Jarod stieg auf den erstbesten Nachtsäbler und ritt davon. Er war noch nicht ganz in der Entfernung verschwunden, als die Drachen bereits mit ihrem Angriff begannen.
Die Roten öffneten die Mäuler und entfesselten ein Inferno. Feuer hüllte die ersten Reihen der Krieger ein. Hunderte Dämonen verbrannten in einem einzigen Sekundenbruchteil zu Asche.
Die Bronzedrachen flogen über die Dämonenreihen hinweg und zwangen die monströsen Krieger, sich rückwärts zu bewegen. Für sie hatte sich die Zeit umgedreht, jedoch nicht für jene, die hinter ihnen standen. Der gewaltige Zusammenstoß der Kriegsführenden brachte Chaos und Vernichtung über Archimondes Streitkräfte.
Einer der bronzenen Drachen fiel – sein Körper war so verdreht, dass er kaum noch zu erkennen war. Er war ein Opfer der Eredar und Nathrezim geworden, die versuchten, diesen unerwarteten Angriff aufzuhalten. Aber ihre Zauber wandten sich gegen sie selbst, als Yseras Clan über ihnen auftauchte. Mit geschlossenen Augen pflanzten die Grünen Alpträume in die Köpfe der Zauberer. Hexenmeister blickten einander an und sahen doch nur den Feind.
Dementsprechend reagierten sie auch. Eredar brachte Eredar um, und die Nathrezim schlossen sich dem Gemetzel an. Die Dämonen waren in den düsteren Tagträumen der grünen Drachen gefangen. Selbst Archimonde konnte sie daraus nicht befreien.
Weiter hinter dem Chaos stieg Alexstrasza aus dem Himmel herab und gesellte sich zu Krasus und den anderen. Ysera schien das Gleiche tun zu wollen, aber plötzlich und zur Überraschung aller, die sie kannten, öffneten sich ihre Augen und betrachteten das furchtbare Bild, das sich auf dem Schlachtfeld bot. Dunkle Jadeaugen richteten sich auf den Leichnam des weißen Hirsches.
Auf Malornes Leichnam.
Der Drache stieß einen Klagelaut aus – keinen Schrei, sondern ein herzzerreißendes Jammern – und flog zu der Stelle, wo der weiße Hirsch lag. Die Dämonen, die sich noch in der Nähe aufhielten, wurden von ihrer Wut hinweg gefegt. Ysera warf einige durch die Luft, zerquetschte andere und wehte den Rest mit einem Flügelschlag von dannen.
Als es niemanden mehr gab, an dem sie ihre Wut hätte auslassen können, landete die Herrin der Träume neben dem Hirsch und legte ihr Kinn auf seinen Kopf. Ihr Körper zitterte, so heftig schluchzte sie.
»Wir wussten, dass wir spät kommen würden«, sagte Alexstrasza, während sie den anderen Aspekt mitfühlend betrachtete. »Aber nicht, dass es so spät sein sollte.«
»Cenarius lebt«, erklärte Krasus. »Das sollte ihr jemand sagen.«
Die Königin des Lebens nickte und schloss einen Moment lang die Augen. Nur Sekunden später hob Ysera den Kopf und sah zu ihr herüber. Die stumme Unterhaltung dauerte nicht lange, dann verließ Ysera Malornes Leichnam.
Die anderen wichen zurück, als sie neben dem bewusstlosen Cenarius landete. Mit bemerkenswerter Sanftheit nahm sie den reglosen Waldgott in die Arme.
»Ich werde ihnen solche Alpträume schicken, dass ihre Herzen – sollten sie welche besitzen – explodieren«, zischte sie. »Ich werde ihnen Dämonen schicken, die sie in den Wahnsinn treiben, bis sie sich den Tod wünschen … aber ich werde sie nicht aufwachen lassen und ihnen diese Gnade nicht gewähren.«
Sie wollte weiter sprechen, aber Krasus wagte es, sie zu unterbrechen. »Die Legion hat jede Strafe verdient, die du ihren Kriegern angedeihen lassen willst, aber vergiss nicht, dass das Schicksal Kalimdors, für das Malorne und Cenarius gekämpft haben, immer noch unentschieden ist. Sargeras versucht, in die Welt der Sterblichen zu gelangen … und die Drei wollen den Dämonenlord manipulieren, um ihre eigene Flucht zu ermöglichen.«
»Dessen sind wir uns bewusst«, antwortete Alexstrasza, bevor die trauernde Ysera ihrer Wut erneut Luft machen konnte. »Was sollen wir tun?«
»Der Kampf muss hier weitergehen … aber wir müssen ihn gleichzeitig nach Zin-Azshari und zum Brunnen tragen. Dazu werden wir Drachen und Sterbliche benötigen, denn dort warten viele Gefahren.«
»Was hast du vor?« Ysera wollte etwas einwerfen, aber Alexstrasza verstand die Dringlichkeit der Aufgabe und schmetterte die Unterbrechung ab. »Du kennst ihn!«, fuhr sie ihre Schwester an. »Du musst doch nur in ihn blicken, dann weißt du, dass wir ihm zuhören müssen.«
Der grüne Drache neigte den Kopf. »So lange die Dämonen leiden …«
»Wir werden alle leiden«, fuhr der Magier fort, »wenn wir nicht verhindern, dass das Portal stabilisiert wird.« Er blickte in die Richtung des weit entfernten Zin-Azshari. »Und wenn ich Recht habe, ist dieser Moment nicht mehr fern.«
Sargeras spürte Archimondes versteckte Verzweiflung. Der Dämonenlord war unzufrieden mit der Leistung seines Dieners, der ihm schon so lange treu diente und ihn noch nie zuvor enttäuscht hatte. Aber er würde ihn später bestrafen. Das Portal war beinahe vollendet. Sargeras fragte sich, warum er erst so spät auf diesen Plan gekommen war. Dabei war alles so simpel.
Letztendlich war es jedoch egal. Wichtig war nur, dass er Kalimdor schon sehr bald betreten würde, und wenn dies geschah, würden selbst alle Drachen dieser Welt seinen Sieg nicht mehr gefährden können …
Die Drei spürten, dass sie der Freiheit immer näher kamen. Welche Ironie, dass einer, der einst zu den verhassten Titanen gehört hatte, maßgeblich für ihre Befreiung verantwortlich sein würde. Viele Titanen waren damals nötig gewesen, um die Drei in ihr Gefängnis zu bannen. Einen einzigen würden sie nach ihrer triumphalen Rückkehr mit Leichtigkeit vernichten. Danach würden seine Dämonen ihnen dienen.
Das Portal wurde stärker. Der Zeitpunkt, da sie es übernehmen mussten, rückte näher. Wie amüsant, dass die winzigen Wesen, die gegen die Krieger des gefallenen Titanen kämpften, tatsächlich glaubten, die Scheibe zurückerobern zu können.
Die Drei spürten, dass sich die Drachen – die Hunde der Titanen – dem Brunnen näherten.
Ihnen stand eine tödliche Überraschung bevor.
16
Ein Orkan tobte über dem Brunnen. Er war so gewaltig, dass Malfurion ihn selbst aus der Entfernung spürte. Kein normaler Sturm, noch nicht einmal, wenn man ihn mit denen verglich, die gelegentlich über die mystischen Wasser zogen. Dieser Sturm hier rührte an Kräften, die nicht zur Welt der Sterblichen gehörten, Kräfte, die denen ähnelten, die auch die Brennende Legion hervorbrachte.
Die Brennende Legion … und etwas anderes.
Der Druide verstand nicht, wer oder was die Drei waren, obwohl er das uralte Böse gespürt hatte, das von ihnen ausging. Eigentlich wollte Malfurion auch nicht mehr über sie erfahren. Das, was seinen Geist in Deathwings Nest vergiftet hatte, war so böse gewesen, dass er eines sicher wusste: Diese Wesen durften Kalimdor niemals betreten – falls es überhaupt noch eine Möglichkeit gab, es zu verhindern.
Er sah sich um und betrachtete die letzte Hoffnung seiner Welt. Es handelte sich um ein Dutzend Drachen, an deren Spitze Alexstrasza und Ysera flogen. Ein weiblicher Leviathan, der den Bronzeclan repräsentierte, flog hinter ihnen. Es folgten drei Abgesandte eines jeden Clans. Sie alle waren Gefährten eines Aspekts, unter anderem auch von diesem Nozdormu, über den Krasus gesprochen hatte.
Der Magier ritt auf den Schultern der roten Königin. Er schien den Wind zu genießen, der ihm ins Gesicht wehte. Malfurion, der wusste, wer Krasus wirklich war, nahm an, dass der Magier sich vorstellte, wie es wohl wäre, gemeinsam mit den anderen Drachen durch die Lüfte zu eilen.
Brox saß auf der Anführerin des Bronzeclans und Rhonin auf einem Gefährten Alexstraszas. Der treueste Gefährte des roten Aspekts – Tyranastrasz – leitete den Kampf der Drachen gegen Archimonde. Abgesehen von dem verletzten Korialstrasz waren alle anderen Gefährten bei ihrer Königin. Malfurion hatte die Ehre, auf Ysera zu sitzen. Sie hatte sogar darauf bestanden, ihn zu tragen.
»Du bist Cenarius’ ganzer Stolz«, hatte sie dem Druiden gesagt. »Ich schulde dir diesen Flug für das, was du für ihn und Malorne tun wolltest.«