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Im Eulenhaus ging inzwischen auch so manche Veränderung vor sich. Heinemann hatte ausgezeichnete Geschäfte gemacht, und eines Tages hielt ein Wagen vor der Gartentür, und das, was Bienen- und Nonnenfleiß zusammengetragen, stieg aus der Nacht der Erdentiefe an Gottes freies Sonnenlicht und ging hinaus in die Welt, um der Menschheit dienstbar zu werden. Und als danach Heinemann eine hübsche Anzahl großer Banknoten auf den Tisch vor seiner jungen Herrin niederlegte, da meinte er mit seinem treuherzigen Augenblinzeln, nun dürfe man auch die Butter auf die Bemmchen zum Tee ein bißchen dicker streichen und ein größeres Stück Fleisch in den Kochtopf tun, von den neuen Vorhängen gar nicht zu reden, die doch nun angeschafft werden müßten, weil ja jetzt so viele Augen von der Straße her nach der guten Eckstube guckten.

Die drei kleinen Prinzen waren mit Gefolge und Dienerschaft zuerst nach dem Geroldshofe übergesiedelt, und der Weg an dem Eulenhaus hin mußte ihnen wohl ganz besonders gefallen; denn täglich kamen sie vorüber. Das war nun freilich eine unbezahlbare Augenweide für das strickende alte Mamsellchen am Eckfenster, dies junge fürstliche Blut, auf schmucken Ponnys dahertrabend; und fast ebenso schön war es, wenn die prachtvolle Kutsche aus Neuhaus in Sicht kam; die konnte man sich doch in aller Ruhe und Bequemlichkeit ansehen, denn sie fuhr langsam, ganz langsam. Im Rücksitz saß die schöne Frau von Berg und hatte das arme, kleine Gespenstchen, das hinterlassene Töchterchen der Prinzessin Katharina, auf dem Schöße, und Baron Lothar fuhr sein krankes Kind selber.

Heinemann dagegen war stets eifrig mit seinen Rosenbäumen beschäftigt, wenn der Wagen sichtbar wurde; dann hörte und sah er nicht und wendete der Straße beharrlich den Rücken, denn das korpulente Frauenzimmer, das sich da auf die Seidenkissen »hinprätzelte«, als sei sie die Prinzessin selber, war ihm ein Greuel. Hatte er doch mit eigenen Augen gesehen, daß sie, als seine Herrin im weißen »Sonntagskleide«, schön wie ein Engel, am Geländer droben gestanden, den Kopf so schnell weggedreht hatte, als sei ihr eine giftige Kröte in das dicke Milchgesicht gesprungen. Und hatte sie nicht gleich beim Vorüberkommen das liebe, alte Haus da im Garten mit dem Augenglas höhnisch beguckt und ihn, den alten Heinemann, von oben bis unten hochmütig gemessen, als solle und müsse er gleich auf der Stelle seinen alleruntertänigsten Kratzfuß vor ihr machen? Ja, da konnte sie warten!

Etwas ganz anderes war's freilich, wenn der Neuhäuser auf seinem schönen Fuchs dahergeritten kam. Da wurde die schönste Rose am Stock erbarmungslos abgeschnitten und dem Reiter, der sie stets in sein Knopfloch steckte, über den Zaun hingereicht. Und Heinemann bekannte ehrlich, er begreife seinen eigenen, alten Dickkopf nicht mehr; aber mit dem besten Willen könne er gar nicht mehr so erbost auf den Neuhäuser sein; er gucke ihm eigentlich für sein Leben gern in die feurigen, herrischen Soldatenaugen, wenn er so vom Pferd herunter über den Zaun weg mit ihm spreche.

Beate war auch schon einigemal im Eulenhaus gewesen. Sie kam stets zu Fuß und blieb auf ein Kaffeestündchen; und so verschlossen sie auch sonst war in bezug auf das, was ihre Seele bewegte, das gestand sie doch wiederholt ein, daß sie sich die ganze Woche auf diese Besuche freue. Dann saßen die beiden Pensionsschwestern bei einer Tasse Kaffee auf der »Zinne« und die kleine Elisabeth spielte und sprang um sie her. Und wenn auch Herr von Gerold sich nie entschließen konnte, hinabzugehen und den Besuch zu begrüßen – er schüttelte sich stets, wenn er an die Begegnung im Treppenhause des Geroldshofes dachte – so sah er doch von dem Fenster seiner Glockenstube aus, wie behaglich sich sein Kind auf Tante Beates Schoß schmiegte, wie es zärtlich die großen, braunen Hände streichelte und sich von ihnen ein Butterbrot streichen ließ. – Baron Lothar fuhr dann pünktlich gegen Abend vor, um die Schwester abzuholen. Heinemann mußte bei den Pferden bleiben, während der Neuhäuser die Damen auf der »Zinne« begrüßte und auch wohl in die Glockenstube hinaufstieg, um dem Einsiedler einen guten Abend zu bieten.

Nun waren die höchsten Herrschaften im Geroldshofe eingezogen, und die farbenleuchtende Flagge wehte hoch über dem First des Hauses. Die Dorfleute hatten am Wege gestanden und sich schier zu Tode gewundert über die Pracht und Herrlichkeit der vorbeisausenden herzoglichen Equipagen und »das Menschenvolk«, das in minder schönen Wagen nachkam. Da blieb doch gewiß kein Kämmerchen leer im Geroldshofe! Aber das Altensteiner Gutshaus war ein gewaltiger Bau; hatten doch alle Generationen an dem alten Stammsitz je nach Bedürfnis weitergebaut und verschönert. Seinem Umfang und den architektonischen Schönheiten nach konnte man ihm ohne Bedenken die Bezeichnung »Schloß« geben.

Die Nachmittagsonne lief schräg über seine imposante, von zwei achteckigen Türmen abgeschlossene Stirnseite und durch die hohen, weit offenen Fenster schlug die Luft, Nadelholzdüfte und kräftige Waldfeuchte im Atem, in das Haus herein – eine köstliche Luft! »Mein Gesundbrunnen! « sagte die junge Herzogin Elise inbrünstig mit ihrer leisen, belegten Stimme.

»Hier werde ich wieder dein flinkes Reh, deine muntere Liesel, gelt, Adalbert?« sagte die junge, fürstliche Frau und suchte mit zärtlichem Aufblick die Augen des schönen Mannes. Gewaltsam reckte und streckte sie die überschlanke Gestalt und mühte sich, strammen Schrittes neben ihm her zu gehen. Ja, so schattenhaft schmächtig und fahl sie auch da im weißen Hauskleide an dem deckenhohen Wandspiegel hinglitt, sie wurde hier schnell gesund, das Kraftgefühl kehrte zurück, das spitze, kleine Gesicht rundete sich und die Gestalt nahm jene zartschwellende Fülle und elastische Grazie wieder an, die man einst nymphenhaft genannt hatte! Nur zwei Monate hier in diesem kraftstrotzenden Waldodem, und alles war wieder gut!

Sie bewohnte die Zimmer des östlichen Flügels, an welche der nach dem Hofe gelegene Speisesaal stieß, und nur ein gemeinschaftliches Empfangszimmer trennte diese Gemächer von den westlich liegenden ihres Gemahls. Das letzte Zimmer der langen Flucht war sein Wohnzimmer, dessen eine Ecke in den Turmerker auslief.

Inmitten des Zimmers stand eine Treppenleiter. Der alte Friedrich, oder vielmehr der Kastellan Kern, wie er jetzt genannt wurde, hatte eine eben angekommene Ampel an die Decke gehangen und kletterte nun beim Eintreten der Herrschaften eiligst die Stufen herab.

Die Herzogin blieb unwillkürlich unter der Tür stehen.

»Ach, hier hat die arme schöne Spanierin gewohnt«, rief sie mit leise zitternder Stimme. »Und da ist sie wohl auch gestorben?« Sie heftete ihre großen, fieberisch glänzenden Augen ängstlich fragend auf das Gesicht des alten Mannes, der sich tief verbeugte.

Er schüttelte den Kopf. »Nein, Hoheit, hier nicht. Der gnädige Herr hatte ihr freilich das Zimmer malen lassen und es hat ein schweres Stück Geld gekostet, aber keine zwei Stunden hat sie es hier ausgehalten. Der Ökonomiehof ist zu nahe. Sie konnte keine Kuh brummen hören, und wenn ein Leiterwagen über das Pflaster rasselte und die Drescher in den Scheunen hantierten, da hielt sie sich die Ohren zu und lief durch alle Zimmer und Gänge, bis sie ein stilles Eckchen fand, wo sie sich hineindrücken konte wie ein junges, verscheuchtes Kätzchen. Ja, zur Gutsfrau paßte sie freilich nicht! Sie hat zuletzt im Gartenhause gewohnt, und wenn schön Wetter war, da wurde sie in seidenen Decken hinausgetragen und auf den Moosboden gelegt, da, wo die Waldbäume an den Garten stoßen. Ja, da war sie noch am liebsten in dem blassen Lande, wie sie unser gutes Thüringen nannte, und da ist sie auch an einem schönen Herbsttage eingeschlafen, ausgelöscht! Das Heimweh soll schuld gewesen sein.«

Die Herzogin trat tiefer in das Zimmer, und ihre Augen glitten über die Wandgemälde.