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»Das Heimweh!« wiederholte sie mit leisem Kopfschütteln. »Sie hätte nicht mit dem deutschen Manne gehen sollen, denn sie hat ihn nicht geliebt. Ich würde in der fernsten Eiswüste nicht an Heimweh sterben, wenn ich bei dir wäre!« flüsterte sie innig und sah dem hohen Manne an ihrer Seite abermals unter das gesenkte Gesicht, während sie mit ihm in den Turmerker trat.

Er lächelte freundlich auf sie nieder. Sie sank auf einen der kleinen, lehnenlosen, mit violettem Samt bezogenen Sessel und sah entzückt über das sich draußen hinbreitende Landschaftsbild.

»Ein köstlicher Blick!« sagte sie und faltete die kleinen, wachsbleichen Hände im Schöße. »Die Gerolds haben sich besser auf die Wahl ihres Stammsitzes verstanden, als unser Haus, Adalbert«, sagte sie nach einem augenblicklichen Schweigen. »In all unseren Schlössern und Landhäusern haben wir nicht einen einzigen Ausblick wie diesen hier. Wer hat diesen Flügel bewohnt?« fragte sie den Kastellan, der eben geräuschlos die Treppenleiter zusammenschob, um sie hinauszutragen.

»Solange ich hier im Geroldshofe gewesen bin, immer nur die Damen, Hoheit«, berichtete, indem er die Leiter wieder behutsam hinstellte, der alte Mann. »Zuerst die selige Frau Landkammerrätin, bis sie ins Eulenhaus gezogen ist, und nachher die Frau Oberstin. Und zwei Zimmer weiter«, er zeigte nach der Tür, die in den Seitenflügel führte, »da hat auch unser gnädiges Fräulein ihr Stübchen gehabt.«

»Ach, die schöne Klaudine?« rief die Herzogin in halb fragendem Ton.

»Zu dienen, Hoheit, Fräulein Klaudine von Gerold. In der Stube ist sie auch geboren. Ich weiß noch, wie es uns im weißen Wickelkissen gezeigt wurde, das Engelchen.«

»Mamas Liebling, hörst du, Adalbert?« sagte die Herzogin lächelnd nach ihrem Gemahl hin, der an eines der Fenster getreten war und wie in Gedanken verloren in die Ferne blickte.

»Der Schwan, wie ihr poetischer Bruder sie in seinen Gedichten nennt, das merkwürdige Mädchen, das vom Hofe weg in die Armut gegangen ist, um ihrem Bruder eine Stütze zu sein. – Eulenhaus heißt ja wohl der Waldwinkel, in welchem Fräulein von Gerold jetzt lebt?« fragte sie den Kastellan.

Der verbeugte sich: »Eigentlich Walpurgiszella, Hoheit. Aber ›mein Eulenhaus‹ hat die Frau Landkammerrätin gesagt, als sie zum erstenmal beim Mondenschein durch die Ruinen gegangen ist, und es hat von allen Seiten geschnurrt und geschnauft und geschrieen, als ob alle Winkel voll kleiner Kinder stäken. Und beim Eulenhaus ist's dann auch geblieben, wenn sich auch das Raubzeug nicht mehr so breitmachen darf. Im Turm, der von unten bis oben vollgesteckt hat, ist's ganz gemütlich. Ach ja, der Turm« – er strich sich unwillkürlich über sein glatt rasiertes Kinn – »von dem alten Gemäuer spricht seit ein paar Tagen die ganze Umgegend. Es ist ein Gemurmel und Geraune von einem großen Fund, den sie im Keller drunten gemacht haben sollen –«

»Ein Geldfund?« fragte der Herzog gespannt, indem er mit fester Hand den violetten Plüschvorhang zurückschob, um dem Kastellan in das Gesicht zu sehen.

Der alte Mann zuckte die Achseln. »Ob bare Münze? Ich glaub's kaum. Sie sprechen nur von einem unmenschlich großem Schatze, von Gold und Silber und Edelstein in Hülle und Fülle. Aber ich kenne meine Pappenheimer, ich kenne auch meinen guten Freund, den alten Heinemann, den Erzschalk, der packt denen, die ihn fragen, so viel auf, daß sie es nicht erschleppen können, und so ist vielleicht der ganze große Fund ein einziger Abendmahlskelch gewesen.«

Die großen, glänzenden Augen der Herzogin blickten staunend zu dem Alten hinüber.

»Einen Schatz?« fragte sie. Dann brach sie ab, und ihr Lächeln wich einem stolzen, kühlen Ausdruck. Unter dem Samtvorhang der gegenüberliegenden Tür war ein Herr erschienen, der näher tretend sich ehrfurchtsvoll verbeugte. Die junge Frau neigte kaum merklich das Haupt und wandte sich zum Fenster, um ihren feinen Mund zuckte es nervös. Des Herzogs Stimme aber klang wohlwollend durch den Raum.

»Nun, Palmer? Was haben Sie wieder unvorteilhaftes zu melden? Ist etwa der Schwamm in dem alten Gebälk, oder spuckt es in Ihren Zimmern?«

»Hoheit belieben zu scherzen«, erwiderte der Angeredete, »die Warnungen, die ich dem Kaufabschluß über Altenstein vorangehen ließ, gebot mir meine Pflicht als treuer Diener, und ich weiß, Hoheit haben mich nicht mißverstanden. Eben habe ich jedoch nur angenehmes melden wollen: Baron Lothar Gerold bittet um die Ehre, seinen hohen Gutsnachbar begrüßen zu dürfen.«

Die Herzogin wandte sich lebhaft um. »O, herzlich willkommen!« rief sie, und als nach ein paar Augenblicken Lothar in das Zimmer trat, streckte sie ihm die schmale Hand entgegen: »Mein lieber Baron, welch große Freude!«

Der Baron hatte diese Hand ergriffen und sie ehrfurchtsvoll an seine Lippen gedrückt. Dann, sich vor dem Herzog verbeugend, sprach er: »Hoheit gestatten, mich von meinen Reisen zurückzumelden. Ich denke mich jetzt wieder hier einzugewöhnen.«

»Es war die höchste Zeit, Vetter, Sie haben uns lange warten lassen«, erwiderte der Herzog und reichte dem stattlichen Manne die Rechte.

»Aber daß Sie allein kommen mußten, lieber Gerold!« rief die Herzogin, und abermals streckte sie ihm die Hand herüber und in ihren schönen heißen Augen funkelten plötzlich Tränen. »Arme Katharina!«

»Ich habe mein Kind mit heimbringen dürfen, Königliche Hoheit«, entgegnete er ernst.

»Ich weiß, Gerold, ich weiß! Aber ein Kind – es ist ein Kind und ersetzt nur zum Teil die Lebensgefährtin!«

Sie hatte es fast leidenschaftlich gesprochen, und ihre Augen suchten den Herzog, der an einem kostbar eingelegten Schränkchen lehnte und, als habe er nichts gehört, durch die Fenster hinausschaute auf die Lindenzweige, die sich im Nachmittagssonnenschein wiegten.

Eine Pause entstand. Langsam senkte das junge Weib die Wimpern, und über ihre Wangen rollten ein paar Tränen, die sie hastig abtrocknete. »Es muß so schwer sein, im vollsten Glück zu sterben«, sagte sie noch einmal.

Wiederum eine Pause. Die drei waren allein im Zimmer, der alte Kastellan hatte sich längst mit seiner Leiter hinausgeschlichen, und Palmer, des Herzogs Privatsekretär, ein großer, vielbeneideter Günstling des regierenden Herrn, stand im Nebenzimmer hinter einem Türvorhang, unbeweglich wie eine Statue.

»Übrigens, Baron Gerold«, nahm die Herzogin jetzt lebhaft wieder das Wort, »haben Sie auch die Wundermär gehört von den Kostbarkeiten, die im Eulenhaus gefunden sein sollen?«

»In der Tat, Hoheit, das alte Gemäuer hat seinen Schatz herausgegeben«, erwiderte sichtlich aufatmend Baron Lothar.

»Wahrhaftig?« fragte der Herzog ungläubig lächelnd. »Was ist es? Altargefäße – gemünztes Gold?«

»Nichts von klingendem Wert, Hoheit. Es ist Wachs, einfaches gelbes Wachs, welches die Nonnen dort vermauerten, als der Feind im Anzug war.«

»Wachs?« rief die Herzogin enttäuscht.

»Hoheit, es ist so gut wie bare Münze, echtes, unverfälschtes Wachs. Heutzutage –«

»Sahen Sie es?« unterbrach ihn der Herzog.

»Sicherlich, Hoheit! Ich beschaute mir den Fund an Ort und Stelle.«

»So ist das Tischtuch, das so lange zwischen den Altensteinern und Neuhäusern zerschnitten war, wieder zusammengeflickt?« klang es gelassen aus dem Munde des hohen Herrn.

»Hoheit, meine Schwester Beate und Klaudine von Gerold sind Freundinnen seit ihrer Kindheit«, erwiderte der Neuhäuser ebenso gelassen.

»Ah so!« Der Herzog hatte es noch einen Ton gleichgültiger gesprochen und schaute wieder zum Fenster hinaus.

»Aber wissen Sie, lieber Gerold, ich möchte diesen Wachsfund sehen!« rief die Herzogin.

»Dann müssen Hoheit sich beeilen, denn die Händler sind dahinter her, wie die Wespen hinter reifen Früchten.«

»Hörst du, Adalbert, wollen wir nicht hinüberfahren?«

»Morgen, übermorgen, Elise, wann du willst – nachdem wir uns vergewissert haben, daß wir dort nicht stören.«

»Stören? Klaudine stören? Ich denke, sie wird sich freuen, in ihrer Einsamkeit Menschen zu sehen. Bitte, Adalbert, gib Befehl, laß gleich fahren.«