Es versprach diese Sommerfrische nach allen Seiten hin eine ganz ungewöhnliche zu werden. Außer allem anderen war es auch schon höchst interessant, diese romantische Freundschaft Ihrer Hoheit zu der schönen Klaudine zu beobachten.
»Neulich hat man sie in ganz gleichen Kleidern gesehen«, berichtete Frau von Steinbrunn.
»Verzeihung! Das ist nicht der Fall. Die Herzogin trug rote Schleifen, Klaudine von Gerold blaue«, ereiferte sich ein junger Offizier in Zivil, der seinen Urlaub anstatt in Wiesbaden hier verlebte.
»Die Herzogin soll sie ja förmlich mit Schmuck und Kostbarkeiten überhäufen, sie sind den ganzen Tag beisammen, lesend, plaudernd und spazieren gehend, wahrscheinlich dichten sie auch miteinander. Prinzeß Helene hat vorgestern zu Isidore von Moorsleben gesagt, sie nennten sich >du
»Nicht möglich! Unglaublich!«
»Die Gerolds haben eigentümliches Glück!«
»Was sagt Seine Hoheit dazu?« fragte plötzlich die kecke Stimme eines jungen Diplomaten.
Die alte Exzellenz mit weißem Scheitel und würdevollem Gesicht am oberen Ende der Tafel räusperte sich vernehmlich und schüttelte mißbilligend das Haupt.
Man sah sich lächelnd und vielsagend in die Augen, trank schweigend seinen Wein aus, reichte längst zurückgewiesene Kompottschüsseln noch einmal herum, die weibliche Exzellenz begann nach einer Pause vom Wetter zu sprechen. Ein paar Gräfinnenmütter erfaßten mit einem Blick auf die Töchter begierig das neue Thema, »ob man es wagen dürfe, auf die hohe Warte zu steigen, einen der beliebtesten Aussichtspunkte der Umgegend?« – Und als die Tafel aufgehoben war, traten die älteren Damen zusammen und flüsterten und zuckten die Achseln und hielten die Taschentücher vor den Mund und lächelten dahinter.
Bis jetzt war es noch nicht gelungen, sich mit eigenen Augen zu überzeugen, denn bis zu diesem Augenblick hatten sämtliche um das Befinden der hohen Frau besorgte Herren und Damen sich damit begnügen müssen, ihre Namen in das Buch einzutragen, das in einem Saale zu ebener Erde des Altensteiner Schlosses auslag. Aber man hörte doch dieses und jenes, man vermutete, man kombinierte. Man war so neugierig auf den nächsten Donnerstag, denn daß die fürstlichen Herrschaften auf dem Feste des Baron Gerold erscheinen würden, ließ sich mit Bestimmtheit annehmen, man erwartete sogar ganz sicher, an diesem Tage eine große Neuigkeit zu hören, nichts geringeres als die Bekanntmachung einer längst erwarteten Verlobung.
Ja, es konnte interessant werden! Und während aller dieser Vermutungen, während aller dieser Erwartungen lebte man auf Neuhaus und Altenstein scheinbar in aller Ruhe weiter.
18.
Prinzeß Helene saß im Neuhäuser Garten und neben ihr stand das elegante Kinderwägelchen der kleinen Leonie. Ihre Durchlaucht spielte noch immer die zärtliche Tante in der stürmischen Art, wie sie alles auffaßte, was ihr durch das Köpfchen schoß. Sie schleppte die Kleine überall mit herum, sie bemühte sich mit unermüdlicher Ausdauer, ihr geliebtes Nichtchen das Wort »Papa« zu lehren, doch die scheuen schwarzen Kinderaugen sahen sie zwar groß an, aber das trotzige Mündchen blieb geschlossen. Sie wußte nicht, daß selbst das jüngste Kind schon in den Zügen zu lesen versteht, und die Ungeduld und Leidenschaft, die aus den Blicken der Prinzessin sprühten, machten das arme kleine Wesen furchtsam. Es fing gewöhnlich nach kurzer Zeit an zu schreien.
Und dann ward es mit Inbrunst getragen, beschwichtigt, geküßt und mit unmöglichen Koseworten überschüttet, so daß Beate in ihrem Zimmer die Hände rang und mit besorgter Miene lauschte, ob nicht jemand dem unglücklichen Würmchen zu Hilfe kommen wolle. Aber wer denn? Lothar saß wie vergraben in seiner Stube, wohin er sich nach beendeter Mahlzeit zurückzuziehen pflegte, Prinzeß Thelda lag meistens auf ihrem Ruhebett, gähnte oder schrieb Briefe, und Frau von Berg – nun, die bestärkte Prinzeß Helena noch in ihren Launen und Einfallen.
Die alte Kinderfrau, die erschreckt hinzulief, ward höchstens dazu benutzt, den süßen Liebling etwas zu beruhigen und ihn seiner fürstlichen Tante wiederzugeben. Beate, die bisher nicht wußte, was Nerven zu bedeuten haben, spürte zum erstenmal in diesen Tagen ein merkwürdiges Kribbeln in den Fingerspitzen. Das war, als Lothar vor dem Fest apathisch erklärte, ihm sei es ganz gleich, wie sie es arrangieren wolle. Da stand sie nun, die sich nie im Leben um derartiges bekümmert hatte, und sollte für Konzertprogramm, Tanzordnung und Kotillon sorgen. Sie hatte nicht übel Lust, dem, der da in seinem verdunkelten kühlen Zimmer so schweigend und brütend auf und ab schritt, die Wahrheit zu sagen: »Du bist hier der Herr vom Hause, und wenn du dir Gäste einladest, so habe auch die nötige Geduld, um die Pflichten des Wirtes zu ertragen.«
Aber ehe sie noch die Lippen geöffnet, wandte er sich um, und sie blickte in ein blasses Gesicht von so sorgenvollem Ausdruck, daß sie erschrak.
»Um Gottes willen, Lothar«, sagte sie und trat zu ihm, »du bist krank?«
»Nein, nein!«
»Dann hast du Sorgen!«
»Sorgen wie ein Mann, der sein ganzes Hab und Gut, seine Hoffnung, seine Zukunft auf ein gebrechliches Schiff lud und es vom sicheren Ufer aus Sturm und Wellen preisgegeben sieht, der dasteht, ohne retten zu können, und weiß, daß der Untergang gleichbedeutend ist mit Elend und Verzweiflung«, sagte er leise.
»Aber, Lothar!« rief Beate entsetzt. Sie war es nicht gewohnt, ihn in solchen Bildern sprechen zu hören und fast flehend bat sie: »Schenke mir dein Vertrauen, Lothar, erkläre dich deutlicher, du ängstigst mich!«
»O nichts, Beate, kehre dich nicht daran, es kam mir so unwillkürlich über die Lippen. Es wird überwunden werden – dann – wenn es wieder still und einsam ist hier auf Neuhaus. Habe Nachsicht mit mir.«
Aber die Schwester wich nicht. »Lothar«, begann sie entschlossen, »ich glaube, ihr Männer seid in manchen Sachen schwer von Begriff. Ich denke, du darfst auch diesmal nur die Hand ausstrecken.«
»Nein, mein kluges Schwesterchen, diesmal nicht«, erwiderte er. »Über meine geöffnete Hand hinweg streckt sich siegesgewiß eine andere, und als ich das sah, da habe ich die meine still zurückgezogen und zur Faust geschlossen. So, und nun frage nicht mehr und laß mich allein, Beate!«
»Du bist noch immer der törichte Junge von früher«, murmelte sie und wandte sich. »Bei Gott, sie läuft dir nach wie deine Diana da –« Und sie wies auf den Hühnerhund, der mit klugen Augen jeder Bewegung seines Herrn folgte.
Sie stand dann plötzlich in der Halle und sah mit finsterer Miene, wie Prinzessin Helene im lichten Morgenkleid, gefolgt von der Komtesse, die breite Treppe herunterkam, um im Garten zu verschwinden.
Beate schüttelte den Kopf und stieg die Treppe hinauf nach der großen Dachstube, wo die Wäschespinde und Truhen standen. War es denn ein Glück, das er ersehnte in Bangen und Verzweiflung? Dieses hochgeborene leidenschaftliche Geschöpf! War denn die erste Ehe ein Glück gewesen? Warum flogen Lothars Wünsche so hoch? Sie dachte seiner Zukunft an ihrer Seite, an das verlassene schlichte Haus seiner Väter, in welchem sie einsam und allein verbleiben würde, es hütend und beschützend wie jetzt. Er würde hinausgehen mit ihr in das bewegte Leben der Residenz, auf Reisen sein, wie mit der ersten Gattin, und mitunter würde er kommen, auf ein paar Tage – allein! Was sollte die erlauchte Frau auch hier? Ihre Anwesenheit jetzt bedeutete ja nur eine Ermutigung, ihr spielendes Interesse an dem Haushalt des Stammsitzes war nur ein Beweis, daß auch sie sich gern herablassen würde, wie einst ihre Schwester sich herabgelassen hatte.