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Über die Stirn Seiner Hoheit rann kalter Angstschweiß.

»Nur noch so viel Frist«, sagte er halblaut, »um ihr alles zu erklären, nur so viel, daß sie nicht sterben muß in dem Glauben, ich sei schuldig.«

Sie hatte ihn vergöttert trotz aller seiner Fehler, trotz aller Kälte, aller Gleichgültigkeit. Er glaubte ihre Augen auf sich gerichtet zu sehen mit dem alten innigen Leuchten, von dem er so oft ungeduldig den Blick gewandt. Sie hatte immer so still dahingelebt, so dankbar für jeden Liebesbrocken, den er ihr zuwarf, so selig über ein zärtliches Wort, so bescheiden in ihren Ansprüchen. Ihre kleinen Fehler, ihre Schwächen, wie gering erschienen sie ihm in dieser Stunde!

Er stand am Fenster still und dachte an den Tag heute vor elf Jahren. Auch damals hatte man um ihr Leben gebangt, Er sah sich an ihrem Lager, an der Wiege seines Erstgeborenen, sie hatte so blaß dagelegen, nur ihre Augen hatten gestrahlt, trotz aller Mattigkeit hatte sie so stolz gelächelt. Er hatte damals nur kurze Dankesworte gehabt für sie, sein ganzes Interesse war dem Kinde zugeflogen, dem Erben. Sie hatte ja nur ihre Pflicht erfüllt.

Er lehnte plötzlich den Kopf an die Scheiben und wischte sich heimlich über die Augen. Wollte man noch nicht berichten, wie es dort drüben stand?

Das ganze Schloß lag wie unter einem unheimlichen Banne. Auf den Gängen brannten die Lampen trübe und standen die Diener mit verstörten Gesichtern, unten saßen die Herren des Hofes beisammen, aber sie sprachen nur flüsternd miteinander. In den Räumen der fürstlichen Kinder blickten sich die Erzieherin und die Wärterin des kleinen Prinzen traurig in die Augen und im Erdgeschoß wisperte die Dienerschaft und erzählte sich grausige Geschichten.

Alle wußten, daß noch ein letzter Versuch unternommen wurde zur Rettung der Kranken, der Name des Fräuleins von Gerold war in aller Munde.

In Herrn von Palmers Zimmer saß Frau von Berg. Sie war von der durchlauchtigsten Mama geschickt worden, die Prinzessin zu holen. Da hatte sie denn die Gelegenheit benutzt, dem Freunde »Guten Abend« zu bieten, nach dem Stand der Dinge zu fragen und zu vermelden, daß der Baron in Gegenwart der Prinzeß Thekla bei der Herzoginmutter um seine Cousine angehalten habe.

Die schöne Frau war einfach fassungslos. »Wenn ich nur die Prinzeß erst glücklich im Wagen hätte!« klagte sie in dem Gemache auf und ab schreitend, während Herr von Palmer sich nervös im Schaukelstuhl wiegte, »sie macht noch die größten Tollheiten in ihren Bußanwandlungen.«

Ja, die Prinzessin, wo war die Prinzessin?

Die alte Leinenschließerin hatte die weiße Frau gesehen. Es war die kleine Prinzeß gewesen; und daß sie so schwer und gebückt ging, das machte die Seelenangst bei der Nachricht, daß es mit Ihrer Hoheit zum Sterben komme und daß auch Fräulein von Gerold in Gefahr sei. Sie hatte es den abgerissenen Worten der alten Kammerfrau entnommen, als sie aus dem Garten zurückkehrte, in den die Angst sie getrieben, weit, weit dort unten, wo man nichts mehr sah vom Schlosse, in welches das Unglück eingezogen war durch ihre Schuld.

Als sie dann mit wankenden Schritten in eins der Gemächer der Herzogin hinging, da hatte der Herzog am Fenster gestanden, und als er sich umwendete, hatte sie in der trüben spärlichen Beleuchtung auf dem schönen, sonst so kühlen, unbewegten Gesichte desselben eine tiefe Erschütterung gesehen, und an den Augen Tränenspuren. Das war mehr, als sie ertragen konnte!

In undeutlicher, verworrener Weise, fast schreiend, klagte sie sich an und gestand alles, indem sie vor ihm auf den Knien lag, seine Hand in der ihren. Er unterbrach sie mit keinem Worte, er tat nur eine Frage, als sie erschöpft schwieg.

»Den Brief, Helene? Wie, um Gottes willen, kamen Sie zu dem einzigen Brief, den ich je an Klaudine geschrieben und der offenbar von der Herzogin völlig falsch verstanden worden ist?«

»Hoheit baten darin, daß Klaudine trotzdem eine Freundin Ihrer Gemahlin bleiben sollte.«

»Trotzdem ich Fräulein von Gerold beleidigt hatte – allerdings!«

»Vetter, Vetter, bestrafen Sie mich!« rief die Prinzessin außer sich, »sagen Sie, was ich tun soll, um wieder gutzumachen –«

Er zuckte die Schultern. »Wie kamen Sie zu dem Briefe?«

»Frau von Berg –« stammelte die Prinzessin und sank wie gebrochen zusammen. Der Herzog hob sie empor und geleitete sie zum nächsten Sessel. Dann wandte er sich kurz ab und verließ das Zimmer.

25.

Die Operation war vorüber. Die Herzogin hatte Farbe bekommen und ihr Puls schlug kräftiger. Das gesunde Lebensblut Klaudines schien ihr neue, frische Kraft verliehen zu haben, es war wie ein Wunder. Sie lag sanft schlafend, wahrend in das geöffnete Fenster der duftige Hauch der Sommernacht wehte und eine tiefe Stille in dem Gemach herrschte. Regungslos saß die Schwester im Schatten des Bettvorhanges, so daß man nur die sanften regelmäßigen Atemzüge der Kranken hörte.

Klaudine stand in ihrem Zimmer mit verbundenem Arm. Sie fühlte sich matt. Das war aber nicht allein die Folge des fehlenden Blutes, die ganze Aufregung des Tages machte sich geltend. Ihre Füße wollten sie kaum noch tragen, und dennoch wies sie mit einer an Eigensinn grenzenden Hartnäckigkeit die Aufforderung, sich zu legen, zurück. Sie habe noch mit Baron Gerold zu sprechen, sagte sie, und wünsche dann sofort nach Hause zu fahren.

Die alte Herzogin, die ihr vom Bette Ihrer Hoheit in überströmendem Dankgefühl nachgefolgt war, bat wie eine besorgte Mutter, doch heute von dieser Unterredung abzusehen, nach der Operation müsse sie sich schonen, allein Klaudine blieb bei ihrem Verlangen. »Ich tue nichts halb!« erklärte sie mit ungewöhnlicher Ruhe.

Der Professor, den man zu Hilfe rief, wurde fast unangenehm. »Gut«, sagte der durch sein strenges Wesen bekannte Herr, »so mag denn diese Unterredung stattfinden, aber die Fahrt muß unterbleiben. Und nun trinken Sie ein Glas Wein!« Er hielt ihr mit einer Miene, die keinen Widerspruch zuließ, das Glas an die Lippen. Widerstrebend nippte sie ein wenig. Als sie aber Schritte auf dem Flur hörte, wandte sie das Antlitz der alten Herzogin zu: »Hoheit wollen mir gestatten, allein mit meinem Vetter zu reden!«

Die alte Hoheit zog sich kopfschüttelnd und betrübt zurück. Frau von Katzenstein und der Professor folgten ihr.

»Alles Glück mit Ihnen, lieber Baron«, flüsterte die Herzogin draußen dem blassen Manne zu, der sie beim Vorübergehen mit einer tiefen Verbeugung grüßte.

Fast ungestüm trat er ein. Er war zuletzt ruhelos im Parke umhergewandert, wo ihn der suchende Diener gefunden hatte. Seine erschreckten Blicke fielen auf die Binde, in der Klaudines Arm hing, auf das lose weite Morgenkleid, auf die halbgelösten Haare und das farblose, entstellte Gesicht des schönen Mädchens.

Was ging hier vor? fragten seine Augen, aber über seine Lippen kam kein Wort, er deutete nur stumm auf den Verband am Arme.

»Eine Kleinigkeit«, erwiderte sie, indem sie auf einen Stuhl wies, »nichts weiter als eine winzige Wunde, entstanden durch das Instrument des Arztes, der etwas Blut für die Herzogin brauchte. Kommen wir nun zur Sache, Baron!«

»Und das sagen Sie, als ob es so gar nichts wäre?« rief er außer sich. »Wissen Sie, daß das gleichbedeutend sein kann mit dem Tode?«

»Sie vergessen, daß eine Autorität die Operation leitete, und – wenn auch –«

»Sie haben freilich auch so gar niemand auf der Welt, dem Sie Schmerz bereiten würden, keinen, den Sie vorher fragen mußten: ›Darf ich es tun? Habe ich das Recht, meine Gesundheit, möglicherweise mein Leben, aufs Spiel zu setzen?‹«

»Doch«, erwiderte sie, »einen habe ich – Joachim – aber es war keine Zeit dazu.«

»Joachim!« wiederholte er mit der nämlichen Bitterkeit. »Ich, der ich eben um Ihr Leben gebeten hatte für mich, für mein Kind, ich war Ihnen keines Gedankens wert!«