam der Wächter und warnte seinen Herrn. Andererseits fand er Krasus und seine Begleiter vielleicht, wenn Korialstrasz nichts unternahm.
Der rote Drache presste sich so fest er konnte gegen den Berg, während er über seiner Entscheidung grübelte. Er musste sich beeilen. Der Schwarze würde bald verschwunden sein.
Der Fels unter seinen Klauen gab nach, dann stürzte die gesamte Felswand ein. Korialstrasz verlor das Gleichgewicht und rutschte dem Tal entgegen. Instinktiv breitete er die Flügel aus und richtete sich auf. So entging er der gewaltigen Lawine, die er ausgelöst hatte. Er schüttelte den Kopf und versuchte Ordnung in seine Gedanken zu bringen.
Ein ohrenbetäubendes Brüllen war die einzige Warnung, die er erhielt. Dann griff ihn der schwarze Drache auch schon von hinten an.
Korialstrasz’ Gegner war zwar etwas kleiner, doch die Wut seines Angriffs machte den Größenunterschied wett. Der Rote wurde ins Tal geschleudert. Sein linker Flügel strich schmerzhaft über den Fels.
Korialstrasz streckte seinen Vorderlauf aus und krallte sich in einen der Gipfel. Sein Schwung riss tonnenschwere Felsen aus dem Berg, bremste seinen Sturz jedoch leicht ab. Er ließ sich zur Seite fallen. Der schwarze Drache wurde von der Bewegung überrascht.
Der Drache taumelte an Korialstrasz vorbei, der sich im gleichen Moment aufrichtete. Er versuchte sich in die Luft zu erheben, aber sein Angreifer grub eine Klaue in seinen Rücken. Das zusätzliche Gewicht riss ihn dem Tal entgegen, aber Korialstrasz gab nicht auf.
Er flatterte so schnell er konnte und drehte sich in der Luft. Mit dem Schwanz schmetterte er den Schwarzen gegen einen Gipfel.
Der Drache schlug ein wie ein Geschoss. Felsen donnerten nach unten. Seine Klauen ließen den roten Drachen los, rissen ihm aber ein paar Schuppen aus dem Fleisch. Korialstrasz brüllte vor Schmerz. Blut lief über sein Bein.
Einen Moment lang vergaßen beide Drachen den Kampf, in den sie verwickelt waren und konzentrierten sich auf ihre Verletzungen. Plötzlich schlug der Schwarze nach Korialstrasz’ Hals. Der aber hob einen Flügel und wehrte den Angriff ab. Dann drosch er selbst los.