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Tyrande hatte bisher jede Nahrung verweigert, schließlich wusste sie, dass Lady Vashj ihren Tod wollte. Doch langsam wirkte sogar die kalte, undefinierbare Masse, die in dem Napf lag, appetitlich. Ein einziger Bissen hätte der Priesterin gereicht, um ihre Stärke für einen weiteren Tag aufrecht zu erhalten, ein ganzer Napf hätte ihr eine Woche, vielleicht sogar länger genügt.

Aber sie konnte nicht ohne fremde Hilfe essen, und fragen wollte sie nicht. Das wäre ein Anzeichen von Schwäche gewesen, das die Dämonen sicherlich ausgenutzt hätten.

Jemand schloss die Tür auf. Tyrande wandte den Blick rasch vom Napf ab, um sich nichts von ihrem zunehmenden Hunger anmerken zu lassen.

Ein grimmig aussehender Wächter zog die Tür auf. Hindurch trat ein Hochgeborener, den die Gefangene noch nie gesehen hatte. Seine bunte Robe wirkte kostbar, und es war ihm offensichtlich klar, dass er gut aussah. Im Gegensatz zu den meisten seiner Kaste war er athletisch gebaut. Noch auffälliger war jedoch seine blass-violette Haut und sein Haar – braun mit goldenen Strähnen. So etwas hatte Tyrande noch nie gesehen. Doch wie alle Hochgeborenen blickte auch er die Wache herablassend an.

»Lass uns allein.«

Der Soldat befolgte den Befehl ohne Zögern. Er schloss die Tür ab und verließ den Trakt.

»Heilige Priesterin«, sagte der Hochgeborene. Von seiner herablassenden Art war plötzlich kaum noch etwas zu spüren. »Du könntest diese Situation für dich erleichtern.«

»Mutter Mond gibt mir all die Erleichterung, die ich benötige. Ich wünsche und brauche nicht mehr.«

Sein Gesichtsausdruck veränderte sich kaum merklich, doch Tyrande glaubte Bedauern darin zu erkennen. Sie ließ sich ihre Überraschung nicht anmerken. Sie hatte geglaubt, die Hochgeborenen seien Sklaven des Dämonenlords und ihrer Königin, doch dieser Nachtelf widersprach diesem Verdacht.

»Priesterin …«, begann er.

»Du kannst mich Tyrande nennen«, unterbrach sie ihn, in der Hoffnung, er würde sich vielleicht öffnen. »Tyrande Whisperwind.«

»Mistress Tyrande, ich bin Dath’Remar Sunstrider«, entgegnete der Hochgeborene mit gewissem Stolz. »Wir dienen dem Thron seit zwanzig Generationen.«

»Eine noble Ahnenreihe. Das ist ein Grund, stolz zu sein.«

»Und das bin ich.« Doch als Dath’Remar diese Worte aussprach, zog ein Schatten über sein Gesicht. »So wie ich es sein sollte«, fügte er dann hinzu.

Tyrande spürte, dass Dath’Remar etwas von ihr wollte. »Die Hochgeborenen haben dem Reich stets gedient und über das Volk und den Brunnen gewacht. Ich bin sicher, dass deine Ahnen keinen Fehler in deinem Handeln sehen würden.«

Der Schatten strich erneut über sein Gesicht. Dath’Remar sah sich um. »Ich bin hier, um dich zu bitten, etwas zu essen.« Er hob den Napf vom Boden auf. »Ich würde dir gern mehr anbieten, aber das erlauben sie nicht.«

»Danke, Dath’Remar, aber ich bin nicht hungrig.«

»Die Nahrung enthält keine Drogen und auch kein Gift, Mistress Tyrande, auch wenn einige dies gerne sähen. Das kann ich dir versichern.« Der gut aussehende Hochgeborene nahm den Löffel und aß ein wenig von der braunen Masse. Dann verzog er das Gesicht. »Was ich dir nicht versichern kann, ist, dass es schmecken wird … und dafür entschuldige ich mich. Du verdienst etwas Besseres.«

Sie dachte einen Moment lang darüber nach, dann ließ sie sich auf das Risiko ein. »Nun gut, ich werde etwas essen.«

Die Sphäre reagierte auf ihre Worte und senkte sich. Dath’Remar nahm seinen Blick nicht von der Priesterin. Hätte ihr Herz nicht schon einem anderen gehört, hätte Tyrande den Hochgeborenen für höchst attraktiv gehalten. Er wirkte nicht so selbstgefällig wie die meisten seiner Kaste.

Dath’Remar führte den vollen Löffel zu Tyrande. Das Elfenbein und die Nahrung, die sich darauf befand, leuchteten leicht auf, als sie den grünen Schleier passierten, der die Priesterin umgab.

»Du musst dich ein wenig vorbeugen«, sagte er. »Die Sphäre lässt meine Hand nicht durch.«

Die Priesterin folgte der Anweisung. Dath’Remar hatte nicht untertrieben, als er sich über den Geschmack des Eintopfes beschwerte, aber Tyrande freute sich innerlich trotzdem über die Nahrung. Ihr Hunger schien auf einmal um das Zehnfache zuzunehmen, doch das verbarg sie vor dem Hochgeborenen. Er hatte vielleicht Mitleid mit ihr, doch er diente dem Dämonenlord und Azshara.

Nach dem zweiten Löffel sprach er erneut. »Du musst nur aufhören, dich zu widersetzen, dann wird alles einfacher für dich. Wenn nicht, werden sie irgendwann genug von dir haben. Sollte dies geschehen, müsstest du um dein Leben bangen.«

»Ich muss dem Weg folgen, den Mutter Mond für mich vorgesehen hat, aber ich danke dir für deine ehrliche Sorge, Dath’Remar. Das ist ein Quell der Wärme in diesem Palast.«

Er legte den Kopf schräg. »Es gibt andere, die so denken, aber wir halten uns ruhig und schweigen.«

Tyrande betrachtete ihn nachdenklich und beschloss nachzuhaken. »Aber deine Loyalität zur Königin steht außer Frage.«

Der hoch gewachsene Nachtelf wirkte beleidigt. »Selbstverständlich!« Leiser fügte er hinzu: »Wir fürchten jedoch, dass sie nicht mehr sie selbst ist. Sie hört nicht mehr auf uns, die den Brunnen so gut wie niemand sonst kennen, sondern nur noch auf Fremde. Wir mussten all unser Wirken einstellen, damit der Herr der Legion in diese Welt geholt werden kann. Und wir wollten doch so viel erreichen! Ich …«

Er unterbrach sich, als er seinen eigenen Tonfall bemerkte. Grimmig und schweigsam fütterte Dath’Remar Tyrande. Sie sagte nichts über seinen Ausbruch, aber sie hatte genug gesehen. Der Hochgeborene war nicht nur wegen ihr hierher gekommen. Dath’Remar hatte eine Beichte ablegen wollen, um seine Seele zu erleichtern.

Der Napf war schnell geleert. Dath’Remar wollte ihn zur Seite stellen, aber die Priesterin, die ihn noch nicht gehen lassen wollte, fragte: »Könnte ich auch etwas Wasser bekommen?«

Der Wasserschlauch lag unangetastet direkt neben dem Napf. Tyrande hatte ihn nie benutzt. Dath’Remar griff sofort nach ihm, wollte die Begegnung offenbar ebenso wenig beenden wie sie. Er öffnete das eine Ende und hielt es Tyrande entgegen. Doch die Barriere ließ nicht zu, dass ihre Lippen den Schlauch berührten.

»Vergib mir«, murmelte er. »Ich vergaß.«

Der Hochgeborene schüttete Wasser in den Napf und fütterte die Priesterin mit dem Löffel, so wie er es bei dem Eintopf getan hatte. Tyrande wartete einen Moment, dann wagte sie einen erneuten Vorstoß.

»Es muss seltsam sein, neben den Satyrn zu arbeiten, die einst waren wie wir. Ich muss gestehen, dass ihr Anblick mich ein wenig verstört.«

»Sie sind die Glücklichen, die von Sargeras erwählt wurden, um ihm noch besser dienen zu können.« Die Antwort kam schnell und emotionslos. Die Priesterin hatte den Eindruck, dass er sie schon oft wiederholt hatte … vielleicht sogar vor sich selbst.

»Und du wurdest nicht erwählt?«

Sein Blick wurde hart. »Ich lehnte ab, obwohl das Angebot … verlockend war. Ich diene in erster Linie dem Thron und meiner Königin. Ich wünsche nicht zu einem dieser … zu einem von ihnen zu werden.«

Er legte Napf und Löffel zur Seite. Tyrande biss sich auf die Lippe. Sie befürchtete, dass sie ihn falsch eingeschätzt hatte. Aber eine andere Hoffnung blieb ihr nicht. Dath’Remar war ihre einzige Chance.

»Ich muss jetzt gehen«, sagte der Hochgeborene. »Ich bin schon zu lang geblieben.«

»Ich freue mich auf deinen nächsten Besuch.«

Er schüttelte heftig den Kopf. »Es wird keinen weiteren geben. Ich werde nicht zurückkehren.«

Dath’Remar drehte sich auf dem Absatz um, doch bevor er zur Tür gehen konnte, flüsterte die Priesterin: »Ich bin das Ohr von Elune, Dath’Remar. Wenn du jemals etwas sagen möchtest, werde ich dir zuhören. Alles bleibt bei mir. Kein anderer wird davon erfahren.«