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»Elisabeth, sprich nicht so!«

»Ist jemand hier, der uns hören könnte?« fragte die Herzogin.

»Nein, Elisabeth, Seine Hoheit ist hinuntergegangen zu den kleinen Prinzen, die Kammerfrau ist mit der Krankenschwester im Nebenzimmer und Frau von Katzenstein bei der Herzoginmutter.«

Die Kranke lag ganz still und folgte mit den Augen dem glühendroten Sonnenfleck auf dem Bilde an der Wand, der unmerklich höher und höher glitt, zuletzt noch auf dem Blattwerk des Goldrahmens funkelte und dann erlosch.

»Warum hattest du kein Vertrauen zu mir?« fragte sie plötzlich mit trauriger Stimme, »warum sagst du mir nicht offen alles, alles?«

»Elisabeth, ich hatte dir nichts zu verbergen.«

»Lüge nicht, Klaudine!« rief die Herzogin feierlich, »eine Sterbende soll man nicht belügen!«

Klaudine hob stolz den Kopf. »Ich habe dich nie belogen, Elisabeth.«

Ein bitteres Lächeln flog über das bleiche, abgezehrte Gesicht der Kranken.

»Du hast mich belogen mit jedem Blick!« sagte sie entsetzlich klar und kalt, »denn du liebst meinen Gatten.«

Ein wahrer Aufschrei unterbrach sie, und schwer lag Klaudines Kopf auf der roten Seidendecke des Krankenbettes. Was sie gefürchtet, was sie bis zur Gewißheit gefühlt hatte, das sagte ihr jetzt der Mund der Frau, die sie so treu, so innig liebte.

»Ich mache dir ja keinen Vorwurf, Klaudine, ich will nur, daß du mir versprichst, nach meinem Tode –«

»Barmherziger Gott!« stöhnte das Mädchen und richtete sich wild empor. »Wer hat dieses entsetzliche Mißtrauen in dir geweckt?«

»Mißtrauen? Wenn du noch fragtest: wer öffnete dir die Augen, um die entsetzliche Wahrheit zu erkennen? Und er – liebt dich – er liebt dich!« flüsterte die Herzogin weiter. »Ach Gott, es ist ja so natürlich!«

»Nein! Nein!« rief Klaudine außer sich und rang die Hände.

»Ach, schweige doch«, bat die Kranke müde, »oder laß uns ruhig sprechen. Ich habe noch so viel zu sagen.«

Klaudine war aufgestanden, ihr schwindelte. Was sollte sie tun, um zu beweisen, daß sie unschuldig sei?

Auf den Wangen der Kranken schimmerte es wieder so rot, sie atmete so schwer.

»Elisabeth, nur dieses eine Mal noch glaube mir, vertraue mir«, flehte das Mädchen.

Die Kranke richtete sich plötzlich auf.

»Kannst du schwören«, fragte sie ruhig, »kannst du schwören, daß nie zwischen dir und dem Herzog von Liebe die Rede war? Schwöre es, schwöre es bei dem Andenken an deine Mutter, und wenn du das kannst im Angesicht meines letzten Lagers, so will ich dir glauben, daß meine eigenen Augen falsch gesehen haben!«

Klaudine stand wie leblos. Ihre Lippen bewegten sich, aber es kam kein Ton heraus, und plötzlich neigte sie den Kopf wie vernichtet.

Die Herzogin sank in die Kissen zurück. »Den Mut hast du doch nicht!« murmelte sie.

»Elisabeth«, rief Klaudine jetzt, »glaube mir! Glaube mir! Mein Gott, was soll ich nur tun, daß du mir noch einmal glaubst! Ich wiederhole es dir, du bist im Irrtum –«

»Sei still«, sagte die Herzogin mit verächtlichem Lächeln.

Seine Hoheit war eingetreten. »Wie geht es dir, Liesel?« fragte er herzlich und beugte sich über sie, indem er ihr das feuchte Haar aus der Stirn zu streichen versuchte.

»Fasse mich nicht an!« stieß sie hervor, und ihre Augen wurden angstvoll groß. »Es ist ja bald vorbei«, flüsterte sie dann.

Klaudine lehnte fassungslos an der Tür. Der Herzog trat zu ihr und fragte leise und besorgt: »Phantasiert Ihre Hoheit?«

Klaudine, der Verzweiflung die Brust zu zersprengen drohte, preßte den schluchzenden Schrei, der sich ihr entringen wollte, mit dem Tuch zurück und wankte in das Nebenzimmer.

Er folgte ihr ängstlich. »Was ist geschehen?«

Die Augen der Kranken richteten sich auf die Tür, durch welche jene beiden verschwunden waren. Der ganze furchtbare, gewaltsam zurückgedrängte Schmerz durchrüttelte sie und verwirrte ihre armen Gedanken. Sie lag mit geballten Fäusten und glühenden Augen. Wie, nicht einmal der Sterbenden wollte sie bekennen? Und sie hatte es so gut gemeint, sie wollte in ihrem letzten Willen bestimmen, daß sie sich angehören sollten, die beiden, für das Leben. Das sollte die Rache sein für ihr gebrochenes Glück. Und sie, sie – welch ein Abgrund von Schlechtigkeit mußte dieses Geschöpf in sich bergen, das auch jetzt noch den Himmel anrief als Zeugen seiner Unschuld!

Eine wahnsinnige, erstickende Angst legte sich auf ihre schmerzende Brust. Ihr Gemahl kam eben wieder herein, er trat an das Fußende des Bettes und blickte sie seltsam forschend an. Klaudine, die sich gewaltsam gefaßt hatte, trug ein Glas in der Hand. »Trinke, Elisabeth«, bat sie, während sie sich niederbeugte und ihren Arm unter den Kopf der Kranken schob. »Trinke, dir ist so heiß. Es sind die Tropfen, die dir immer so gut bekommen.«

Bewegungslos lag die Herzogin, mit fest zusammengepreßten Lippen. Ihre großen Augen hingen mit unheimlicher Starrheit an dem blassen Gesicht des Mädchens und wanderten zu ihrem Gatten hinüber. Das Glas in Klaudines Hand begann zu zittern. »Oh, trinke doch!« bat sie mit versagender Stimme.

Dann ein schriller Aufschrei, und das Glas ward aus Klaudines Hand geschleudert.

»Gift!« schrie die Herzogin gellend und richtete sich im Bette hoch mit dem Ausdruck einer Wahnwitzigen, die Hände verzweiflungsvoll ausgestreckt. »Gift! Hilfe! Geht es euch denn noch nicht schnell genug?«

Dann sank sie erschöpft zurück und ein erneuter Blutstrahl überschwemmte das weiße Gewand und das Bett.

Klaudine, die in die Knie gesunken war, sprang empor. Auch sie sah aus wie eine Irrsinnige. Mit übermenschlicher Kraft nahm sie sich zusammen, ging zur Glocke und half dann die Kranke emporrichten und an die Brust des Herzogs lehnen, in dessen bleichem Gesicht eine tiefe Erschütterung sich ausprägte.

»Liesel«, murmelte er, »aber Liesel – großer Gott!«

Sie lag mit geschlossenen Augen wie eine Sterbende.

Und nun ward es lebendig im Zimmer. Mit besorgter Miene stand der alte Medizinalrat vor der Patientin, dann sah er nach der Uhr, fühlte den matten Pulsschlag und schüttelte den Kopf. »Um neun Uhr kann er hier sein, Hoheit«, flüsterte er der weinenden Herzoginmutter zu, »doch bis dahin nur Ruhe, Ruhe, keine Angst zeigen. Es ist am besten, Hoheit bleiben in der gewohnten Umgebung. Ich werde mich einstweilen im Nebenzimmer aufhalten.

»Klaudine!« flüsterte die Kranke, »Klaudine!«

Die Herzoginmutter sah sich nach der Gerufenen um. Sie war verschwunden. In ihrer Angst ging die alte Dame auf den Korridor hinaus und fragte nach dem Zimmer des Fräuleins von Gerold. Aber die Tür war verschlossen und drinnen regte sich nichts.

Klaudine war in ihrer Stube zusammengebrochen. Einen klaren Gedanken hatte sie nicht mehr. Dahin war es gekommen, dahin! Die Welt hielt sie für eine Gesunkene, für die Geliebte des Herzogs, sein eigenes Weib starb in diesem Wahne!

Oh, diese törichte Vermessenheit ihres wahnsinnigen Stolzes! Und wenn sie die Sterne vom Himmel herunterholen könnte als Zeugen ihrer Reinheit, niemand würde ihr glauben, niemand, die Sterbende nicht und die Lebenden nicht, und jener eine nicht, den sie zurückstieß, als er sie warnte! Gott allein wußte es, aber Gott tut keine Wunder mehr. Verloren! Verloren! Der Schandfleck ihrer Familie war sie geworden, das ganze Land würde mit Fingern auf sie weisen: »Seht, seht, das ist die, um derentwillen unserer armen Fürstin das Herz brach!«

Wer sollte sie retten? Der Herzog? Er konnte nicht für sie in die Schranken treten, sie hätten alle getan, als ob sie ihm glaubten, und hätten gelacht hinterher.

Wenn sie sterben könnte! Sie nähme damit den Schimpf nicht von sich, aber sie wäre doch tot, sie würde nichts mehr fühlen. Der kleine Weiher dort unten im Park. – Es ist so still dort und so kühl – so kühl. Dort fände man sie dann vielleicht, und die Menschen würden sagen: »Sie hatte doch noch Ehrgefühl, diese Klaudine, sie konnte nicht leben mit der Schuld auf dem Herzen!« Und nur einer vielleicht würde sprechen, wenn er an den Sarg trat: »Meine Schwester, mein reiner, stolzer Liebling, ich glaube an dich!«