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Und dort drüben in Neuhaus würde ein kleines, dunkles Mädchen seinen Kopf an die Schulter des schönen Mannes schmiegen und eine süße Stimme würde sagen: »Was geht es mich an, Lothar, daß eine deines Stammes auf den Namen Gerold Schande häufte? Vergiß es, ich liebe dich dennoch!«

Ein paar harte Schläge an die Tür ließen sie emporfahren.

»Fräulein von Gerold«, rief die spitze Stimme des Fräuleins von Bohlen, »die Herzoginmutter erwartet Sie!«

Mechanisch schritt sie hinaus, vergessend, daß ihr das Haar gelöst auf den Rücken herabhing und die goldigen Strähne ihr über die Stirn fielen, vergessend, daß sie nur in dem losen Hauskleide war. Wie eine Irre trat sie ein in das noch nicht erhellte Gemach, auf dessen bunten Teppich der Mondschein in zwei breiten schimmernden Streifen lag.

»Klaudinel« klang es mild vom Fenster her.

Sie kam herüber und verneigte sich.

»Setzen Sie sich, Klaudine.«

Aber sie machte keine Bewegung, sie blieb wie gelähmt. »Die Herzogin stirbt?« fragte sie heiser.

»Es steht in Gottes Hand, Klaudine.«

»Oh, durch mich, durch mich!« murmelte das Mädchen.

Die Herzogin antwortete nicht. »Ich habe eine Frage an Sie zu richten«, begann die alte Dame endlich, »sie ist so seltsam in dieser Stunde, Klaudine, wo der Todesengel vor der Pforte des Hauses steht, aber der, für den ich fragen soll, hat mir zur Pflicht gemacht, es gleich zu tun. Baron Gerold bittet Sie, Klaudine, seinem verwaisten Kinde die Mutter, ihm die Gattin ersetzen zu wollen.«

»Hoheit!« schrie Klaudine auf. Sie trat einen Schritt zurück und stützte sich schwer auf den Marmorsims des Spiegels. »Ich danke«, sagte sie dann, »ich verlange kein Opfer von ihm.«

»Gut!« erwiderte die alte Hoheit streng. »Sie hatten es jetzt in der Hand, mit einem Schlage alle Lästerzungen verstummen zu lassen, Sie hatten es in der Hand, ein entfliehendes Leben für kurze Zeit zu erhalten, damit es in Frieden scheiden konnte.«

»Hoheit!« stöhnte Klaudine.

»Meine arme, unglückliche Tochter!« seufzte die Fürstin.

»Hoheit, mein Leben für die Herzogin«, flehte das Mädchen, »nur diese Demütigung nicht!«

»Ihr Leben? Nun, das sagt sich ja leicht, Klaudine –«

»Oh, daß ich es beweisen dürfte!« rief sie dann und trat mit gefalteten Händen vor den Stuhl der Fürstin. Sie stand in dem vollen Mondesstrahl, und der zeigte die halberloschenen Augen, das ganze verzweiflungsvolle Bild des Mädchens.

Die Herzogin erschrak. »Klaudine! Aber Klaudine!« sagte sie begütigend.

»Glauben Hoheit denn wirklich, daß ich eine Ehrlose bin?« fragte sie.

»Nein, mein Kind, denn eine solche würde Baron Ge- rold nicht zum Weibe begehren!«

Sie wich zurück. »Darum, nur darum!« stammelte sie.

»Es ist mir sehr schwer geworden, dem Geflüster Glauben zu schenken«, fuhr die Herzogin fort. »Aber, Kind, ich kenne das Leben, ich kenne meinen heißblütigen Sohn, kenne seine Macht über die Herzen der Frauen – und dich, die du vor ihm geflohen, dich weiß ich plötzlich täglich in seiner Nähe! Kind, Kind, ich glaube es dir, daß du nur die Freundin der Herzogin bist, aber du hast dich vermessen, freventlich mit deinem Ruf zu spielen, du hast nicht verstanden, den Schein zu meiden, und darum erfasse die Hand, die sich dir entgegenstreckt«, setzte die Herzogin dringend hinzu. »Keiner wird es wagen, zu behaupten, daß Lothar von Gerold ein Weib an sein Herz zieht, das nicht rein ist wie die Sonne. Und mein Sohn – niemals würde sein Blick wieder diejenige suchen, die eines anderen Eigentum ist.«

»Ich bin fassungslos, Hoheit«, sagte Klaudine.

»Du mußt dich fassen, mein Kind, er wartet unten in Bangen und Hoffen.«

»Hoheit«, bat Klaudine, »er liebt mich nicht – es ist ein Opfer, das er der Ehre unseres Namens bringt. Ich kann es nicht annehmen. Haben Hoheit Erbarmung mit mir!«

»So bringt ein Opfer!« rief die Fürstin, gereizt durch den Widerspruch. »Ist es die Ehre nicht wert, ein Opfer zu bringen? Ist es die nicht wert, die dort drüben mit dem Tode ringt?«

»Hoheit«, flüsterte Klaudine, und ein Gedanke flog durch ihr gemartertes Hirn, »ich will mit Baron Gerold sprechen.«

Die Herzogin hatte Erbarmen mit dem verzweifelten Mädchen. »Beruhige dich, dann mag er kommen«, sprach sie mild und führte die Zitternde zu einem Sessel.

»Der Herr Medizinalrat!« sagte Fräulein von Bohlen eintretend. Ihr auf dem Fuße folgte die kleine Gestalt des Arztes.

»Hoheit verzeihen mein ungestümes Eindringen«, begann er hastig. »Ich erachte es jedoch für Pflicht, Eurer Hoheit mitzuteilen, daß die erlauchte Kranke sich in größter Lebensgefahr befindet. Hoheit sind durch den Blutverlust vollständig erschöpft, bis auf den Tod. Professor Thalheim schlägt eine Transfusion vor, ich bin nicht abgeneigt, man soll nichts unversucht lassen. Seine Hoheit ist entschlossen, das erforderliche Blut zu geben, jedoch – da es immerhin keine gleichgültige Operation ist – sie kann Folgen haben, die das Leben gefährden, wie Blutvergiftung und dergleichen – so müssen wir von der Person Seiner Hoheit absehen, da auch das Hausgesetz ausdrücklich –«

Er stockte. Klaudine war von dem Sessel emporgesprungen und streckte die Hand gegen ihn aus. »Herr Medizinalrat, ich bitte, diejenige sein zu dürfen, die –«

»Sie?« fragte der alte Herr und schaute verwundert in das blasse Mädchengesicht, aus dessen bewegten Zügen ein inniges Flehen sprach, »wahrhaftig, Fräulein von Gerold? Nun, dann kommen Sie, aber rasch! Wir haben keine Zeit zu verlieren. Doch – halt – meine Gnädige, ich mache Sie noch einmal darauf aufmerksam, daß wir Ihnen die Pulsader öffnen müssen.«

»Ach, lieber Herr Doktor!« sagte Klaudine mit einem Achselzucken, das bedeutete: wenn es weiter nichts ist! Und sie eilte ihm voraus, in der Angst, ein anderer könne ihr zuvorkommen.

Die alte Hoheit hatte kaum recht verstanden. Transfusion? Was ist die Transfusion? Als sie in das Vorzimmer der jungen Herzogin trat, waren die Ärzte bereits um die Kranke beschäftigt. Vor Klaudine stand eine Krankenschwester, die den Ärmel von des Mädchens weißem Kleide zurückstreifte. Die alte Dame legte ihrem Sohne die Hand auf die Schulter.

»Adalbert«, fragte sie leise, »Adalbert, was ist das eigentlich? Der Medizinalrat sagte, sie schneiden ihr die Pulsader auf, um ihr Blut in Lisels Adern zu leiten?

Er nickte zerstreut und wandte kein Auge von dem traurig lächelnden Mädchenantlitz.

»Um Gottes willen, Adalbert«, fuhr die alte Hoheit fort, »sollen wir erlauben, daß Fräulein von Gerold – es scheint doch eine gefährliche Sache –«

Jetzt sah er sie groß an. »Nicht wahr«, fragte er leise und bitter, »das erfordert etwas mehr Mut, als dazu gehört, aus sicherem Versteck den Pfeil zu schleudern, der ein armes Weib tödlich verwundet oder den Ruf eines schuldlosen Mädchens in den Kot zieht? Ich kann es nicht verhindern, daß sie sich zu diesem Opfer versteht«, sprach er achselzuckend weiter, »ich am allerwenigsten. Man könnte ja sonst sagen, ich sei mehr für ihr Leben besorgt, als für das meiner Gemahlin.«

Die Schwester schloß jetzt die Vorhänge, nur Klaudines weiße schöne Gestalt sah man noch einen Augenblick inmitten des Zimmers. »Von Arm zu Arm, Kollege«, klang eben des Professors Stimme, »es ist sicherer.«

Aber der Herzog sah und hörte es nicht mehr, er hatte schon das Zimmer verlassen. Er durchmaß in furchtbarer Erregung das Zimmer der Herzogin, das nämliche, in welchem er Klaudine von seiner Neigung gesprochen. Er hätte Jahre seines Lebens in diesem Augenblick gegeben, um jene Stunde ungeschehen zu machen. »Armes Mädchen, armes Weib!« Das hatte er nicht gewollt! Er hatte nach diesem Glück gestrebt mit dem Verlangen eines Menschen, der gewohnt ist zu siegen. Für die schöne Hofdame seiner Mutter hatte er eine aufrichtige starke Neigung gefühlt, sie wies ihn zurück, und er ließ sich zurückweisen. Zum erstenmal beugte er sich vor einem charaktervollen Weibe, und sein Vergehen wurde zum Verhängnis. Wer um Gottes willen mochte Klaudine bei der Herzogin verleumdet haben?