Sie kamen raschen Schrittes nebeneinander daher, vor ihnen huschte ein Schatten hinter einen der riesenhaften Bäume, ein zweiter folgte nach. Er hatte es wohl nicht bemerkt, Klaudine aber war unwillkürlich stehen geblieben. »Sehen Sie nichts?« fragte sie ängstlich.
»Nein!« erwiderte er.
»So war es wohl eine Sinnestäuschung?« entschuldigte sie sich.
Und nun ging sie rascher vorwärts bis zu dem Wagen, neigte den kleinen Kopf mit einem kühlen »Gute Nacht!« und schlüpfte hinein.
Das Rollen verklang in dem schweigenden Garten. Der Mann dort, der dem Wagen nachgeschaut hatte, schritt nun langsam auf dem Fußwege außerhalb der Parkmauer dahin, dem Walde zu, als wollte er sich auf einsamen Pfaden Ruhe erwandern.
»Alice«, flüsterte leidenschaftlich Prinzeß Helene und kam hinter dem Baumstamm hervor, »Alice, er ist mit ihr gefahren!«
»Durchlaucht, nur eine Ritterpficht.«
»O, ich kann das aber nicht ertragen, Alice. Was tut sie hier? Was wollte sie? Alice, so sagen Sie doch ein Wort!«
Das erregte Flüstern der Prinzeß war in heftiges Sprechen übergegangen.
»Aber, mein Gott, Durchlaucht«, begann die schöne Frau, als könne sie vor schmerzlichem Staunen nicht Worte finden, »was soll ich sagen? Ich bin selbst überrascht und fassungslos!«
Die Prinzeß eilte vorwärts bis zum Parktore. Dort stand eine alte Sandsteinbank und sie kniete hinter derselben im Dunkeln zur Erde und wartete, wartete mit fiebernden Pulsen auf seine Wiederkehr. Frau von Bergs Stimme erschallte vergeblich durch den dunkeln schwülen Garten. Sie ging endlich hinauf und lächelte in ihren großen Stellspiegel, indem sie um ihr volles Haar das kokette Tuch schlang, das sie übermorgen tragen wollte als Italienerin. Die Prinzessin kam erst nach Stunden zurück, mit bleichem Gesicht und verweinten Augen. Sie schlief nicht einen Augenblick in dieser Nacht.
19.
Das Fest in Neuhaus war auf seinem Höhepunkt angelangt. Der warme Sommerabend, ohne jede Zugluft, machte es selbst der leidenden Herzogin möglich, im Freien zu bleiben. Die Purpurvorhänge des Zeltes, das unter den Linden unfern des Tanzplatzes stand, waren weit zurückgenommen. Sie lehnte dort im bequemen Sessel, umgeben von einem dichten Kreis von Damen und Herren. Das wunderbare Licht, welches Dämmerung, Mondschein und Hunderte von farbigen Laternen schufen, ließ ihr schmales Gesicht unter der schwarzen, mit Brillantnadeln befestigten Spitzenmantille noch blässer erscheinen als sonst, und die Augen größer noch und glutvoller. Sie trug ein granatrotes kurzes Kleid mit dem Spitzensaum und das schwarze goldgestickte Jäckchen der Andalusierin. Auf den schmalen schwarzen Atlasschuhen blitzten Brillantschnallen.
Prinzeß Thekla in grauem Atlaskleid saß neben ihr.
Vor ihnen breitete sich das reizvollste Bild aus unter den Zweigen der hundertjährigen Linden, deren Blätter smaragden schimmerten in dem Lichte zahlloser Flammen. Eine Fülle von Jugend und Schönheit wogte dort, die Gruppen dieser phantastischen, wie aus dem Feenreiche entstammenden Gestalten waren umschmeichelt von dem betäubenden Duft der Lindenblüte, umrauscht von den prickelnden Klängen eines Straußschen Walzers.
»Ein Fest, wie zu Goethes Zeit in Tiefurt«, sagte die Herzogin.
»Besonders, wenn man die schöne Gerold sieht. Bitte, Hoheit, betrachten Sie diese Gestalt – wahrhaft klassisch!«
Der Sprechende, dessen schmales Gesicht eitel Entzücken verriet, stand hinter dem Stuhl Ihrer Hoheit und seine Blicke deuteten auf Klaudine.
»O ja, mein lieber Graf«, erwiderte die Herzogin und betrachtete ihren Liebling mit leuchtenden Augen, »sie ist, wie immer, der Stern des Abends.«
»Hoheit sind allzu bescheiden«, sagte Prinzeß Thekla und ihre kalten Augen blickten vernichtend nach der bezeichneten Richtung.
Klaudine stand außerhalb des girlandenumschlungenen Tanzplatzes auf dem Rasen. Der alte Herr hatte nicht zuviel behauptet, nie war wohl ihre eigenartige Schönheit mehr zur Geltung gekommen, als an diesem Abend in der Tracht der Urgroßmutter. Sie trug das prachtvolle Blondhaar zu einem antiken Knoten am Hinterkopf zusammengebunden, ein schmales Diadem, in dessen Mitte ein Brillantstern funkelte, krönte den schönen Kopf. Die kurze Taille zeigte wundervoll geformte Arme und Schultern, nur leicht von einem seidenglänzenden Flor umhüllt. Ein kurzes enges Unterkleid aus weißem, durchsichtigem Seidengewebe, am Saum mit breiter Silberstickerei verziert, ließ kleine rosa Schuhe mit kreuzweise gebundenen Bändern sehen. Und dieses duftige Kleid ward vervollständigt durch eine mattrosa Schleppe aus schwerer Seide, ein Strauß frischer Zentifolien schmückte die Brust. – Aus den Falten dieses Gewandes wehte noch heute ein feiner Lavendelduft, das Parfüm jener geistesvornehmen, lebensvollen, sprühenden Vergangenheit.
Es mochte wohl Seine Hoheit förmlich berauschen, denn der Herzog stand bereits seit einer Viertelstunde vor dem schönen Mädchen, das, die schweren Falten der Schleppe in der Hand, wie fluchtbereit mit unruhigen Augen an ihm vorüberspähte, als suche sie nach einer Gelegenheit zu entschlüpfen. Man hatte einen förmlichen Respektkreis um sie und den Herzog gebildet, als wollte man Seiner Hoheit Gelegenheit geben, unbelauscht mit der schönen Gerold zu plaudern, und dennoch, während man dort, scheinbar mit sich selbst beschäftigt, fragte, plauderte, neckte, waren aller Augen verstohlen auf jenes reizende Mädchen gerichtet, welches von herzoglicher Huld und Gnade so auffallend ausgezeichnet ward.
Prinzeß Helene, die als Griechin gekleidet mit dem Adjutanten Seiner Hoheit in einen Reigen eingetreten war, sah es mit heimlicher Freude. Sie wandte ihr dunkles Köpfchen energisch herum, sie mußte doch sehen, wie der Baron dieses Beisammensein vor aller Augen beurteilte. Eben stand er noch an jenen Baumstamm gelehnt, ein Glas eisgekühlten Sekt in der Hand, mit dem er einige Kelche berührt hatte, die ihm zwei oder drei Herren entgegenhoben. Jetzt war er verschwunden. Blitzschnell drehte sich das Köpfchen nach jener Seite, wo Klaudine stand, und ihre Lippen preßten sich aufeinander – denn jetzt schritt Baron Lothar auf das Paar zu.
»Verzeihung, Hoheit! Ihre Hoheit die Frau Herzogin wünschen Fräulein von Gerold zu sprechen. Darf ich bitten, Cousine?«
Klaudine verbeugte sich tief und legte ihre Fingerspitzen auf Lothars Arm, der sie langsam dem Zelte der Herzogin zuführte.
»Treten Sie einen Augenblick zu Ihrer Hoheit«, sagte er ruhig, »es möchte sonst auffallen. Nachher –«
Sie blieb stehen und sah ihm in das unbewegte Gesicht. »Ich denke, Ihre Hoheit will mich sprechen?«
»Nein«, erwiderte er gelassen, »ich sah nur, daß Sie wie auf Nadeln standen, und erblickte hundert lauernde Augen auf Sie gerichtet. Überhaupt«, fuhr er fort, »da ich Sie doch einmal hier sehen muß heute abend, würde ich Sie am liebsten in der Nähe Ihrer Freundin bewundern. Ich denke, Sie in Ihrer blonden Schönheit neben der Andalusierin würden das reizvollste Bild des Abends sein – gönnen Sie es uns!«
Sie zog die Hand von seinem Arm zurück. Die Erleichterung, mit der sie seiner Aufforderung gefolgt war, wich einer heißen Empörung, aber sie vermochte nicht mehr zu erwidern, schon stand sie vor der Herzogin.
»Kiaudine«, sagte diese und reichte ihr die Fingerspitze, »warum tanzen Sie nicht? Ich möchte Sie in diesem Reigen sehen, ich glaube, in jener Gruppe fehlt noch das vierte Paar. Herr von Gerold, bitte!«
Sie konnte sich nicht weigern, mechanisch nahm sie seinen Arm. Lothar blieb schweigend, es war ein merkwürdig stummes Paar, gleichwohl das schönste von allen. Kaum war die Schlußverbeugung des Tanzes geschehen, so fragte sie: »Wo ist Beate?«
»Sie wird im Schlosse sein«, erwiderte er.
Sie dankte und schlug eilig den Weg dorthin ein. In der großen Halle hatte man für einige wenige Auserkorene die Tafel gedeckt. Die mächtigen Flügeltüren waren zurückgeschlagen und ließen den Blick in den erleuchteten Garten frei.