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Der Druide erkannte, dass sich ihr Blick auf seine Stirn gerichtet hatte. Er tastete danach und bemerkte, dass seine Hörner fast zehn Zentimeter länger geworden waren.

Ihm wuchs ein Geweih wie seinem Shan’do!

Doch bevor er über die Bedeutung dieser Tatsache nachdenken konnte, erhob sich ein Furcht einflößendes Brüllen über den Sturm hinweg.

Deathwing fiel aus den Wolken herab.

Der schwarze Drache warf sich ein weiteres Mal den undurchdringlichen Zaubern entgegen. Dort, wo keine Eisenplatten die Schuppen wappneten, strömte Lava aus seinem Körper. Seine Augen waren voller Wut. Er flog mit solcher Geschwindigkeit auf die Dämonenseele zu, dass Malfurion den Atem anhielt.

In der Nähe der Scheibe begann die Luft zu knistern. Gelbe und rote Lichtblitze zuckten über den Himmel und verrieten die Macht der Schutzzauber. Malfurion spürte neue Kräfte, die ihnen hinzugefügt worden waren, um sie zu stärken.

Deathwing prallte gegen den magischen Schild. Der Himmel um ihn herum explodierte in einem Energiegewitter. Es hätte den Aspekt verbrennen müssen, aber obwohl sein Fleisch und seine Schuppen brannten, kämpfte sich Deathwing weiter voran. Er brüllte den gewaltigen Kräften seinen Zorn entgegen. Sein Maul verzerrte sich zu einem wahnsinnigen, reptilienhaften Grinsen, das mit jedem Flügelschlag breiter wurde.

»Seine Besessenheit kennt keine Grenzen«, sagte Ysera beinahe bewundernd.

»Glaubt Ihr, dass er es schaffen wird?«

»Die wahre Frage ist … wollen wir, dass er es schafft?«

Schuppen lösten sich von dem verunstalteten Körper des Schwarzen. Die Blitze, die sich auf ihn richteten, brannten sich in ihn. Deathwing zuckte zwar gelegentlich zusammen, wurde jedoch nicht langsamer.

Ein roter Drache flog an Malfurion vorbei. Rhonin und Brox saßen darauf. »Krasus sagt, wir sollen uns bereit halten«, rief der Magier. Ein Zauberspruch verstärkte seine Stimme. »Er glaubt, dass es Deathwing gelingen könnte, die Scheibe zu erreichen. Dann müssen wir zuschlagen.«

»Deathwing«, murmelte Ysera. »Wie gut dieser Name nun auf ihn passt.« Sie richtete ihre Antwort an Rhonin: »Wir werden bereit sein.«

Wenn es so weit war, mussten sie sofort und koordiniert angreifen. Dieser Moment würde ihre einzige Chance sein … wenn sie auch nur wenig erfolgversprechender war als der Versuch, den Zauber zu überwinden. Dem Nachtelf gefiel das nicht, aber er würde alle Macht einsetzen, die Kalimdor ihm gewährte.

Er wusste, dass hier vielleicht alles enden würde. Unwillkürlich dachte er an Tyrande. Nicht an Illidan, sondern an Tyrande. Wie gerne hätte er ein letztes Mal mit ihr gesprochen und wie sehr hoffte er, dass sie überlebte, selbst wenn er an diesem Tag sterben sollte.

Malfurion?

Der Druide rutschte beinahe von Yseras Rücken. Einen Moment lang hielt er die Stimme in seinem Kopf für eine Illusion oder einen Trick der dunklen Mächte, gegen die sie kämpften. Doch dann erkannte er, dass es tatsächlich Tyrande war, die Kontakt zu ihm aufgenommen hatte.

Ihm fiel ein, dass sie das schon einmal getan hatte, damals, als es ihm nicht gelungen war, in seinen Körper zurückzukehren. Ihre Verbindung zu ihm musste stärker sein, als er für möglich gehalten hatte.

Er hatte den Gedanken noch nicht beendet, da spürte er, dass sie ihn gefunden hatte.

Malfurion!, wiederholte sie hoffnungsvoll. O Malfurion, du bist es wirklich.

Tyrande! Du lebst! Bist du … haben sie …

Die Priesterin beruhigte ihn. Mutter Mond hat mich beschützt, und die Hochgeborenen, die zu unserem Volk zurückkehren wollen, haben mir geholfen. Ich weiß, dass du getan hast, was du tun musstest, aber hör mir zu. Dein Bruder …

Mein Bruder … Im dem Moment, da sie Illidan erwähnte, spürte der Druide eine Präsenz neben Tyrande, die fast seiner eigenen glich. Sie waren sich so nah, dass sie einander berühren mussten.

Bruder …, begann Illidan.

Du! Etwas wallte in Malfurion auf. Er wusste, dass er es unterdrücken musste, trotzdem gelang es ihm nicht völlig.

Malfurion!, rief Tyrande warnend. Hör auf! Du bringst ihn ja um.

Er wusste nicht genau, was er Illidan gerade antat, aber er versuchte das, was er herausgelassen hatte, wieder einzusperren. Zu seiner Erleichterung erholte sich Illidan rasch wieder.

Hätte nicht … nicht gedacht, dass so etwas … in dir steckt, Bruder. Illidan klang so herablassend wie immer, aber in seinen Worten schwang Überraschung mit. Der Bruder, den er für schwach gehalten hatte, war in Wirklichkeit stark.

Du hast dich für einiges zu verantworten, Illidan!

Wenn wir überleben, werde ich mich meinen Anklägern stellen.

Er hatte Recht. Weshalb sollte man Illidan verdammen, wenn der Tod so nah war? Außerdem erkannte Malfurion, dass er dringend benötigte Kräfte an seinen Bruder verschwendete.

Er drängte die Gedanken an Illidan beiseite und berührte Tyrandes Geist. Geht es dir gut? Hat er dir etwas angetan?

Nichts, Malfurion. Das schwöre ich bei Elune. Aber wir halten uns in den Ruinen nahe des Brunnens versteckt und wagen es noch nicht einmal, einen Zauber zu sprechen. Die Krieger des Dämons Mannoroth sind überall. Ich glaube, sie ahnen, wo wir uns aufhalten … trotz Illidans Zaubern und meiner Gebete.

Er wollte zu ihr gehen, aber das war nicht möglich. Malfurion fluchte. Wenn es uns gelingt …

In diesem Moment stieß Deathwing einen furchtbaren Schrei aus. Die wilden Emotionen, die darin schwangen, unterbrachen die Verbindung zu Tyrande und Illidan und sorgten dafür, dass sich Malfurion wieder ganz auf den Drachen konzentrierte.

Er sah empor zu Deathwing, dessen Körper jenseits aller Vorstellungskraft entstellt war, der jedoch so besessen von seiner Mission war, dass keine Qual ihn aufhalten konnte. Einige der Platten, die an seinem Körper hingen, glühten, und viele seiner Schuppen fehlten. Darunter war rohes, aufgerissenes und brennendes Fleisch zum Vorschein gekommen. Die Schwingen des Drachen waren eingerissen, und es wunderte Malfurion, dass der Erdwächter überhaupt noch fliegen konnte. Deathwings Klauen waren abgebrochen, so als habe er an einer unzerstörbaren Mauer gekratzt.

Dann erst bemerkte Malfurion, wie nah der Schwarze seiner Scheibe gekommen war.

»Bei den Schöpfern!«, rief Ysera. »Nichts vermag ihn aufzuhalten!«

Der Druide nickte langsam und erkannte, welch schlechtes Omen diese Worte waren. Es sah so aus, als würde Deathwing jeden Moment das Unmögliche vollbringen … und deshalb mussten diejenigen, die ihm die Scheibe stehlen wollten, das Gleiche vollbringen.

Weg … weg …, drängten die Stimmen, die den Drachen einst in all seinem Tun bestärkt hatten. Jetzt hatten sie sich – wie alle anderen – als Verräter erwiesen. Es stimmte tatsächlich: Neltharion konnte nur noch sich selbst trauen.

»Ich werde sie bekommen. Die Seele gehört mir, niemandem sonst!«

Er spürte, wie wütend die Stimmen über seine Weigerung waren. Sie attackierten seinen Geist, während sie gleichzeitig und auf anderem Weg die Zauber der Brennenden Legion stärkten. Der schwarze Drache hatte noch nie so gelitten, aber das war ihm die Scheibe wert. Zentimeterweise kroch er ihr entgegen, gab nicht auf. Die Seele war so nah.

Weg …, wurden die Stimmen nicht müde zu wispern. Weg …

Abgesehen von ihrer Wut fiel Neltharion auch ihre wachsende Sorge … ja, sogar Angst auf. Die Stimmen sahen ebenfalls, wie nah er seiner Schöpfung war. Vielleicht wussten sie, dass sie zusammen mit allen anderen bestraft werden würden, wenn sie ihm in die Hände fiel.

Eine weitere Macht mischte sich in den Kampf ein. Der Dämonenlord verstärkte aus seinem Reich die Kräfte, die den Schutzzauber aufrecht erhielten. Neltharion schrie auf, als die Schmerzen, die bereits in seinem Körper wüteten, noch um ein Vielfaches anschwollen.